Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Drei Schumacher-Spezl am Steuer

Der ehemalige Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali wird neuer Formel-1-Boss - aber kann ein langjähriger Mitarbeiter der Scuderia echte Neutralität garantieren?

Von Philipp Schneider

Es gibt eine wunderbare Geschichte über Ferruccio Lamborghini, die viel zu gut ist, um sie nicht zu glauben. Geboren in einem Dorf in der Nähe von Bologna, war der Sohn eines Bauern nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Idee gekommen, alte Militärfahrzeuge aufzukaufen und sie umzurüsten zu Traktoren. Die Idee wurde zum Geschäftsmodell. Sie machte Lamborghini so reich, dass er beschloss, sich einen Sportwagen zu leisten: einen Ferrari 250GT, der im nicht weit entfernten Maranello gefertigt wurde.

Der Legende nach erwischte Lamborghini allerdings einen Ferrari mit technischen Kinderkrankheiten. So etwas war in den Sechzigerjahren noch seltener als in der Formel 1 der Gegenwart. Weswegen Lamborghini beschloss, das sündteure Montagsmodell zu reklamieren - und zwar bei Enzo Ferrari höchstselbst. Der Legende nach lauschte Ferrari den Worten des Traktorherstellers, dann sagte er: "Das Problem ist nicht das Auto, sondern der Fahrer." Na warte, soll Lamborghini gedacht haben, dann schwor er dem arroganten Konstrukteur Rache: Fortan baute er selbst Sportwagen - die Rivalität der zwei Marken ist längst legendär.

Vielleicht kramt Stefano Domenicali diese Geschichte bald hervor. Wenn er vorstellig wird als neuer Chef der Formel 1 ab 2021, was am Freitag verkündet wurde. Domenicali, 55, ist ja derzeit tatsächlich Geschäftsführer bei Lamborghini. Und wer zum Ferrari-Rivalen mit Sitz in Sant'Agata Bolognese wechselte, der kann doch unmöglich ausschließlich der Scuderia verpflichtet sein? Auch wenn er zuvor sein gesamtes Berufsleben beim Rennstall mit dem schwarzen Pferdchen verbracht hatte - und als Sportdirektor maßgeblich an der Erfolgsära Michael Schumachers mit insgesamt elf WM-Titeln zwischen 1999 und 2004 beteiligt war. Ehe er 2007 aufstieg zum Teamchef bei Ferrari und sich am ersten Tag in neuer Funktion vorstellte mit den Worten: "Ich sehe mich als geistiger Sohn von Enzo Ferrari."

Der geistige Sohn Ferraris an der Spitze der Formel 1? Kann da, Lamborghini hin oder her, Neutralität garantiert sein?

Es sind aufregende Tage, die die Formel 1 jenseits der Rennstrecken erlebt. Erst kürzlich haben die zehn Teams der Königsklasse das Concorde-Agreement erneuert. Sie haben sich auf einen Grundlagenvertrag bis einschließlich der Saison 2025 geeinigt, in dem sie Regeln ihres Miteinanders definiert hatten. Die Einigung hatte sich gezogen, was nicht allein der Pandemie geschuldet war. Und unterschrieben haben die Teams nun ein Papier, das im Wesentlichen durch zwei Aspekte besticht: Ferrari hat sich abermals seine Sonderrechte bewahrt, die neben Sonderzahlungen an das älteste Team der Formel 1 auch weiterhin ein exklusives Veto-Recht gegen allerlei mögliche Entscheidungen vorsieht.

Und Mercedes, das seit 2014 dominierende Team, hat sich eine Ausstiegsklausel jeweils zum Jahresende ausgehandelt. Vor dem Hintergrund der nicht verstummenden Gerüchte um eine möglichen Abschied des Herstellers aus der Formel 1 zum Jahresende 2021 trägt diese Klausel nicht gerade zur Vertrauensbildung bei. Zumal Teamchef Toto Wolff und dessen schnellster Angestellter Lewis

Hamilton auch noch keine Verträge über die Saison hinaus unterzeichnet haben.

In dieser schwammigen politischen Gemengelage rückt nun in Stefano Domenicali bereits der dritte langjährige Ferrari-Mann in die Machtzentrale der Formel 1, der an der Seite von Michael Schumacher sozialisiert wurde: Jean Todt, der als Teamchef bis 2007 Domenicalis Vorgesetzter bei Ferrari war, ist bereits Präsident der Fia. Der Automobil-Weltverband ist für das sportliche Reglement verantwortlich - und war so auch an dem intransparenten Deal beteiligt, mit dem Anfang des Jahres die Schummelvorwürfe wegen mutmaßlicher Unregelmäßigkeiten beim Benzinfluss der Ferraris unter den Teppich gekehrt wurden.

Das Triumvirat komplettiert: Ross Brawn, der genialische Ingenieur an Schumachers Seite, der inzwischen als Sportdirektor der Formel 1 arbeitet. Wer diese geballte Ansammlung von Schumacher-Spezln an den Hebeln der Macht als einen Einflussgewinn Ferraris deutet, der muss sich nicht als Verschwörungstheoretiker beschimpfen lassen.

Zahlreiche Kandidaten wurden zuletzt gehandelt als mögliche Nachfolger für den Amerikaner Chase Carey, der die Regentschaft in der Formel 1 2017 nach der Übernahme durch den Medienkonzern Liberty Media vom langjährigen Zampano Bernie Ecclestone übernommen hatte: Red-Bull-Teamchef Christian Horner etwa - vor allem aber Toto Wolff.

Dazu muss man allerdings wissen, dass dem 48-jährigen Wiener, dem 30 Prozent des Mercedes-Teams gehören und der sich kürzlich auch bei Sebastian Vettels künftigem Arbeitgeber Aston Martin als Investor eingekauft hat, abgesehen von der nächsten Mondlandung so gut wie alles zugetraut wird: sogar über eine Übernahme der Rennserie von Liberty Media, die Schaffung einer Formel Wolff, wurde spekuliert. Und so wird mancherorts auch geraunt, Ferrari habe sein Veto genutzt, um einen Vorstandsvorsitzenden Wolff in der Formel 1 zu verhindern.

Nun muss man Stefano Domenicali zugute halten, dass er im Gegensatz zu Wolff seit 2014 raus ist aus dem operativen Geschäft der Formel 1. Das er dessen ungeachtet besser kennt als viele andere: Geboren in Imola, studierte Domenicali in Bologna Wirtschaftswissenschaften. Nach seinem Abschluss fing er 1991 ohne Umweg sofort bei Ferrari an. 23 Jahre lang, bis zu seinem Zerwürfnis mit dem damaligen Ferrari-Vorstandschef Luca di Montezemolo, arbeitete er sich nach oben. Sponsorensuche, Logistik, Teammanager, Sportdirektor, schließlich Teamchef.

In seinem ersten Jahr in Verantwortung gewann er den bis heute letzten bedeutenden Pokal für die Scuderia: die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft 2008. Anders als sein Vorgänger Todt suchte Domenicali seltener die Konfrontation und häufiger den Ausgleich mit den anderen Teams. In einem lauten Geschäft war er stets ein leiser Mann mit sanften Zügen. Über Todt sagte er mal: "Sein Fehler ist, dass er manchmal zu brüsk die Meinung sagt." Sein freundliches Wesen könnte ihm abermals die Akzeptanz alter Konkurrenten einbringen.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2020/jbe
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