Ferrari in der Formel 1:Rote Göttin, rote Gurke

Formel 1: Ferrari feiert mit Michael Schumacher seinen 7. WM-Titel 2004

Bis heute der größte aller Ferrari-Fahrer: Die Scuderia Ferrari freut sich 2004 über den siebten und letzten Weltmeistertitel von Michael Schumacher.

(Foto: imago images/HochZwei)

Kein anderer Rennstall ist so lange Teil des Rennzirkus wie Ferrari. 1000 Starts, unzählige Dramen und Geschichten begleiten die Scuderia. Rückblick auf Jahrzehnte der Motorsport-Historie.

Von Elmar Brümmer

Wer denkt, dass das, was in dieser Saison mit Ferrari passiert, demütigend ist, der sei an den Nacht-Grand-Prix 2008 in Singapur erinnert. Felipe Massa bekommt grünes Licht, beschleunigt in die Boxengasse - und muss wieder rechts ranfahren. Im Heck seines Autos steckt noch der Tankstutzen - samt Schlauch. Ein Fehler, der dem Brasilianer am Saisonende den Titel kosten wird. Stattdessen geht der an Lewis Hamilton. Eine Schar Mechaniker muss sich im gleißenden Flutlicht und unter dem Spott des Publikums mit geschultertem Tankschlauch auf den Weg zurück zur Garage machen. Von oben wirkt es wie ein riesiger roter Tausendfüßler. Ein peinlicher Gang, aber die Männer machen ihren Job mit ernster Miene und erhobenen Hauptes.

An solchen Szenen lässt sich erkennen, was diesen Rennstall ausmacht: Leidenschaft, Drama, Stolz. Gewiss, das werden auch alle anderen Teams von sich behaupten. Aber niemand treibt diese Emotionen so zuverlässig in den roten Bereich. Überhaupt kein anderer hat bislang die Bestmarke erreicht, die Ferrari an diesem Wochenende geschafft hat: Der Gran Premio della Toscana war das 1000. Rennen der Scuderia in der Formel 1 und daher im offiziellen Titel auch um das Jubiläum ergänzt. Der nächstbeste Rennstall, McLaren, kam auf bislang 872 Grand-Einsätze. Trotz aller 16 Konstrukteurs- und 15 Fahrertitel gilt aber auch die Maxime: Ferrari lieben heißt leiden. Vielleicht, weil nirgendwo so schön gelitten wird.

Tiefrot war die Ur-Farbe des Wagens, die Legende besagt, Enzo Ferrari habe einen Tropfen Blut hinzugegeben. Das klingt so wunderbar, dass man es einfach glauben muss. Geschichten wie diese formen den Mythos, und der 1988 verstorbene Commendatore hätte seinen Spaß daran. Sein Ego war mit Abstand das größte, niemand durfte über der Marke - also ihm - stehen. Die Besten wollten für ihn fahren, aber behandelt hat er sie wie Chauffeure.

Der Südafrikaner Jody Scheckter, vor Ausnahmepilot Michael Schumacher für 21 Jahre letzter Weltmeister in Rot, hatte sich bei den Ingenieuren über den Motor beschwert. Doch keiner der Angestellten wollte die Botschaft dem Chef übermitteln. "Der Alte hätte sie womöglich geköpft", erinnert sich Scheckter. Hinter vorgehaltener Hand wurde der Firmengründer auch "il drago", der Drache, genannt.

Auch Tragödien gab es

Allmacht als Triebfeder, das gehört zur Physik der Formel 1. In Maranello kommt ein doppelter Druck auf die Rennfahrer hinzu, von innen und außen. Nur wer die empfindsame italienische Seele versteht, wer zur richtigen Zeit die richtigen Beziehungen spielen lässt, wer sich mit der bei la macchina besonders ausgeprägten Fantasie der Sportzeitungen arrangiert, der kann dort glücklich werden. Talent und Willen allein reichen nicht.

Das hat gerade Vettel zu spüren bekommen, seinem Vorgänger Fernando Alonso erging es nicht anders. Im kommenden Jahr sinnen die beiden anderswo auf Rache, und dem mittlerweile nur noch zu bemitleidenden Teamchef Mattia Binotto fällt als Zielsetzung für die nahe Zukunft nichts anderes ein als die Maxime, besser als Vettel im Aston Martin abschneiden zu wollen. "Es hat sich viel verändert in tausend Rennen, aber unsere Liebe zum Wettbewerb und die Leidenschaft für diesen Sport ist gleich geblieben", twittert die PR-Abteilung in Mugello trotzig.

Rote Gurke, rote Göttin. So plakativ ist der Unterschied zwischen einem schlechten und einem guten Ferrari auszudrücken. Die Linie ist dünn, das Risiko groß. Trotzdem gilt es für alle Fahrer im Feld als die größte Ehre, einmal mit dem springenden Pferd auf dem Rennanzug anzutreten und Teil der Legende zu werden. Selbst Hamilton, der zum Saisonende wohl mit seinem siebten Titel Schumachers Rekord egalisieren wird, kann sich von diesem Reiz vermutlich nicht ganz freimachen. Privat besitzt er ja schon Autos aus Maranello. Aber auch er würde sich lieber über Siege im direkten Duell mit den roten Rennwagen definieren: "Die Formel 1 wäre nicht dasselbe ohne Ferrari. Ich hoffe, dass sie irgendwann wieder ganz vorne dabei sind."

Prototypen des Draufgängers

Wo Stolz ist, fährt immer auch Tragik mit. Der Kerpener Wolfgang Graf Berghe von Trips starb 1961 in Monza in einem Ferrari, kurz vor dem WM-Titel als erster deutscher Rennfahrer. Auch Gilles Villeneuve ließ sein Leben im roten Auto. Für Enzo Ferrari war er wie ein Sohn. Der Kanadier stellte den Prototypen eines Draufgängers dar, kaum jemand - Schumacher einmal ausgenommen - ist in Italien so verehrt worden. Niki Lauda überlebte schwer gezeichnet einen Feuerunfall am Nürburgring und stieg dann im Finale 1976 im Regen von Fuji aus.

Das Drama wurde Filmstoff, Enzo Ferrari hat es dem Österreicher aber nie verziehen, trotz Titelgewinns im Jahr darauf. Für erklärte Rennhelden wie Alain Prost oder Nigel Mansell war es auch mehr Last als Lust, in Rot zu starten. Es brauchte schon einen Stoiker wie Kimi Räikkönen, der vor 13 Jahren - durch glückliche Fügung - den letzten WM-Triumph errang.

Es gibt auch viele magische Geschichten wie jene aus der Saison 1988, jenem Jahr, in dem Enzo Ferrari mit 90 gestorben war. Ayrton Senna und Prost machten damals mit ihren McLaren alle Siege unter sich aus. Nur bei einem Rennen, dem im Autodromo Nazionale von Monza, gewann ein anderer: Gerhard Berger im Ferrari. Wenn da nicht Magie im Spiel war! Oder 1958, als ein gewisser Mike Hawthorn Weltmeister wurde - als erster Engländer. Drei Jahre später kam mit Phil Hill der erste US-Amerikaner hinzu, 1964 mit John Surtees der einzige Pilot, der auf zwei und vier Rädern Champion werden konnte. Selbstredend fuhr auch der letzte italienische Weltmeister, Alberto Ascari, für Ferrari - das liegt allerdings schon 67 Jahre zurück.

Piero Ferrari, Sohn von Enzo und heute Vizepräsident der Firma, weiß: "Ferrari ist einzigartig auf der Welt, denn wir besitzen die Seele eines Automobilherstellers und die eines Rennstalls. Diese Verbindung ist untrennbar, und wird daher nie in Frage gestellt werden." Die wahre Motivation findet sich ganz hinten im Jahrbuch. Dort sind alle je errungenen Erfolge eingezeichnet. Die Überschrift des Kapitels: "Ferrari gegen den Rest der Welt."

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