Fifa:"Der Reformprozess ist gescheitert"

Nach der Landung in Bahrain erfahren zwei Fifa-Ethiker, dass Gianni Infantino sie abgesetzt hat. Hunderte Ermittlungsverfahren gegen korrupte Funktionäre sind vorerst gestoppt. Das dürfte das Kalkül des Fifa-Chefs sein.

Von Thomas Kistner, Manama/München

Hans-Joachim Eckert und Cornel Borbely waren am Dienstagabend in Manama gelandet, der Hauptstadt von Bahrain. Noch im Flugzeug schalteten sie ihre Mobilgeräte ein - und stellten fest, dass sie hier nichts mehr zu suchen hatten. Konsterniert entnahmen die zwei Vorsitzenden des Fifa-Ethikkomitees den Nachrichtenkanälen, dass sie der Fußball-Weltverband unter Gianni Infantino gar nicht mehr auf die Kandidatenliste der Kommissionen beim Wahlkongress am Donnerstag gesetzt hat. Die beiden schärfsten Aufpasser der Fifa: Sie sind raus.

Hans-Joachim Eckert

"Wir haben uns nicht beliebt gemacht, haben heiße Themen angefasst und sind vor großen Namen nicht zurückgescheut.

Der Chef der Ethik-Spruchkammer, vermutet politische Gründe hinter seiner Absetzung

"Ich wäre mit Sicherheit gar nicht erst hierher geflogen, wenn ich das gewusst hätte", zürnte der Münchner Richter Eckert am Mittwochmittag am Telefon, "was ist das für ein Umgang der Fifa mit den Leuten? Ich hätte mir wenigstens etwas mehr Respekt erwartet."

Respekt auch dafür, sagt Eckert, "dass wir vier Jahre lang gute Arbeit geleistet und der Fifa etwas von dem verlorenen Ansehen wieder zurückgeholt haben". Stattdessen hatte sich auch am Tag nach dem Beschluss der Fifa-Ratssitzung kein Vertreter des Weltverbandes gemeldet bei dem Schweizer Chefermittler und dem deutschen Spruchkammer-Vorsitzenden. Dabei waren sie im offiziellen Kongresshotel der Fifa einquartiert, dem "Ritz Carlton". So beschlossen die beiden Juristen, die in Sepp Blatter und Michel Platini immerhin die einst mächtigsten Funktionäre der Fußballwelt zur Strecke gebracht hatten, am Mittwochabend gleich wieder heimzufliegen. "Diesen Spießrutenlauf beim Kongress am Donnerstag tue ich mir nicht an", sagte Eckert der SZ. "Wir haben dort nichts mehr verloren."

Fifa: Funktionierten als Kontrollinstanz vielleicht zu gut: Hans-Joachim Eckert (links) und Cornel Borbely, die bisherigen Vorsitzenden des Fifa-Ethikrats, protestieren in Bahrain gegen ihre Entmachtung.

Funktionierten als Kontrollinstanz vielleicht zu gut: Hans-Joachim Eckert (links) und Cornel Borbely, die bisherigen Vorsitzenden des Fifa-Ethikrats, protestieren in Bahrain gegen ihre Entmachtung.

(Foto: Jack Guez/AFP)

"Kalt abserviert", wie es der Richter empfindet, hat Infantinos Fifa-Rat in Bahrain auch den dritten kritischen Geist an der Spitze einer unabhängigen Fifa-Kommission: Governance-Chef Miguel Poares Maduro. Der Portugiese, früher Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, hatte die Integritäts-Checks für die Vorstands-Bewerber vorgenommen, dabei war er einem der Mächtigsten im Fifa-Clan auf die Füße getreten: Er verweigerte dem russischen Vize-Premier und Fußballpräsidenten Witalij Mutko den Zugang zur Wiederwahl in den Fifa-Rat. Mutkos Interessenskonflikte seien dafür zu groß.

Mit Eckert, Borbely und Maduro wurden deren gesamte Stäbe rasiert, bis auf wenige Ausnahmen. Die Chefethiker erklärten dazu offen, dass sie wohl politisch nicht mehr gewünscht waren. "Man kann das auf der Basis unserer Arbeit sehen", sagt Eckert. "Wir haben uns nicht beliebt gemacht, haben heiße Themen angefasst und sind vor großen Namen nicht zurückgescheut." Nicht mal vor dem Namen Infantino. Mitte 2016 hatten sie auch eine Vorermittlung gegen den frisch gekürten Sepp-Blatter-Nachfolger geführt, der mit Privatjet-Reisen und anderen Eskapaden in ihr Visier geraten war.

In Bahrain gaben die beiden Juristen vor der Abreise eine gut besuchte Pressekonferenz - und ein brisantes Statement heraus: "Der Reformprozess ist gescheitert." Den Eindruck stützt ein Blick auf all die Probleme, mit denen die von Infantinos Ratsherren abgenickten Nachfolger zu ringen haben: die neue Chefermittlerin María Claudia Rojas aus Kolumbien und der Grieche Vassilios Skouris als Vorsitzender der Spruchkammer. Letzterer war bis 2015 Präsident des Europäischen Gerichtshofs. Doch böse Buben in der Fifa verurteilen kann er nur, falls ihm die Kollegin Rojas Fälle vorlegt - möglichst wasserdichte.

Fifa: Ausriss: SZ

Ausriss: SZ

Wie das die Anwältin aus Bogota, die in ihrer früheren Richterkarriere reichlich Erfahrungen mit politischen Köpfen des Landes, nicht aber mit harter Ermittlungsarbeit gemacht hat, bewerkstelligen soll, will sich Eckert im Detail gar nicht ausmalen. Mehrere Hundert Verfahren, sagt er, laufen derzeit bei den Ethikern. Zu diesen künftigen Hängepartien zählt auch die Untersuchung der WM-2006-Affäre um Franz Beckenbauer. Nun aber müssen sich die neuen Kammerchefs und ihre neuen Stäbe "erst mal in das Schweizer Prozess- und Standesrecht einarbeiten, das braucht - wohlwollend gerechnet - sicher ein Jahr". Derweil, klagt Eckert, werde all ihr "angesammeltes Wissen" über Hintergründe und persönliche Verfilzungen, über die wahren Abläufe in der Schattenwelt der Fußballpolitik, verschüttgehen.

Eckert will nun keineswegs ausschließen, dass die sportpolitische Volte der Fifa-Führung das Augenmerk der Justiz wieder stärker auf Zürich richten wird. "Was werden die Strafverfolger in Bern machen, was die Strafverfolger in den USA?" In den laufenden US-Verfahren nach dem Anti- Mafia-Gesetz "Rico" gilt die Fifa bislang als Opfer. Sollte sich das ändern, könnte dies den Weltverband in Existenznot bringen - die US-Justiz forderte von der Fifa-Spitze wiederholt glaubwürdiges, ethisches Handeln ein. Für Eckert ist klar: "Die Ethikkommission war aus Sicht der Amerikaner, auch aus Sicht der US-Anwälte der Fifa, eine Institution der Integrität, weil sie interne Missstände konsequent und durchgängig aufgearbeitet hat. Nun muss man abwarten, wie es bei den Amerikanern ankommt, dass in der Fifa die Leute herausgenommen wurden, die diese Arbeit gewährleistet haben."

Den Handstreich gegen Ethik- und Governance-Stab hatten Infantinos Leute, entgegen dem laut Reform gebotenen Transparenzgebot, erst bei der Ratssitzung am Dienstag überfallartig geführt. Dass der US-Fußballchef Sunil Gulati für Borbely sowie der deutsche Kollege und DFB-Präsident Reinhard Grindel für beide Kammerchefs plädierten, fand kein Gehör. Erst Mittwochabend begründete die Fifa, wohl auf den massiven Druck der internationalen Medien hin, ganz kurz ihren Coup. Man habe neue, profilierte Experten berufen, die "besser die geografische und geschlechtsspezifische Vielfalt widerspiegeln", die einfach Teil einer globalen Organisation wie der Fifa sein müssten. Im Schatten der Ethik-Affäre wurde ein anderes Kernthema abgehandelt: die sofortige Vergabe der Mammut-WM 2026 mit 48 Teilnehmern an die USA, Kanada und Mexiko. Das amerikanische Trio hatte gehofft, der Kongress könne womöglich schon in Bahrain den Zuschlag unter gewissen Auflagen erteilen. Das lehnte der Fifa-Rat ab, stattdessen beschloss er, dass mögliche andere Interessenten weitere drei Monate Zeit für eine Kandidatur erhalten sollen. In der Realität fragt sich allerdings: Wer sollte in so kurzer Zeit noch eine trag- und konkurrenzfähige Bewerbung hinbekommen? Ändern dürfte dieser Aufschub nichts an der quasi beschlossenen WM-Vergabe. Zudem ist es so, dass die Fifa eingedenk des anwachsenden Ermittlungsdrucks aus den USA selbst größtes Interesse daran haben muss, das Land in die eigenen Zukunftsplanungen einzubinden. Ob sich mit so einem gemeinsamen Projekt dann auch manches Problem leichter regeln ließe? Das passt ins klassische sportpolitische Denken. Überdies sind Anwärter aus Europa und Asien wegen der Turniere 2018 in Russland und 2022 in Katar ohnehin ausgeschlossen. Und auch sonst ist kein anderer Kandidat in Sicht für die erste, weiter aufgeblähte Jedermann-WM.

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