Fechten:Party in Halle 8b

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Gewinnt EM-Bronze: Degenfechterin Alexandra Ndolo. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Die deutschen Fechter gewinnen die ersten drei EM-Medaillen. Dass sie diesen Wettkampf doch noch an sich reißen, liegt an der Qualität der Athleten, aber auch am Teamgeist.

Von Volker Kreisl, Düsseldorf

Architektonisch gesehen kann niemand was dafür, Messehallen sind nun einmal nichts für Sport. Dennoch verirren sich Sport-Events immer wieder in diese riesigen grauen Kästen am Stadtrand mit ihren 20 Meter hohen, leeren Betonwänden und funktionalen Metallstrebendecken; nun auch mal wieder die Fechter. Weil an den ersten beiden Tagen dieser EM die gastgebenden Deutschen früh ausgeschieden waren, gingen mit ihnen auch die meisten Zuschauer schon vor den Finals nach Hause. Aber dann folgte Tag drei - und was war das? Party in Halle 8b!

Bis zum Ende, als es draußen trotz Sonnwendzeit bald dämmerte, war drinnen Jubel und Krach, und das Publikum blieb sitzen bis zum Schluss. Denn erstmals hatten bei dieser EM zwei Deutsche Medaillen gewonnen: Degenfechterin Alexandra Ndolo Bronze, ebenso Max Hartung am Säbel. Und am vierten Tag, dem Donnerstag, lebte die Feststimmung sogleich wieder auf, denn das Florettteam mit Peter Joppich, Benjamin Kleibrink, André Sanita und dem erstaunlich abgebrühten Nachwuchsfechter Luis Klein sicherte sich mit einem spektakulären Halbfinalsieg über Italien Silber. Im Finale gegen Frankreich (26:45) blieben sie jedoch chancenlos, auch weil Kleibrink wegen einer Zerrung ausfiel.

Dass die Deutschen also diese EM nach schwachem Beginn doch noch an sich rissen, lag zunächst wie immer an eigenen Qualitäten. Ndolo, 32, gilt seit Langem als spätberufenes und interessantes Talent, und Hartung war als Weltranglisten-Zweiter und Titelverteidiger ohnehin der einzige deutsche Titelfavorit. Getragen wurden die beiden natürlich auch von Publikumsschreien, von Trommeln und Klatschwürsten. Und doch stand hinter dem Erfolg ein weiterer Faktor. Nämlich der Umstand, dass im vermeintlichen Egosport Fechten das Team eine tragende Rolle spielt. Die Florettmänner fanden in diesem Format wieder zu Stärke, nachdem sie im Einzel enttäuscht hatten. Und Hartung sagt, er habe sein Einzel-Bronze der Gemeinschaft der Säbler zu verdanken: "Ohne die Gruppe hätte ich's nicht geschafft."

Schon der Verlauf des Mittwochs war ein Beispiel für positive Mannschaftsdynamik und ein letzter Fingerzeig dafür, wie wichtig es ist, sich als Team für Olympia zu qualifizieren. Vor drei Jahren hatten die vier vereinzelten Deutschen da nicht viel zu melden und schieden früh aus. Und Hartung, dessen Säbelteam in Rio wegen der damals noch bestehenden Fecht-Rotation nicht im Programm war, erinnert sich: "Man braucht einfach eine Gruppe." Er hatte das gemeinsame Training vermisst, die Gespräche, die Stimmung. All dies, sagt er, "gibt Kraft und schiebt einen an".

Wobei Säbler ja von Natur aus Stimmungsmacher sind. Sie sind kraft ihrer Disziplin extrovertiert - schnell und aggressiv ist das spärlicher reglementierte Stechen, Wischen und Hauen. Florett und Degen erinnern ein bisschen an Standardtänze. Säbeln erinnert an Pogo.

Für den Verband sind die Aussichten plötzlich rosig

Kein Wunder also, dass sie nach jedem Treffer brüllen, um Dampf abzulassen oder sich aufzuputschen. Und dürfen sich die Akteure gehen lassen, dann wird das Publikum eben auch locker, und der Funke springt über. In Halle 8b war also Gedränge und Begeisterung - in der Nordwestecke bei den Vorkämpfen, dann auch im Südosten des grauen Kastens, im Finalbereich mit Teppich und Tribünengestell.

Dass Hartung und Ndolo schließlich in den Semifinals scheiterten, verursachte den üblichen Zwischenfrust, der aber im Fechten bald verfliegt, weil aufgrund der Gesamtbelastung des Tages die Halbfinalisten Bronze ohnehin sicher haben. Für den Deutschen Fechter-Bund sind die Aussichten auf die beiden Schlusstage nun plötzlich rosig. Vom Erfolg der Florettfechter könnten sich die restlichen Teams anstecken lassen. Nicht auszuschließen ist, dass diese EM von Düsseldorf sogar zum Wendepunkt für den latent kriselnden Verband wird, dass der Säbelfunke weiter überspringt auf die Zuschauer, auf Degen-Akteure und Florettfechterinnen.

Denn alles Mögliche kann passieren, wenn man ein Team hinter sich hat, auch Dinge, die eigentlich unmöglich sind, weshalb Max Hartung sagt, er werde seinem Säbelfreund Björn Hübner noch eine Flasche feinen Champagner spendieren.

Genau genommen hat er diese Bronzemedaille nämlich nicht nur wegen seiner Form oder des Krachs der Fans, der Trommeln und Klatschwürste errungen, sondern auch wegen Hübners Einsatz beim Referee - mitten in den Schlussmomenten des Viertelfinalgefechts gegen Boladé Apithy aus Frankreich.

10:13 lag Hartung hinten, nur zwei Treffer fehlten dem Franzosen noch, da lehnte plötzlich der schon ausgeschiedene Hübner über dem Geländer und "belaberte", wie Hartung später bemerkte, den Referee. Klar ist das verboten, kein Referee lässt sich während des Gefechts von außen "belabern", dieser aber schien an seiner Ehre gepackt zu sein. Er unterbrach, scrollte zurück im Match-Computer und bedeutete Hübner, der weiter insistierte, es sei ja gut, er solle endlich die Klappe halten.

Aber tatsächlich: Er hatte irgendwann einen Zählfehler begangen, den keiner außer Hübner bemerkte, und gab ihn nun zu. Hartung lag nur noch 10:12 zurück, was den Unterschied bedeuten kann zwischen Aufgabe und Hoffnung - weshalb Hübners Eingriff bei Hartung die nötige Energie für den Sieg freisetzte und somit ein weiteres, wenn auch sehr seltenes Beispiel war für echten Teamgeist.

© SZ vom 21.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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