Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Vettel braucht dringend ein besseres Auto

  • Beim Epilog der diesjährigen Saison gefallen sich die Protagonisten in ihren gewohnten Rollen.
  • Hamilton herrscht, bei Ferrari geht es dagegen manchmal dilettantisch zu.
  • Danach könnte sich ein interessanter Fahrertausch zwischen den Topteams ereignen.

Von Philipp Schneider

Nun also ist der Vorhang gefallen, mal wieder in Abu Dhabi, am Ende eines Jahres in der Formel 1. Aber diesmal war etwas anders. Diesmal sind die Protagonisten zum Abschied auf die Bühne getreten und haben sich noch einmal den Applaus abgeholt für exakt jene Charaktere, die sie schon das ganze Jahr zur Unterhaltung des Publikums gemimt hatten. Wahrlich niemand ist zum Abschied aus der Rolle gefallen.

Lewis Hamilton warf sich zum Abschluss noch einmal in das Gewand des unnahbaren Herrschers. Als Insignien trug er Pole-Position, Streckenrekord, Start-Ziel-Sieg und die schnellste Rennrunde vor sich her; er fuhr alleine vorne weg, die Kollegen sah er nur beim Überrunden. Max Verstappen und Charles Leclerc, die 22-Jährigen auf dem Siegertreppchen, gefielen sich mal wieder in der Darstellung von Hamiltons raubeinigen Thronfolgern, die nur noch unter sich auszukarteln haben, wer Hamilton eines Tages mal nachfolgen wird. Vielleicht folgen sie auch beide.

Und dann war da noch Sebastian Vettel, ein viermaliger Weltmeister. Der gefallene Held. Als der Vorhang sich schloss, wussten die Zuschauer mal wieder nicht, ob sie lachen oder weinen sollten. Fünfter Platz im Rennen, fünfter Platz in der Endabrechnung, in seinem fünften Anlauf bei Ferrari, seinen fünften Titel zu gewinnen. Dazu ein Crash am Freitag und ein Dreher am Samstag. "Das Rennen war ein bisschen sinnbildlich für die Saison", fand auch Vettel, betonte aber tapfer: "Es war nicht so schlecht, wie es aussieht, denn es gab viele Kleinigkeiten, die am Ende wahrscheinlich das große Bild beeinträchtigt haben."

Im Zweifel gilt die Unschuldsvermutung

Das große Bild bei der Scuderia bleibt ein sehr rätselhaftes. Fehler passieren in der Formel 1, aber die hohe Frequenz, in der sich die Italiener mit Unkonzentriertheiten um den Ertrag bringen, war 2019 beeindruckend. Auch in Abu Dhabi blieben sich die Experten aus Maranello treu: Am Samstag schickten sie Leclerc in der Qualifikation zu spät auf die Strecke und brachten ihn so um die Möglichkeit, noch eine schnellste Runde vorzulegen. Am Sonntag füllten sie sechseinhalb Liter mehr Sprit in seinen Tank, als sie angegeben hatten.

Mehr Sprit ist nicht einmal verboten. Mehr Sprit einfüllen als angeben, ist vermutlich nur dilettantisch.

Das zusätzliche Gewicht bremst den Piloten sogar. Verboten ist lediglich, in einem Rennen mehr als die erlaubten 110 Kilogramm Benzin zu verbrennen. Und so aber geriet die Scuderia im für sie besten Fall beim Epilog der Formel 1 mal wieder unnötig in den Verdacht zu schummeln.

Warum, fragten manche, sollte ein Team mehr Benzin einfüllen, als es angibt? Es sei denn, es will das Benzin zusätzlich und heimlich in den Motor einspritzen! Die Konkurrenz hat das immer wieder vermutet - die Fia ließ es auch untersuchen. Im Zweifel gilt die Unschuldsvermutung.

Für die Schlampigkeit seines Teams hätte Leclerc noch vor dem Start disqualifiziert werden können. Stattdessen kam Ferrari mit 50 000 Euro Geldstrafe davon. Bei einem Jahresbudget, das ziemlich genau zehntausendmal so hoch liegt, bei 500 Millionen Euro, zahlt Ferrari diese Strafe aus der Kaffeekasse. Es war Milde, wenn nicht Mitleid, von der sich die Kommissare leiten ließen. War Ferrari nicht gestraft genug am Ende einer Saison, die seine Fahrer nur als Vierter und Fünfter beendeten?

Aber für Sebastian Vettel blieb es am Sonntag nicht einmal bei den erwartbaren unangenehmen Fragen. Also jenen über die Saison und seinen schnellen Teamkollegen Leclerc, der gleich in seinem ersten Jahr bei Ferrari zwei Rennen gewonnen hat - unter anderem das für die Italiener heilige in Monza. Hinzu kamen sieben Pole Positionen, niemand war 2019 schneller bei der Zeitenjagd als Leclerc, nicht einmal Hamilton. Vettel parkte nur zweimal ganz vorne, und er gewann nur in Singapur.

Hamilton, Vettel, Verstappen - die Verträge der Topfahrer laufen aus

Und am Sonntag musste er sich auch noch in eine Debatte reinziehen lassen, die Hamilton zumindest nicht verhindern wollte: Der dementierte nicht, sich zuletzt zweimal mit Fiat- und Ferrari-Boss John Elkann getroffen zu haben. Inhalt der Gespräche? Nicht näher bekannt. Er liebe es da, wo er sei, also bei Mercedes, sagte Hamilton. "Und deshalb wird es auch bestimmt keine schnelle Entscheidung geben, etwas anderes zu tun." Hieß das nun, er könnte, wenn er wollte, die schnelle Entscheidung treffen, 2021 zu Ferrari zu wechseln?

Nach der kommenden Saison laufen die Arbeitspapiere von Hamilton, Vettel und Verstappen aus. Man darf jetzt schon davon ausgehen, dass es zu harten Verhandlungen und noch wilderen Spekulationen kommen wird als jetzt schon.

Hält man die aus? Vettel schon. Er löst die Situation mit Humor. "Ich glaube, Lewis ist schon ein Ferrari-Fahrer", konterte Vettel in Abu Dhabi. Hamilton sei "ein guter Kunde". Das war eine herrliche Retourkutsche für Hamiltons wiederholtes öffentliches Kokettieren auf Instagram. Dort war er in den vergangenen Wochen auf Fotos zu erleben, Seite an Seite mit einem Ferrari aus seinem persönlichen Fuhrpark. Auf ein Foto hatte er geschrieben: "Who wants to come for a ride with me?" - er wollte wissen, wer Lust habe, mit ihm gemeinsam Ferrari zu fahren. Wäre sein Verhältnis zu Mercedes nicht so blendend, Hamiltons Anbandeln bei der Konkurrenz würde glatt als Kündigungsgrund taugen.

Vettels größtes Problem in diesem Jahr war allerdings nicht Leclerc, sondern sein Dienstwagen. Das gab auch Ferraris Teamchef Mattia Binotto zu. Die Saison, sagte Binotto, habe die Scuderia schon im Jahr 2018 am Zeichenbrett verloren. "Als wir unser Auto entworfen haben." Technikchef von Ferrari, also für den Entwurf verantwortlich, war im Vorjahr: Mattia Binotto. Sein Chef war damals der kauzige Maurizio Arrivabene. Und mit diesem lieferte sich Binotto vor einem Jahr ein Duell um die künftige Ausrichtung und Führung der Scuderia. Binotto gewann und wurde Arrivabenes Nachfolger. Doch das Auto der Gegenwart wurde gezeichnet im Pulverdampf der Vergangenheit. Dass sich der verzogen hat, ist Vettels Antrieb. Er sagt: "Ich bin schon eine Weile dabei, deshalb nutze ich die Erfahrung und hoffentlich auch das bisschen Weisheit, um die Dinge zu meinen Gunsten zu wenden."

An diesem Dienstag sitzt Vettel schon wieder im Ferrari in Abu Dhabi, er testet für die kommende Saison. Für den nächsten Versuch, sich seinen Kindheitstraum vom Titelgewinn im Ferrari zu verwirklichen. Es könnte sein letzter sein.

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SZ vom 03.12.2019/ebc
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