Fifa:Blatters brisante Andeutungen zur WM-Vergabe 2018/2022

Lesezeit: 3 min

Kurzer Harmonie-Flash oder Schauspielerei? Fifa-Präsident Sepp Blatter (links) und Uefa-Präsident Michel Platini pflegen ein distanziertes Verhältnis. (Foto: Patrick B. Kraemer/AP)
  • Die Andeutung von Sepp Blatter über Absprachen vor der Vergabe der WM 2018/2022 empört damalige Verlierer wie England.
  • Das Interesse der Schweizer Behörden ist längst geweckt. Gab es damals gar keine richtige Wahl?

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, München

Am 2. Dezember 2010 öffnete Sepp Blatter in Zürich zwei Briefumschläge. Es ging um die Wahl der Ausrichter für die Weltmeisterschaften 2018 und 2022, auf dem ersten Zettel stand Russland, auf dem zweiten Katar. Wobei "Wahl" wohl ein falscher Begriff ist für das, was da ablief.

Offenbar hätten die Mitarbeiter des Fußball-Weltverbands Fifa schon Monate vorher die Zettel mit den Siegernationen drucken können - weil da schon feststand, wie es ausgeht. Den Verdacht gibt es schon lange. Aber nun spricht sogar der (derzeit suspendierte) Fifa-Chef Sepp Blatter höchstselbst von klaren Absprachen vor der Kür.

Fifa-Kandidatur von Platini
:"Ich bin der Beste, um den Weltfußball zu führen"

Die Fifa ermittelt gegen Michel Platini, dennoch hält sich der Franzose für den geeigneten Blatter-Nachfolger.

Am Mittwoch veröffentlichte die russische Agentur Tass ein langes Interview. Es habe, führt Blatter darin aus, in der Fifa-Exekutive 2010 die Übereinkunft gegeben, die Turniere nach Russland und in die USA zu vergeben. "So hätten wir die WM in den Ländern mit der größten politischen Macht gehabt", sagte er.

Aber dann sei es im September 2010 zu jenem berüchtigten Dinner von Michel Platini, dem Chef der Europa-Union Uefa, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und dem Emir von Katar gekommen. Vier Europäer seien nach dem Abendessen umgeschwenkt - weshalb der Gastgeber der WM 2022 jetzt nicht die USA seien. Sondern Katar.

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt seiner Darstellung in den Details ist die Aussage enorm brisant: Der Fifa-Chef selbst erklärt, dass weit vor der offiziellen Vergabe abgemacht gewesen sei, wer die WM-Turniere erhalten soll. Am Donnerstag veröffentlichte die BBC einen Audio-Mitschnitt des Gesprächs. Blatters Wortwahl ist eindeutig, er könnte sich da kaum mit Verweis auf Missverständnisse oder Übersetzungsfehler herausreden. Entsprechend heftig fallen die Reaktionen in den Ländern aus, die für 2018 gegen Russland kandidierten - und jetzt, nach Blatters Sätzen, argwöhnen, dass ihre millionenschweren Bewerbungen ohnehin nie Erfolgsaussichten hatten: aus sportpolitischen Gründen.

In England, das bei der Wahl für 2018 mit zwei Voten in Runde eins gescheitert war, mehren sich die Forderungen, der nationale Verband FA solle die Bewerbungskosten von der Fifa zurückfordern. Laut Telegraph begann die Spitze der Föderation dazu auch schon die Beratungen mit ihren Anwälten.

Es geht um rund 30 Millionen Euro, darunter mehr als 2,5 Millionen öffentliche Gelder. Es wäre "sehr schön", wenn sie das zurückbekämen, sagte FA-Chef Greg Dyke. Die Chancen dafür stehen nach Ansicht von Experten nicht schlecht.

Alarmiert ist auch die Schweizer Bundesanwaltschaft von Blatters Aussagen. Die Strafbehörde ermittelt seit dem Frühjahr bereits explizit in der Frage, ob es rund um die Vergabe dieser beiden Weltmeisterschaften zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist - und jetzt bezeugt sogar der Fifa-Präsident selbst, dass es eine Form von Absprache gegeben habe.

Auf SZ-Anfrage ließ sie gestern Abend erste Aktivitäten anklingen: Sie werde "zu gegebenem Zeitpunkt kommunizieren".

In jedem Fall gerät die Schweizer Behörde nun in eine zunehmend kommode Situation. Denn Aussagen dieser Art mehren sich. Kürzlich berichtete eine Schweizer Ticketing-Firma über schräge Deals rund um den Weltverband und dessen schillernde Hausagentur Match. Dabei teilte der amerikanische Agenturberater Benny Alon auch mit, dass ihm der (mittlerweile ebenfalls suspendierte) Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke bereits im Frühjahr 2010 sowie, vor zwei weiteren Zeugen, auch noch einmal im Herbst 2010 erklärt habe, Katar stehe bereits als Ausrichter der WM 2022 fest.

Affäre um WM 2006
:Aufs falsche Konto

Sind die Millionen aus Deutschland diskret an Fifa-Patron Blatter geflossen? Warum dies ähnlich schlimm wäre wie Stimmenkäufe bei der WM.

Kommentar von Thomas Kistner

Also weit vor der offiziellen Vergabe. Nun legt Blatter eine Darstellung vor, die zwar im konkreten Zeitplan nicht mit Valckes Version übereinstimmt, wohl aber im wesentlichen Aspekt: dass es im Fifa-Vorstand, dem Wahlgremium, schon Monate zuvor klare Festlegungen auf die WM-Veranstalter gegeben habe.

Neben der Bundesanwaltschaft beäugt auch die Fifa-Ethikkommission diese Entwicklungen kritisch. Deren Spruchkammer hatte im Vorjahr festgestellt, dass die Vorgänge um die Bewerbungen für 2018/22 nicht ausreichend seien, um eine Neuvergabe zu fordern.

Der Beschluss war damals scharf kritisiert worden - auch intern. Ermittlungschef Michael Garcia sah seine Arbeit so falsch bewertet, dass er aus Protest das Amt niederlegte. Sollten neue Sachverhalte auftreten, kann die Ethikkommission dass Verfahren aber wieder eröffnen. Am Donnerstag teilte sie der SZ zu dieser Frage mit: "Aus taktischen Gründen äußern wir uns nicht, ob und in welchem Umfang ein Verfahren anhängig ist."

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

WM-Skandal des DFB
:Das zweite schwarze Loch

Die Geldflüsse rund um die WM 2006 werden immer mysteriöser: Anscheinend landete die Überweisung des deutschen Organisationskomitees über 6,7 Millionen Euro auf einem anderen Konto als bisher gedacht.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: