Was könnte der Hammer sein? Vielleicht eine blitzschnelle Attacke, ein Vorstoß mit vollem Risiko. Und die Säge, wofür könnte die stehen? Wohl eine Aktion, bei der man sich beharrlich durch die Verteidigung arbeitet. Der Schraubenzieher? Klar, eine Parade-Riposte, man lockt den Gegner heraus, und wenn er ohne Deckung ist, räumt man ihn ab.
Jeder Fechter braucht ein Sortiment an Varianten, sagt Degen-Bundestrainer Dominik Csobo, "jeder Fechter braucht einen vollen Werkzeugkasten".
Aber Alexandra Ndolos Ausstattung ist noch ziemlich spärlich. Zwei Monate ohne Wettkampf, ohne vernünftiges Training, liegen hinter ihr, in ihre Disziplin Degen kann sie erst jetzt wieder richtig einsteigen. Ndolo ist Csobos beste Fechterin. Sie hat Bronze gewonnen bei der EM 2019, zählt zu den Spitzenleuten und sagt: "Ich will unbedingt zu Olympia." Bis 2021 mag allgemein noch genügend Zeit sein, aber nicht für die 33 Jahre alte Ndolo.
Ein aufwendiger Trainingssommer wird es, ein schwerer Herbst mit den ersten Wettkämpfen, ein harter Winter mit Reisen über die Kontinente, und vielleicht erst im Frühjahr wird der letzte Weltcup für die Olympia-Zulassung nachgeholt, der im Februar ausgefallen war und auf den auch Ndolo noch setzt. Danach hätte sie sogar noch eine Chance, sie müsste den Kontinental-Ausscheid gewinnen, aber das ist sehr fern, jetzt, da am Mittwoch gerade der Anfang gemacht wird. Und am Anfang steht der Werkzeugkasten.
Kaum etwas versinnbildlicht so gut Bodenständigkeit wie Trainer Csobos Lieblingsmetapher. Er stammt aus Ungarn, einer der vier traditionellen Fechtnationen. Deren Fechtkultur, sagt Csobo, "hat einen gewissen Ernst". Das ist die Bereitschaft zur Hingabe, zum eigenen Einsatz. Man dürfe im Fechten nie glauben, dass einem etwas in den Schoß falle, sagt Csobo, man müsse sich die Dinge erarbeiten. Und Ndolo, die eine polnische Mutter, einen kenianischen Vater und einen deutschen Stiefvater hat, sagt, sie habe gelernt, sich um ihr Glück zu kümmern. "Sie hat etwas vom Ernst der ungarischen Schule", findet Csobo. Das zeigt sich auch in der Puppe in Ndolos Wohnzimmer, genannt "Dominik 2.0".
Wer lange nicht gefochten hat, der braucht zunächst wieder das Gefühl für Distanz. Ndolo hat vorgesorgt, und dieses Gespür erst gar nicht einschlafen lassen. Sie hat eine Trainingspuppe aus der Halle mitgenommen und auf die Heizung gebunden, sich täglich aufgestellt und ist - Attacke! - vorgeschnellt, um kleine Punkte an Arm, Kopf oder Rumpf zu treffen. Gleichmütig und reglos hat Dominik 2.0 dies über sich ergehen lassen. Er ist das ja gewohnt, weshalb Ndolo irgendwann den echten Csobo vermisste, gewissermaßen Dominik 1.
0, denn der bewegt sich. Im Werkzeugkasten eines Fechters liegen nicht nur fertige Angriffsfiguren, sondern zunächst mal die Basisbewegungen, die mit der Feinmuskulatur in der Hand zusammenhängen. "Für die Attacke beim Stoß braucht man zum Beispiel das Gefühl in Daumen und Zeigefinger", sagt Csobo, "für die Parade aber die ganze Hand." Besonders wichtig seien auch die Muskeln im Ellbogen, bei der letzten und langen Streckung für den Stoß gegen einen zurückweichenden Kontrahenten.
Aufwendig klingt das, doch Ndolo sieht es gelassen: "Ein Muskel hat ja auch ein Gedächtnis", sagt sie. Erst vor neun Monaten, kurz nach ihrem dritten Platz im Degen-Einzel bei den Europameisterschaften in Düsseldorf hat sie dies erlebt. Den ersten Teil der Saison hatte sie mit einem Bandscheibenvorfall absolviert, dann ging es nicht mehr. Ndolo musste sich operieren lassen und die Form wieder neu aufbauen. Die Sache war riskant, bei manchen Bewegungen hatte Ndolo am Ende auch Ausfallerscheinungen, aber es ging ja um Olympia, um ihren Traum, den Grund, warum sie überhaupt als Späteinsteigerin mit 21 Jahren noch Fechterin wurde.
Solchen Spätberufenen fehlen meist die Grundlagen, sie müssen Erfahrung durch Athletik ausgleichen, und das Repertoire dieser Sportler ist dann manchmal bunt gemischt. Ndolo hat Respekt vor der italienischen und russischen Fechtschule, aber diese nachzuholen, dafür war keine Zeit. Sie musste sich sofort in Weltcups durchsetzen, dafür hat sie ihre eigene Schule zusammengestellt: Csobo, den Ungarn, zudem noch einen luxemburgischen Trainer, der in Frankreich lernte. Dies sind die Extreme im Fechten, und von allem, was dazwischen ist, sagt Ndolo, "habe ich mir meinen eigenen Stil zusammengebastelt".
Ndolo ist also eine Selfmade-Fechterin, und wegen ihrer Unberechenbarkeit könnte sie sich 2021 tatsächlich für Olympia qualifizieren; 2024 in Paris will sie es auch versuchen. Aber zunächst folgen die Lektionen mit Csobo, immer wieder dieselben Bewegungen, bis sich alle Muskeln wieder erinnern. Dann geht es in einigen Wochen daran, die fertigen Formen für die Gefechte wieder auszupacken, darunter Ndolos Lieblingsaktionen.
Den Fußtreffer etwa, der Präzision erfordert, bei dem der Fechter überraschend abtaucht und den Gegner verdutzt stehen lässt. Der Fußtreffer könnte eine Schlinge sein, genauso wie der Handtreffer. Aber nichts ist für Alexandra Ndolo schöner als der Fleche, der Sturzangriff nach vorne, der Hammer.