Fecht-WM in Leipzig:Im Sturzangriff zu WM-Bronze

Fechten: Weltmeisterschaft in Leipzig

Immer volle Kraft voraus: Auf dem Weg zu seiner Bronzemedaille bricht der deutsche Degenfechter Richard Schmidt (links) wie eine Naturgewalt über den Kasachen Ruslan Kurbanow herein.

(Foto: Jan Woitas/dpa)
  • Richard Schmidt erlöst mit WM-Bronze seinen krisengeplagten Verband.
  • Lange hatte er das Gefühl, von den Strukturen im eigenen Land ausgebremst zu werden.
  • Nach der Olympiakrise aber hat der Verband vieles verändert. Auch für Schmidt stand die Tür zum Nationalteam plötzlich offen.

Von Volker Kreisl, Leipzig

Richard Schmidt schreit schon auch ein bisschen. Jeder Fechter schreit, manchmal aus Frust, meistens aber aus Erleichterung. Wenn die Anspannung plötzlich verpufft, weil die eigene Trefferlampe aufleuchtet, dann wird gebrüllt, und manche Schreifechter müssen vom Schiedsrichter beruhigt werden. Schmidt ist mit den Stimmbändern defensiver, dafür hat er diese andere Art: Nach einem Sieg streckt er in klassischer Manier beide Arme in die Luft, geht ein paar Sekunden auf der Planche auf und ab und stellt sich schließlich mit gestreckten Armen und glitzernden Augen vors Publikum: Das bin ich.

Das System war dicht: Der frühere Bundestrainer zog im Zweifel die bewährten Kräfte vor

Nach seinem vorletzten Gefecht bei den Weltmeisterschaften in Leipzig hat der junge Degenfechter dann wieder die Arme gestreckt, sich aber erst einmal rücklings auf die Planche fallen lassen. Schmidt hatte soeben Bronze gewonnen, die erste WM-Einzelmedaille in dieser Disziplin seit 16 Jahren. Und das war wohl auch für den selbstbewussten Tauberbischofsheimer kurzzeitig zu viel. Diese erste Heim-WM-Medaille zu holen, die seinen lange gebeutelten Verband wiederbelebt und die Stimmung in der Halle hebt. Und die den Leistungsplanern in den Sportzirkeln verdeutlicht, dass es in der Disziplin Degen nicht nur nörgelnde, ehemalige Champions gibt, sondern, dass es wieder vorwärts geht. Schmidt hat dann aber doch einen Stupser vom Referee bekommen. Man bleibt nicht einfach auf der Planche liegen. Auch nicht als Sieger.

Sofort stand er senkrecht. Bedankte und verabschiedete sich von seinem unterlegenen Gegner, dem Japaner Satoru Uyama, sowie von Trainern und Jury. Und später, nachdem der erfahrene Italiener Paolo Pizzo dem 25 Jahre alten deutschen WM-Debütanten, zu diesem Zeitpunkt noch Nummer 135 der Weltrangliste, im Halbfinale doch die Grenzen dieses Tages aufgezeigt hatte, als Schmidt sich umgezogen und geduscht hatte, da erzählte er, wie es zu diesem Tag überhaupt kommen konnte.

Schmidt redet ein wenig so wie er ficht, offensiv, mutig, teils galoppierend. Zu dieser Bronzemedaille konnte es kommen, sagt er, weil er nie an seinen Fähigkeiten zweifelte, sondern immer weiter arbeitete. Das System im Männer-Degen war in den vergangenen Jahren etwas undurchlässig geworden, weil der ehemalige Bundestrainer Didier Ollagnon zwar technisch sehr fähig war, aber im Zweifel seine bewährten Degen-Kräfte den Jüngeren vorzog. Und in einem System, das von unten fast dicht ist, so Schmidt, überlebt man nur, "wenn man frustresistent ist, und so gut wird, dass niemand an einem zweifelt."

Auch im Jura-Studium ambitioniert

Logischerweise darf man erst mal selber nicht an sich zweifeln. Richard Schmidt hatte mit zehn Jahren mit dem Fechten begonnen, wie jeder erst mal am Florett. Diese Disziplin, einst Schulungswaffe, bedarf aber eines Angriffsrechts ehe ein Treffer zählt, man muss vorher pariert haben, statt die Klinge einfach dagegen zu halten. "Ich hab' nie verstanden, warum ich den Punkt nicht kriege, obwohl ich früher treffe", erinnert er sich. Das Florett war dem jungen Schmidt zu gebremst, also stieg er bald um auf die Gefechtwaffe Degen, da kriegt er seine Treffer und kann nach Herzenslust attackieren, bis heute. Seine Spezialität: der Sturzangriff.

Er trippelt auf seine Gegner zu, schlägt sich den Weg durch die Deckung frei, was kurz klimpert wie in alten Degenfilmen, und schnellt dann nach vorne. Schmidts Attacken sind oft fixer als die des Gegners. Schon nach dem ersten Gefecht, nachdem er erfolgreich dem Ukrainer Maxim Khvorost entgegengestürzt war, da wusste er: "Ich kann heute jeden schlagen." Etwas Glück hatte er einerseits zwar schon, dass er zum Beispiel nicht auf den Weltranglistenersten Park Sangyoung (Südkorea) traf, weil der zuvor von Khvorost bezwungen wurde. Andererseits ist aus der Perspektive von Platz 135 jeder ein Riese, den man nur schlägt, wenn man an sich glaubt.

Glück hatte Schmidt in einem anderen Zusammenhang. Denn ganz aus eigenen Stücken, aus reinem Selbstglauben und mit schnellen Attacken, schafft man im Sport auch wieder keinen Durchbruch. Zupass kam ihm, so wie den anderen jungen Degenfechtern, die am Dienstag im Team antreten, die große Olympiakrise der Deutschen vor und bei den Spielen in Rio im vergangenen Jahr. Ohne Mannschaft war der Deutsche Fechter-Bund seit 60 Jahren nicht mehr zu den Spielen gefahren, ohne Medaille war er zuletzt 1980 geblieben. Dennoch - davor und danach wurde vieles verändert. Bei den Degenfechtern herrscht seitdem ein strengeres Leistungsprinzip. "Wenn bei uns ein Opa besser ist als die anderen, dann fährt er zur WM", sagt Schmidt. Die Tür zum Nationalteam stand plötzlich offen, und schaden tut es dann auch nicht, wenn der neue Bundestrainer einen kennt. Martin Böttcher betreut Schmidt schon seit zehn Jahren.

Das erste Staatsexamen will der Jura-Student 2018 abschließen - dann hätte er Zeit für Olympia

Das nächste Ziel ist also Tokio, die Spiele 2020. Richard Schmidt studiert zwar Jura, das ist kein ganz läppisches Fach, aber er hat da so seinen Plan. Das erste Staatsexamen will er 2018 in Regelstudienzeit abschließen, vielleicht auch schon früher per sogenanntem Freischuss, eine Art Sturzangriff im Studium. "Dann hätte ich noch genügend Zeit, um mich auf Olympia vorzubereiten", sagt er. Das klingt ambitioniert, aber warum soll es nicht klappen, wenn die Türe im deutschen Degenfechten wieder offensteht und man das Gefühl hat, jeden schlagen zu können?

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