Ferrari in der Formel 1:Ein Auto, mit dem Vettel Weltmeister werden muss

Ferrari in der Formel 1: Fiat- und Ferrari-Boss John Elkann (v.l.) , neben den Fahrern Sebastian Vettel und Charles Leclerc.

Fiat- und Ferrari-Boss John Elkann (v.l.) , neben den Fahrern Sebastian Vettel und Charles Leclerc.

(Foto: AFP)
  • Der neue "SF 1000" könnte Sebastian Vettels letzter Dienstwagen in der Formel 1 sein.
  • Ob Vettel endlich Weltmeister in Rot wird, hängt auch davon ab, ob der Wagen besser ist als sein enttäuschender Vorgänger.

Von Philipp Schneider

Dort, wo sich nun ein roter Rennwagen auf einem Präsentierteller dreht, hängt an gewöhnlicheren Tagen ein im Jahr 1857 vom italienischen Maler Alfonso Chierici gestalteter Vorhang von der Decke. Dessen schwerer Stoff zeigt seit 163 Jahren eine hübsche Szene: Das Sonnenlicht bricht durch einen Spalt in den Wolken, bündelt sich in einem Strahl, und genau dort, inmitten des gleißenden Lichts, steigt das Genie in Menschengestalt zu den Italienern hernieder. Diejenigen, die das Genie empfangen, Vertreter der Schönen Künste, fläzen sich auf dem Vorhang im sattgrünen Gras und im Schatten der Bäume; zur Vollkommenheit der Idylle fehlt nur ein Picknickkorb. Jaja, das 19. Jahrhundert. Wobei: So eine Geniewerdung im Schlaraffenland, die dürfte auch heute den zeichnenden und rasenden Männern der Scuderia Ferrari gefallen.

Wegen des Vorhangs hat der Formel-1- Rennstall aus Maranello nicht geladen ins neoklassizistische Theater des 30 Kilometer entfernten Reggio nell'Emilia. Das gilt als Geburtsstätte der Tricolore, der Flagge, die später zum Symbol des vereinten Italiens aufstieg. "Ferrari ist stolz auf Italien. Und Ferrari ist stolz, Italien in der Welt repräsentieren zu dürfen", sagt John Elkann, der Enkel des legendären Gianni Agnelli, einst geschäftsführender Gesellschafter von Fiat und seinerseits Enkel von Gianni Agnelli senior, dem Gründer der italienischen Automobilindustrie: "Die Flagge wurde in dieser Gegend geboren - und Ferrari auch." Bescheidenheit war nie eine Tugend der geistigen Erben von Enzo Ferrari.

Dienstagabend, die Bühne des Teatro Municipale. Nicht nur Elkann ist gekommen, auch Mattia Binotto ist da, der Teamchef der Scuderia. Neben ihm stehen die Fahrer Charles Leclerc und Sebastian Vettel. Und hinter ihnen dreht sich der neue rote Rennwagen unschuldig im Scheinwerferlicht. Er könnte Vettels letzter Dienstwagen in der Formel 1 sein; sein Vertrag läuft aus. Den von Leclerc, seines zehn Jahre jüngeren Kollegen, der ohnehin bis 2022 gelaufen wäre, hat Ferrari am Tag vor Heiligabend bis 2024 verlängert. Nicht als plumpes Weihnachtsgeschenk, sondern um ein Signal zu senden, auch an die Konkurrenz: Dieser Rennfahrer ist die Zukunft der Scuderia. Auch dann noch, wenn Vettel nicht mehr im Ferrari sitzt. Aber heute ist nicht der Tag für trübe Gedanken.

Vettel lächelt. "Er ist ein bisschen röter als im vergangenen Jahr", sagt Vettel über den Wagen, zu dem er ein innigeres Verhältnis unterhalten möchte als zu dem von 2019. Dessen störrisches Heck war ihm in den Kurven nicht immer untertan. Der Name des Neuen passt gut zur Bombast-Kulisse seiner Präsentation: "SF1000", in Anlehnung an den 1000. Grand Prix, den Ferrari in dieser Saison bestreiten wird.

Kimi Räikkönen war 2007 der bislang letzte Ferrari-Weltmeister

Vieles wird für Vettel, 32, in seinem vorerst letzten Vertragsjahr davon abhängen, ob im Winter ausnahmsweise das Genie gefahren ist in die Konstrukteure und Ingenieure in Maranello. Ob sie also dem viermaligen Weltmeister aus Heppenheim einen Wagen hinstellen, mit dem er seine Mission beenden kann, die er vor fünf Jahren angetreten ist: Vettel will, nein, er muss endlich Weltmeister werden in Rot. Und dafür muss er schneller sein als Leclerc, 22. Der Monegasse entpuppte sich schon 2019, in seiner Debüt-Saison bei Ferrari, als Meister im Gewand eines Lehrlings. Leclerc düpierte Vettel häufig, er gewann mehr Rennen, sicherte sich mehr Pole Positions.

Seit Kimi Räikkönens Titel 2007 und dem Sieg in der Konstrukteurswertung 2008 haben die Italiener keinen WM-Pokal mehr in ihre Vitrine stellen dürfen. Und nachdem sich der Rennstall 2017 und 2018 positiv entwickelt und den Rückstand zu Mercedes verringert hatte, erlebte er 2019 einen Rückschlag. Richtig in Fahrt geriet Ferrari erst in der zweiten Saisonhälfte. Als die Konkurrenten den einen oder anderen unerlaubten Vorgang im Motorraum der Ferraris vermuteten, die dann vom Automobil-Weltverband Fia auch verboten wurden. Der Verdacht, dass Ferrari nicht nur langsamer, sondern auch noch ein Betrüger war, wurde nie offiziell ausgeräumt. Leclerc und Vettel belegten am Ende die Ränge vier und fünf in der Gesamtwertung; zweimal gewann Leclerc, einmal Vettel. Zu wenig für einen Rennstall, der stolz ist, Italien in der Welt zu repräsentieren.

"Wir müssen aus unseren Fehlern lernen", sagte Teamchef Mattia Binotto. "Wir müssen uns auf die Verlässlichkeit konzentrieren." Schon vor einigen Tagen hatte er eine deutliche Verbesserung des neuen Boliden im Vergleich zum enttäuschenden SF90H versprochen. "Es stimmt, dass wir viel mehr Rennen hätten gewinnen können, doch um einen Titel zu holen, brauchst du das schnellste und das zuverlässigste Auto", sagte er: "Wir müssen eine Lücke schließen, das ist machbar."

Die ungeklärte Machtfrage im Team wurde 2019 zum Problem

Was ebenfalls machbar sein müsste: Dass Binotto nicht wieder so irrlichtert als Führungskraft wie 2019. Als es manchmal so aussah, als folgten seine Piloten ihren Eitelkeiten und Karriereplänen, nicht aber der Stimme aus dem Boxenfunk. 2019 hatte Binotto vor der Saison erklärt, Vettel würde bei der Scuderia in Situationen, in denen beide Fahrer die gleichen Siegchancen hätten, Priorität genießen. Schon im dritten Rennen in China geriet Binotto deshalb teamtaktisch in Nöte, und im Laufe der Saison fuhr Leclerc nicht nur auf Augenhöhe: Er war schneller als Vettel. Die ungeklärte Machtfrage im Team gipfelte in einem peinlichen Crash beider Angestellter im vorletzten Rennen in Brasilien.

Binotto hat seine zu Saisonbeginn getroffene Entscheidung verteidigt: Niemand hätte ahnen können, dass Leclerc seinen Ferrari derart abgebrüht lenken würde. "Als wir in die Saison gestartet sind, war die Situation eine andere", meinte er: "Wir hatten einen Rookie und einen erfahrenen Fahrer im Team." Kürzlich hat Binotto dem halbgaren Nummer-eins-Status von Vettel offiziell entsagt.

"Wir sind alle auf ein Ziel konzentriert, und das ist zu siegen", sagte Ferrari-Präsident Louis Camilleri, der sich im Theater ebenfalls auf der Bühne zeigte. Elkann wies darauf hin, Ferrari sei immer dann am besten gewesen, wenn alle Teammitglieder auf dasselbe Ziel hinarbeiten. Ob sich künftig Rangeleien der Piloten auf der Strecke allerdings unterbinden lassen, indem man sie gemeinsam die italienische Flagge halten lässt, muss sich noch zeigen.

Die anstehende Saison ist die letzte, in der die Teams ungebremst Geld ausgeben dürfen

Vettels und Leclercs Rivalität mit Lewis Hamilton im Mercedes und Max Verstappen im Red Bull wird 2020 unter besonderen Umständen ausgetragen. Die anstehende Saison ist die letzte, in der die Teams ungebremst Geld ausgeben dürfen. Von 2021 an greift ein neues Reglement und zudem eine Budgetdeckelung. Für die drei reichen Teams bedeutet dies, dass sie ihren Entwicklungsvorsprung, den sie behalten wollen, 2020 finanzieren müssen. "Das bedingt natürlich zusätzliche Ressourcen und Ausgaben in diesem Jahr", kündigt Präsident Camilleri an. Heutzutage lässt sich das Genie eben ein wenig bestechen, damit es in die Konstrukteure fährt.

Vor dem ersten Rennen in Melbourne am 15. März stehen für alle Teams noch Testfahrten in Barcelona an. Vettel hat schon jetzt ein gutes Gefühl, er denke, dass der SF1000 ein "Schritt nach vorne" sei. Es sei aber auch so: "Teil des Abenteuers ist, dass wir geduldig sein müssen."

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