Fechten:Kobra statt Freunde

Women's individual foil competition of Fencing World Championship

Seriensiegerin auf der Planche: Valentina Vezzali (hier 2011 bei der WM in Catania) holte 35 große Titel, in Rio im August wird sie nicht mehr dabei sein.

(Foto: Imre Foldi/dpa)

Italiens große Florettfechterin Valentina Vezzali gewann 35 große Titel. Jetzt hört sie auf - dreieinhalb Monate vor den Olympischen Spielen.

Von Volker Kreisl, Rio de Janeiro/München

Valentina Vezzali sagt, sie könne durchaus weinen, sie schäme sich dafür keineswegs. Denn in jeder Träne "ist die Essenz des Sports kondensiert". Und wenn auch nicht oben auf dem Podium, so hatte sie oft Tränen vergossen, nach Niederlagen und auch nach Siegen, und so war es auch diesmal, in Rio de Janeiro, als sie zum letzten Mal ihre Tasche für den Wettkampf packte.

Italiens Florettfechterin Valentina Vezzali, 42, hat nach der Team-WM in Rio in der Nacht zu Mittwoch ihre Karriere beendet. Sie zählt zu jenen Sportlern, die wie der Biathlet Ole Einar Björndalen oder der Basketballer Kareem Abdul-Jabbar die Größten ihres Fachs sind, und dies vielleicht für immer. Vezzali hat - bis zu ihrem letzten WM-Auftritt in Rio - sechs Olympia-Goldmedaillen gewonnen, drei im Einzel, drei im Team. Sie wurde 16 Mal Weltmeisterin und 13 Mal Europameisterin, insgesamt sind es also 35 große Titel. Eigentlich wollte sie noch bis zu den Spielen im August weitermachen, aber weil dort nur das Einzel auf dem Programm steht und sie sich nicht mehr gegen die Jüngeren in Italiens Team durchsetzen konnte, hat sie ihren Abschied vorgezogen. Es war ja auch Rio, dieselbe Halle sogar, und Vezzali hat ihr Ziel auch so knapp erreicht. 20 Jahre lang war ihr das gelungen, strategisch geplant, kühl durchdacht, die Gefühle stets im Griff, jedenfalls auf der Bühne.

Vezzali war immer vorbereitet, als Fechter muss man das in jeder Sekunde sein. Und so kam es auch, dass sie ihren durchaus bewegenden und leicht poetischen Abschiedsbrief, in dem sie ihr Bild von der kühlen Siegerin korrigieren will, pünktlich formuliert hatte und noch vor ihrem letzten Auftritt von der Gazzetta dello Sport veröffentlichen ließ.

Die Valentina in der Vezzali war weit weniger hart

Vezzali unterscheidet im wesentlichen zwischen zwei Personen: Zwischen der Vezzali und der Valentina. Die Vezzali, das ist die überragende Sportlerin mit dem defensiven und unbezwingbaren Fechtstil und dem Beinamen "Kobra" oder "Krabbe". Ihre tiefe Hocke, ihr zögerliches, teils entnervendes minutenlanges Vorwärtstasten, ihr plötzlicher Rückzug in eine undurchdringbare Defensivhaltung, all das hat ihre Auftritte nicht gerade zu leidenschaftlichen Schlachten gemacht. Dazu kam die Tatsache, dass ihre Gegnerinnen schon in leichtem Rückstand kaum noch Chancen hatten und der Gefechtsausgang klar war.

Die Vezzali, sagt Vezzali, die sei aber auch jene Athletin gewesen, die immer so wirkte, als hätte sie keine Freunde. Die sich verkrochen hatte, sich auch in der Mannschaft isoliert und vielleicht zu viel für den Erfolg geopfert hatte. Andere Fechter, wie die deutschen Säbler, treten überall als gemeinsamer Kumpelhaufen auf, auch wenn sie auf der Planche fünf Minuten später gegeneinander um die Olympiateilnahme fechten. Vezzalis Sache war das nicht, in jedem Fall war ihr Stil ehrlich: "Ich war nicht Freundin mit allen. Aber nur, weil ich Angst hatte, dass Freundschaft meine Art, die andere auf der Planche anzugreifen, verändert hätte."

Die Valentina in der Vezzali war weit weniger hart und erfolgsorientiert. Vezzali hat im Fechtzentrum Jesi südlich von Ancona Freunde und Trainer, die sie eine ganze Karriere lang begleiteten, und wenn sie abends die Maske ablegt und nach Hause zur Familie fährt, dann ist sie eine normale Frau, die zwei Söhne hat, der ältere ist bereits zehn Jahre alt.

Obwohl - so ganz stimmt das nicht. So ganz kann man sich auch im Leistungssport nicht einfach in den Profi und in die Privatperson zerlegen, die Familie ist da ein gutes Beispiel, das die Valentina und die Vezzali vereint. Als Pietro 2005 auf die Welt gekommen und vier Monate alt war, da sah sich die Privatperson gefordert, nicht wettkampfmäßig, aber in einer Grundfrage des Lebens. Man habe ihr gesagt, "du schaffst das nicht zurück unter die Besten", erinnert sich Vezzali, die Wenigsten hätten an sie geglaubt. Sie sah sich herausgefordert, wollte beweisen, dass die Schwangerschaft eine außergewöhnliche Zeit für die Frau sei und "keine Bestrafung fürs Leben". Vier Monate später gewann sie Gold bei der WM in Leipzig, wiederholte das Ganze acht Jahre später, als sie nach der Geburt von Andrea abermals Zweifel gehört hatte und bei der WM 2013 in Budapest Team-Gold holte.

Mittlerweile ist Valentina auch Abgeordnete in Rom, und auch wenn sie beteuert, sie wolle nun üben, eine gute Hausfrau zu sein, so hat die ehrgeizige, unromantische Fechterin Spuren in ihrem Leben hinterlassen: Es gibt ja vieles zu ordnen aus der Zeit als größte Fechterin von allen. Zum Beispiel die 35 Medaillen. Sie wolle nun Ordnung schaffen in dem Beutel, in dem sie all die unterschiedlichen Medaillen aufbewahrt. Irgendwo, sagt Valentina Vezzali, müsse der herumliegen.

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