Fehlentscheidungen in der Champions League:Absichtlich dumm gehalten

Borussia Dortmund v Malaga - UEFA Champions League Quarter Final Felipe Santana

Dortmund flippt aus, Málaga liegt am Boden: Der Moment, als Felipe Santana das 3:2 für den BVB schoss.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Bevor Dortmunds Santana gegen Málaga traf, standen vier seiner Kollegen im Abseits. Trotz des erneuten Schiedsrichter-Ärgers dürfte sich im Fußball kaum etwas ändern. Überall im Stadion hängen Monitore, im digitalen Zeitalter sind Fehler sofort erkennbar - doch das Flehen einiger Referees um elektronische Hilfe wird leider überhört.

Ein Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Willkommen in Absurdistan, willkommen in der Dortmunder Arena. Von den vielen strittigen Szenen, die sich am Dienstagabend ansammelten, war die am wenigsten strittige, dass der Führungstreffer zum 2:1 für den FC Málaga ein Abseitstreffer war. Darauf hatten die Dortmunder Großkreutz und Kehl, die sich an der Seitenlinie aufwärmten, den Linienrichter aufmerksam machen wollen.

Die beiden Spieler hatten die Szene am Monitor beobachtet, mit dem der dort postierte Kameramann das Livebild kontrolliert. Keine fünf Meter vom Linienrichter entfernt steht dieser Monitor, er darf ihn aber nicht zur Entscheidungshilfe oder -kontrolle nutzen. Er ist gezwungen, mit bloßem Auge den Dschungel zu durchdringen, der sich aus der immer neuen Staffelung der Spieler im Strafraum ergibt.

Der Linienrichter ist der einzige Ratgeber des Schiedsrichters, er soll Tore und Abseitssituationen anzeigen, die sich dreißig, vierzig Meter von ihm entfernt abspielen. Der Monitor steht ungenutzt in seinem Rücken. Schieds- und Linienrichter werden also künstlich ausgeblendet und dumm gehalten.

Die Frage ist, wie lange sich das in einer immer rasanter arbeitenden Info-Gesellschaft noch durchhalten lässt. In der Tausende im Stadion per SMS ("Abseits!", "Handelfmeter!", "Sieht nix, der Idiot!") von daheim von ihren Freunden informiert werden - oder gleich das Live-Bild vom Pay-TV-Sender samt Superzeitlupe auf ihre Smartphones gesendet bekommen. Und die deshalb nicht mehr nur auf den Augenschein angewiesen sind, bevor sie ihr "Schieber! Schieber! Schieber!" rausrufen. Jetzt haben die Krakeeler sogar die digitalen und damit die besseren Argumente.

Das Viertelfinale der Champions League vermittelte einen üblen Eindruck davon, wohin sich der Fußball gerade zu entwickeln scheint. Fast jedes Spiel war überlagert von Abseits-, Handspiel- und Elfmeterfragen. Jedes Spiel war begleitet von endlosen Schiedsrichter-Debatten.

Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass die Schlüsselsituationen, die über Sieg und Niederlage entscheiden, in Sportarten wie Tennis, American Football oder Eishockey mit Video-Hilfe längst erfolgreich nachvollzogen werden. Fast jede Situation ist so zufriedenstellend aufzuklären. Derweil wird das schüchterne Flehen einiger Fußball-Schiedsrichter um elektronische Hilfe vom Weltverband (Fifa) und vom Europa-Verband (Uefa) ignorant überhört.

Die Fifa von Joseph Blatter hat sich nach jahrzehntelangem Spiel auf Zeit zumindest dazu durchgerungen, mit der Klärung des Zielkonflikts zu beginnen: Tor? Kein Tor? Beim Confed-Cup im Juni in Brasilien wird eine in Würselen/ Niederrhein entwickelte Torlinien-Technik getestet, bei bestandener Prüfung soll diese 2014 auch bei der WM eingesetzt werden. Das Dilemma: Die Uefa von Michel Platini lehnt jede Seh-Hilfe kategorisch ab. Über die Motive muss gerätselt werden angesichts der Tatsache, dass Spiel- und Wettmanipulation als größte Gefahren für den Fußball gelten. Viele vermuten auch hinter dem Fifa-Experiment keine Entschlossenheit, sondern ein Ablenkungsmanöver.

Es gleicht sich eh am Ende alles aus - so argumentieren die Verweigerer. Nun können sie sogar das Dortmund-Spiel noch an die Spitze dieser Betriebsfolklore setzen: in Rückstand geraten durch ein Abseitstor, weitergekommen durch ein Abseitstor. Ein Unentschieden der ausgleichenden Ungerechtigkeit.

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