Fifa-Abschlussbericht zur ISL-Schmiergeldaffäre:Abzockerei auf Kosten des Fußballs

Joseph Blatter

"Blatters Glaubwürdigkeit ist jetzt noch weiter erschüttert": Transparency-International-Expertin Schenk über den Fifa-Präsident.

(Foto: dpa)

Wieder bleibt die vielschichtige Rolle von Fifa-Präsident Blatter weitestgehend unbeleuchtet: Der Fußball-Weltverband hat den Abschlussbericht zur ISL-Schmiergeldaffäre veröffentlicht - und der stößt auf Skepsis. Denn er passt in den Prozess der Fifa-gesteuerten Selbstreinigung.

Von Thomas Kistner

Groß waren die Erwartungen nie an die Fifa-eigene Ethikkommission, als diese einen Abschlussbericht zur ISL-Schmiergeldaffäre beim Fußball-Weltverband erarbeiten sollte. Die Agentur ISL hatte einst mehr als 140 Millionen Schweizer Franken an Sportfunktionäre ausgereicht, ein großer Teil ging an hohe Fußballvertreter, Fifa-Chef Sepp Blatter wusste seit vielen Jahren von den Praktiken. Leise Hoffnung auf eine ernsthafte Aufarbeitung lag auf Hans Joachim Eckert, dem Chef der Ethik-Spruchkammer. Doch was der Münchner Richter nun präsentiert, hat die Fifa so verzückt, dass sie gleich eine Erklärung Blatters nachschob: "Ich stelle mit Zufriedenheit fest, dass in diesem Bericht bestätigt wird, dass 'das Verhalten von Präsident Blatter unter keinerlei Fehlverhalten von Ethikregeln fallen konnte'."

Auch der umstrittenen Fifa-Chefreformer Mark Pieth, dem jüngst in der Trace-Präsidentin Alexandra Wrage schon die erste Governance-Expertin türenknallend von der Fahne gegangen war, applaudierte.

Hingegen reagierten die unabhängigen Experten der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International (TI) geschockt auf Eckerts Report. "Der Bericht spielt Blatters Rolle runter, er ist sehr unbefriedigend und verniedlichend. Eckert drückt sich um die zentralen Fragen", sagte die TI-Sportbeauftragte Sylvia Schenk. Integres Verhalten beginne "nicht erst an der Strafrechtsgrenze", schrieb sie dem bayerischen Richter ins Stammbuch.

Blatters Rolle bleibt fast völlig unbeleuchtet

4200 Seiten bekam Eckert vom Fifa-internen Chefermittler Michael Garcia vorgelegt. Die hat er in wenigen Wochen studiert und dazu eine neunseitige Erklärung gezimmert, die von Pieth als "umfassend und professionell" gelobt wird. Das stößt schon deshalb auf Befremden in der Branche, weil Blatters vielschichtige Rolle fast völlig unbeleuchtet bleibt.

Insbesondere die Frage, warum er von 1995 bis 1997 als hauptamtlicher Chef und Fifa-Generalsekretär in zwei Ausschreibungsverfahren für die Fernseh- und für die Marketing-Rechte an den Weltmeisterschaften 2002/06 alle anderen Bieter gezielt ausbremste, um die Partner von der ISL ins Geschäft zu hieven. Dies ist über die Geschäftskorrespondenz klar dokumentiert.

Warum Blatter dies tat, angeblich ja ohne zu wissen, dass diese ISL die Schmiergeldagentur für hohe Fifa-Leute um seinen Präsidenten und Förderer Joao Havelange war - das hätte man schon gerne gehört in einem sogenannten Ethik-Verfahren. Zumal andere Bieter teils signifikant höhere Gebote als die ISL gemacht hatten.

Die Konkurrenten wurden gar so massiv an der Nase herumgeführt, dass Eric Drossart, Chefmanager der US-Sportagentur IMG, Blatter persönlich anklagte: "Es fällt sehr schwer, zu einem anderen Schluss zu kommen als zu dem, dass hier zwei Sorten von Regeln angewendet werden. Eine für die ISL, und eine für alle anderen", schrieb er. Drossart nannte Blatters Zwischenbescheide während des Bieterverfahrens "kosmetische Übungen", um die Fifa gegen "künftige Vorwürfe der unfairen und unsauberen Wettbewerbsführung zu schützen" - die dmals bereits in der Presse erhoben werden.

Bestechung war das Geschäftsprinzip

Auch im Fifa-Vorstand regte sich so starker Verdacht, dass Vertreter aus Europa und Afrika die Einberufung eines "Arbeitskomitees" für die Rechtevergabe erwogen.

Doch Havelange sorgte dafür, dass die Verfahren in Blatters Händen blieben. Erst als das Duo an der Fifa-Spitze sogar eine Art Gemeinschaftsagentur mit der ISL ansteuerte, zogen Ende 1997 die oppositionellen Vorstände aus Europa und Afrika die Notbremse. Als dann im März 2008 sechs ISL-Spitzenmanager unter dem Chefstrategen Jean-Marie Weber vor dem Zuger Strafgericht standen, gaben sie zu, dass Bestechung das Geschäftsprinzip war.

Allein von 1989 bis 2001 brachte die ISL 142 Millionen Franken Schmiergelder für allerlei Sportverbände auf. Die Insolvenzverwalter fanden Dutzende Begünstigte, Tarnfirmen, Barauszahlungen. Bis heute ist aber nur ein Bruchteil dieser Riesensumme ihren Empfängern zuzuordnen - daher ist bis heute auch ungeklärt: Haben vom schmutzigen Spiel nur die paar Figuren profitiert, die auf den Zahllisten identifizierbar sind? Also nur Männer wie Havelange, sein Ex-Schwiegersohn Ricardo Teixeira und der Paraguayer Nicolas Leoz, die mit Tarnfirmen, teils aber auch namentlich vermerkt sind?

Im Mai ein beifallumrauschtes Finale

Vorm Zuger Strafgericht betonte ISL-Verwaltungsratschef Christoph Malms 2008 die Zwangslage seiner Agentur: Korruption "war unerlässlich, sie war branchenüblich, sie gehörte zum Stil des Geschäfts. Ohne das geht es nicht." Schmiergelder wurden quasi wie Gehälter ausbezahlt, alle paar Monate gab es Überweisungen in Steuerparadiese. Das Beste dabei: Die Abzockerei auf Kosten des Fußballs war nicht einmal ungesetzlich - zu der Zeit war Korruption von Sportfunktionären in der Schweiz straffrei. Geldbote Weber sagte in Zug auf die Frage des Richters nach den Empfängern, die nur er persönlich kennt: "Ich kann es nicht sagen - es ist eine Frage der Ehre."

Im Prozess wurde auch Blatter zumindest moralisch belastet. Malms' Strafverteidiger Werner Würgler trug vor, Blatter müsse vom Schmiersystem der ISL gewusst haben. Denn er habe Malms, als dieser die Bestechungszahlungen einstellen wollte, gedroht: Wenn Weber seine Position verlöre, "sei es um die ISL schlecht bestellt". Auch Havelange, ein nachweislicher Millionen-Profiteur, habe sich früher so deutlich geäußert. Würgler erläutert, ob dieser Drohungen sei es "der ISL-Gruppe wirtschaftlich nicht möglich gewesen, vom System der Provisionszahlungen abzurücken". Blatter hat stets jede Beiteiligung am ISL-Schmiergeldkomplex bestritten.

Doch hat Richter Eckert, der neue Fifa-Chefethiker, all diese Vorgänge und Fakten in Rechnung gestellt? Formuliert hat er den Kernsatz zur Affäre durchaus: "Kritisch hinterfragt werden muss jedoch, ob Präsident Blatter in den Jahren vor dem Konkurs der ISL wusste oder hätte wissen müssen, dass die ISL an andere Fifa-Offizielle Zahlungen (Schmiergeld) getätigt hat." Doch dann mag Eckert nicht mal darin, dass Blatter am 3. März 1997 eine von der ISL versehentlich an die Fifa weitergeleitete Schmiergeldsumme von 1,5 Millionen Schweizer Franken für Havelange sogleich zurücküberweisen ließ, etwas ausreichend Anrüchiges erkennen.

Fifa-gesteuerte Selbstreinigung

Schließlich habe Blatter ja bei dem - von ihm selbst eingesetzten - Fifa-Chefermittler Garcia behauptet, dass er damals gar "nicht verstanden habe, dass jemand Geld an die Fifa für eine andere Person schickt, er habe aber nicht den Verdacht gehabt, dass die Zahlung eine Provision gewesen sei".

Laut Eckert fällt Blatters Verhalten hier "unter keinerlei Fehlverhalten von Ethikregeln", weil der Fifa-Ethikcode erst 2004 entstand. Dass es ethische Maßstäbe schon vor dieser Zeit gegeben haben könnte, spielt bei dem Strafrichter offenbar keine Rolle. "Das Verhalten von Präsident Blatter mag ungeschickt gewesen sein, da sich intern ein Aufklärungsbedarf aufdrängte, zu einem strafrechtlichen oder ethischen Fehlverhalten führt dies nicht", urteilt Eckert.

"Blatter war also ungeschickt! Bei der Formulierung weiß man gar nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll", sagt TI-Expertin Sylvia Schenk. Zudem habe es auch ohne Ethikcode schon in den neunziger Jahren ethische Standards gegeben, "und schon damals wäre die Schmiergeldaffäre ein Riesenskandal gewesen, wenn sie aufgeflogen wäre".

Der formaljuristische Befreiungsschlag passt in den Prozess der aktuellen Fifa-gesteuerten Selbstreinigung, die beim Kongress Ende Mai auf der Urlaubsinsel Mauritius in ein beifallumrauschtes Finale münden soll. Beoachter bekräftigen nun, dass mit unabhängiger Ethik-Arbeit nie zu rechnen war. Die zweigeteilte Kommission ist mit all den Leuten besetzt, die Blatters Fifa schon vor Jahren berief, nur die zwei Kommissionschefs sind neu - wobei die Schlüsselstelle des Chefermittlers an den Vorschlägen der Reformgruppe vorbei von der Fifa-Spitze besetzt worden war. Mangelnde Unabhängigkeit und zahlreiche Interessenskonflikte prägen das Gesamtbild. Auch lässt Eckerts neunseitige Darlegung wenig Rückschlüsse auf die Qualität der Untersuchung oder gar der ermittelten Fakten zu.

Das von der Fifa großenteils ernannte und finanzierte Governance-Konstrukt berichtet in einem stillen Verfahren an just die Leute, die es zu untersuchen hat; am Ende steht das wenig überraschende Verdikt, dass dem seit über 30 Jahren den Verband steuernden Blatter kein Fehlverhalten anzulasten sei. Ins Gesamtbild passt, dass sich Fifa-Ehrenpräsident Havelange und der paraguayanische ISL-Kostgänger Leoz schon vor Offenlegung des Reports per Rücktritt aus der Schusslinie ziehen durften.

TI-Expertin Schenk berichtete am Dienstag über eine Fülle empörter Medienanfragen aus aller Welt. Ihr erster Eindruck: "Blatters Glaubwürdigkeit ist jetzt noch weiter erschüttert. Mit diesem Schlussbericht ist wieder etwas dazugekommen, man braucht wohl nur noch abzuwarten, bis das Fass endgültig überläuft."

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