In den Niederlanden wurde zuletzt ein Linienrichter während eines Jugendspiels zu Tode geprügelt. Im oberbayerischen Rosenheim griffen nach einer Partie der zehnten Liga Spieler den Schiedsrichter an, der verlor einige Zähne und verfügt auf einem Auge nur noch über 30 Prozent Sehkraft. Von überall kommen jetzt solche Geschichten von Gewalt gegen Referees.
Diese Fälle dokumentiert leider: Es muss offenbar erst einer sterben, damit die breite Öffentlichkeit ein Problem zur Kenntnis nimmt. Wenn in Dachau zwei Schiedsrichterobmänner zurücktreten, weil sich ihrer Meinung nach die Gewaltspirale immer weiter nach oben dreht, dann interessiert das kaum jemanden. Auch die Verbände reagieren träge, wiegeln ab und verweisen darauf, dass das Problem nicht neu sei. Das stimmt. Auf den Fußballplätzen ging es schon immer hoch her, wenngleich die Ausprägung der Gewalt neue Dimensionen erreicht. Letzteres ist vor allem ein gesellschaftliches Problem. Doch es wäre begrüßenswert, wenn der Fußball zumindest täte, was er tun kann.
Es ist ein Skandal, wenn der Rosenheimer Klub, dessen Spieler den Spielleiter angriffen, beim Verband mit 500 Euro Strafe davonkommt. Doch hier landet man auch schnell bei der Bundesliga.
Schiedsrichter Wolfgang Stark hat am Samstag das Spiel Borussia Dortmund gegen den VfL Wolfsburg mit mehreren Fehlentscheidungen in einer Szene massiv beeinflusst. Der Dortmunder Marcel Schmelzer wehrte einen Ball auf der Linie nicht mit der Hand, sondern mit dem Knie ab. Stark gab dennoch Elfmeter und die rote Karte für Schmelzer. Dass beim Wolfsburger Angriff der Spieler Vieirinha im Abseits stand, war eine zusätzliche Pointe.
Das Schlimme an der Geschichte ist dabei weniger, dass Borussia Dortmund anschließend das Spiel und vermutlich auch endgültig die Meisterschaft verlor. Das Schlimme ist, dass fast 80.000 Menschen im Stadion reagieren, wie im Stadion seit Jahrzehnten reagiert wird: Es erhebt sich ein Furor gegen den Schiedsrichter, Stehplatz-Besucher stimmen übelste Morddrohungen an, Sitzplatz-Besucher schwingen die Fäuste, von überall fliegen Bierbecher und anderes Material von den Rängen. Der Mensch auf der Tribüne lässt sich treiben vom Rausch der Massenaggression. Auch sonst brave Jugendliche oder unbescholtene Familienväter (und -mütter) plärren mit. Dieser Mann, der Schiedsrichter, ist nun der Feind.
Die nächste Schlussfolgerung liegt da auf der Hand: Wenn Zehntausende in einem Bundesligastadion den Schiedsrichter angreifen, dann machen sie das in der zehnten Liga auch. Nur, dass dort keine Ordner, keine Polizei, keine Absperrungen vorhanden sind. Der große Fußball ist das Vorbild für den Kleinen. Dessen muss sich der große Fußball bewusst werden und sich fragen: Was tun?