Süddeutsche Zeitung

Felix Neureuther:"Geh weg, vergiss den ganzen Mist"

Skirennfahrer Felix Neureuther über brutale Zahlen, seine Suche nach verlorener Freude und Harakiri in der Abfahrt.

Michael Neudecker

SZ: Herr Neureuther, Sie mussten den Saisonstart in Sölden krankheitsbedingt absagen. Wie geht es Ihnen inzwischen?

Neureuther: Jetzt geht es wieder. Ich habe bereits wieder auf Ski trainiert und fühle mich jeden Tag besser. Aber es war schon heftig, 40 Grad Fieber, Schüttelfrost, Kopfweh, Gliederschmerzen, und am Ende hatte ich sechs Kilo verloren.

SZ: Und wie ist nun, vor dem Slalom in Levi am Sonntag, Ihr Gefühl, was Ihre Form betrifft?

Neureuther:Es läuft fast schon wieder so gut wie vor der Krankheit, da waren wir in der Vorbereitung in Zermatt und in Neuseeland. Die Skiform passt.

SZ:Das klingt sehr zurückhaltend - bislang haben Sie stets vor der Saison betont, wie phantastisch Sie sich fühlen . . .

Neureuther: Stimmt, ich hab immer gesagt, ja, alles super, alles perfekt - und dann konnte ich doch nie konstant gute Resultate einfahren. Rennen hab ich auch noch keins gewonnen. Deshalb hab' ich mir vorgenommen, das jetzt nicht mehr zu sagen. Die Erwartungen sind auch so groß genug, die sind riesig.

SZ: Wir müssen jetzt leider über die vergangene Saison sprechen. Die Zahlen: 15 Rennen, zweimal Dritter, siebenmal ausgeschieden und dreimal nicht in den zweiten Durchgang gekommen.

Neureuther: Ja, die Zahlen sind schon brutal.

SZ:Wie geht man damit um?

Neureuther: Slalom ist eine Disziplin, die da oben entschieden wird (tippt sich an die Stirn). Da tut jeder Ausscheider weh, es ist ein Schlag ins Gesicht, nein: heftiger. Vom Gefühl her ist es das Schlimmste, was es als Sportler gibt.

SZ:Der negative Höhepunkt war Garmisch, Ihr Heimrennen, da sind Sie im ersten Durchgang ausgeschieden.

Neureuther: Da bin ich am Start gestanden und hab nimmer gewusst, wie ich meine Skischuhe zumachen soll. Ich war fix und fertig, das war der Tiefpunkt. Davor bin ich drei Rennen hintereinander ausgeschieden, ich hatte Probleme mit den Trainern, dem Material. Dass dann Garmisch kam, war egal - ich wäre wahrscheinlich überall ausgeschieden.

SZ: Sie waren danach nicht mehr ansprechbar.

Neureuther: Ich geh dann lieber den Menschen aus dem Weg, sonst ist die Gefahr zu groß, dass ich was Falsches sage. Ich stelle mich normalerweise immer, aber da . . . nein, es war besser zu sagen: Geh weg, nimm dir die Zeit, vergiss den ganzen Mist. Und fang bei null an.

SZ: Hat das etwas gebracht?

Neureuther: Ja. Ich bin damals weg und davon, von allem. Und hab mit Andreas Ertl (ehemaliger deutscher Skirennläufer, d. Red.) trainiert, im Sudelfeld, am Schliersee, wir haben selbst die Stangen reingedreht. Das war ein Traum, da hab ich den Spaß am Skifahren wiedergefunden.

SZ: Hatten Sie den verloren?

Neureuther: Wenn die Angst überwiegt, dann ist die Freude weg. Die musste ich wiederfinden.

SZ: Haben Sie einen Psychologen aufgesucht?

Neureuther: Ein Psychologe mag gut sein, aber für mich kommt das nicht in Frage. Wenn ich aus einem Tief selbst rauskomme, ohne fremde Hilfe, weiß ich, wie ich mit so einer Situation umgehen muss. Sonst muss ich ja immer, wenn es schlecht läuft, auf so eine Person zurückgreifen. Ich hab's auch so geschafft.

SZ: Ist das vielleicht das Positive an dieser verkorksten vergangenen Saison?

Neureuther: Absolut. Das war eine Lernsaison. Ich hab jetzt schon so viel Mist durchgemacht . . .

SZ: . . . im Sommer hatten Sie ja auch noch einen Bandscheibenvorfall . .

Neureuther: . . . ich hatte überhaupt schon viele Verletzungen, Knie, Rücken, Sprunggelenke, Hand. Und dann ist dieser zweifache Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule dazugekommen. Es stand auch eine Operation im Raum. Ich hatte zum Glück mit Martin Auracher und Max Merkel sensationelle Physiotherapeuten, die mich versorgt haben. Ich bin also schon durch so viele Tiefs gegangen, dass man sagen müsste: Der Neureuther hat ausgelernt, jetzt wird's Zeit.

SZ: Immerhin haben Sie es vergangene Saison aber dann doch noch zum Weltcup-Finale geschafft.

Neureuther: Das zeugt auch von Stärke, finde ich. Es war vor dem letzten Rennen wirklich eine schwierige Situation. Wenn ich mich da nicht qualifiziert hätte, hätte das weitreichende Konsequenzen gehabt: Ich wäre nicht mehr A-Kader gewesen, das heißt, man fällt bei der Startnummer weit zurück, man muss Fis-Rennen fahren, um Punkte zu bekommen, darüber hinaus fällt das Auto weg - und das alles vor der Olympia-Saison. Und dann wurde ich in diesem Rennen Dritter. Das sind Momente, wo ich mir denke: Ja sag mal, du Depp, es geht doch!

SZ: Wie ist Ihre Stimmung unmittelbar vor dem Start eines solchen Rennens?

Neureuther: Grundsätzlich: Als Abfahrer kann man sich nicht erlauben, kurz vor dem Start Späße zu machen, da hängt ja dein Leben davon ab. Beim Slalom ist die Stimmung viel lockerer. Es gibt die, die fokussiert sind, die in sich reingehen, und dann gibt's die, die rumspringen und rumblödeln, die versuchen, die Fokussierten 'rauszubringen . . .

SZ: . . . wer zum Beispiel?

Neureuther: Ted Ligety. Der springt da rum, unglaublich. Ich bin eher dazwischen. Ich brauche die Phase, wo ich mich auf mich konzentriere, aber ich brauche auch das lockere Gespräch. Erst wenn ich in meine Ski steige, dann ist keine Zeit mehr für Scherze.

SZ: Hatten Sie schon mal den Gedanken: Ich bin in der falschen Disziplin?

Neureuther: Nie. Jede Disziplin hat ihren Reiz, die Abfahrt hat die Sprünge, die Gefahr der Geschwindigkeit, und der Slalom hat eben die Gefahr des Ausscheidens, da liegt der Reiz in der Herausforderung, genau abzuschätzen, wie viel man riskieren kann. Man fährt zwei Durchgänge, und auch wenn du im ersten gut warst, stehst du im zweiten oben und weißt: Es kann alles passieren. Damit muss man nervlich fertig werden.

SZ: Immer nur Slalom, schafft man das überhaupt?

Neureuther: Deshalb fahre ich ja auch Riesenslalom, wo die Erwartung an mich nicht so hoch ist. Leute wie die Österreicher Manfred Pranger oder Reinfried Herbst, die fahren nur Slalom - ich könnte das nicht, nur Slalom, Slalom, Slalom. Da wirst du doch verrückt. Vor allem in einer Phase, in der man oft ausscheidet.

SZ: Wie sieht es nun mit der Abfahrt aus? Starten Sie da auch mal?

Neureuther: In Lake Louise (28./29. November, d. Red.) plane ich im Super-G und der Abfahrt zu starten, bei Olympia will ich die Kombination fahren, also Slalom plus Abfahrt. Und ich kann in der Abfahrt verdammt schnell sein! Es wär schon richtig gut, wenn ich in Vancouver dastehe und sage: Hey, Jungs, ich fahr hier um eine Medaille mit!

SZ: Abfahrt ist in einem Punkt ja ähnlich wie Slalom: Es ist eine Frage der Selbsteinschätzung.

Neureuther: Und die Frage, mit welcher Ruhe man rangeht. Wenn man einen Didier Cuche sieht, mit welcher Gelassenheit der bei einem 70-Meter-Sprung in der Luft in die Hocke geht, wie der fliegt - da hast du nie Angst, dass dem was passieren könnte. Andere dagegen, die überschätzen sich vielleicht, sehen die Gefahr nicht, die machen Harakiri, da denkt man bei jedem Schwung: Oh Gott, bitte lande nicht im Netz!

SZ: Ist die Überwindung bei der Abfahrt ein Problem für Sie?

Neureuther: Überhaupt nicht. Ich bin eher der Typ, bei dem man denkt: Oh Gott, bitte lande nicht im Netz.

SZ: Sie haben Olympia angesprochen. Fühlen Sie vor solchen Ereignissen ausschließlich Vorfreude?

Neureuther: Es ist eine Mischung, man macht sich auch Gedanken, was ist, wenn's nicht funktioniert. Ich bin ein Typ, der sich vorm Einschlafen den positiven Fall ausmalt, aber dann kommen einfach ab und zu die negativen Gedanken. Ich versuche, gedanklich zu simulieren, wie es sein könnte, welcher Druck da sein wird, einfach, um besser vorbereitet zu sein. Nicht nur bei Olympia.

SZ: Haben Sie die Herangehensweise an ein Rennen nach der vergangenen Saison verändert?

Neureuther: Wesentlich sogar. Ich versuche, lockerer ranzugehen, nicht zu verkrampfen. Damit die Freude überwiegt.

SZ: Vergangenes Jahr hatte man das Gefühl, dass Sie alles mit Gewalt versucht haben.

Neureuther: Stimmt. Ich habe inzwischen eingesehen, dass ich den ersten Sieg nicht erzwingen kann. Man kann nur schnell Ski fahren, wenn man locker Ski fährt, wie das bei Leuten wie Grange oder Herbst ist. Schnell heißt locker.

SZ: Das sagen Sie jetzt so - aber wie bewahrt man sich die Lockerheit, wenn das Rennen kurz bevorsteht?

Neureuther: Das ist das große Geheimnis. Vor allem vor Großereignissen. Lasse Kjus und Kjetil-Andre Aamodt (ehemalige norwegische Skirennfahrer, d. Red.), die sind kurz vor Olympia eine Woche zum Golfen gefahren - das ist locker. Da braucht man ein brutales Selbstvertrauen, das ist es, glaube ich. Man darf nicht zweifeln, sondern muss vertrauen.

SZ: Wer ist für Sie im aktuellen Feld ein Vorbild in Sachen Lockerheit?

Neureuther: Zu Reinfried Herbst hab ich einen sehr guten Draht. Wie der die Rennen angeht, das ist unglaublich. Der Herbstl lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Ich red' mit ihm oft über's Skifahren, von dem kann ich was lernen.

SZ: Und was können andere von Ihnen lernen? Was ist Ihre Stärke?

Neureuther: Mein Schwung, eindeutig, ganz besonders mein Linksschwung. Den können nicht viele im Weltcup.

SZ: Und Ihre Schwäche?

Neureuther: Hm, wie soll ich das formulieren . . . es ist vielleicht so eine Art Überehrgeiz. Es ist dieses Gefühl, anderen Leuten etwas beweisen zu müssen. Dabei müsste mir das doch egal sein.

SZ: Das liegt wahrscheinlich auch am Namen . . .

Neureuther: Klar. Ich bin die letzten Jahre trotz allem auf Weltklasseniveau gefahren, aber der letzte Schritt fehlt, und dann gibt's viele, die sagen: Oh mei, der junge Neureuther. Irgendwo im Hinterkopf gibt es ein paar Leute, bei denen ich mich besonders freuen würde, wenn ich es ihnen gezeigt hab. Und das kommt schon noch, da bin ich ganz sicher. Ich muss nur locker bleiben.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2009/segi
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