Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Finalwochen beim FC Bayern

  • So wichtig waren die letzten beiden Januarwochen schon lange nicht mehr für den FC Bayern.
  • Die Münchner müssen in der Tabelle aufholen und am besten noch zwei passende Transfers tätigen.
  • Trainer Flick geht davon aus, dass noch zwei Spieler kommen, wahrscheinlich per Leihe.

Von Christof Kneer

Wenn man die Stadt München fragen würde, dann würde sie bestimmt sagen: Die wichtigsten zwei Wochen des Jahres 2020 sind die Wochen vom 19. September bis zum 4. Oktober. In diesen zwei Wochen wird in der Stadt eine Art Volksfest veranstaltet, das sogar offiziell von den örtlichen Fußballprofis besucht wird. Man habe gewonnen und könne entspannt "auf die Wiese" gehen, sagte der Fußballprofi Daniel Van Buyten einmal, als er noch für den FC Bayern spielte.

Der FC Bayern ist wahrscheinlich der Einzige, der es in München mit dem Oktoberfest aufnehmen kann. Die zwei Wochen Ende Mai sind demnach auch nicht ganz unwichtig für die Stadt, es sind jene Tage, in denen für gewöhnlich die Titelentscheidungen in der Champions League, im DFB-Pokal und in der Meisterschaft fallen. April und Mai, das waren immer die Monate, in denen es im vergangenen Jahrzehnt besonders wichtig war, dass Arjen Robben und Franck Ribéry gesund sind. Ob Robbens Muskelfasern beim Rückrunden-Auftakt im Januar wieder mal beleidigt waren oder ob Ribéry im Januar unter Husten/Schnupfen/Heiserkeit gelitten hatte? Das war im Mai völlig wurscht.

Das Potenzial, eine Vorentscheidung über den Rest der Saison zu treffen

Im Jahr 2020 ist der Mai aber deutlich früher nach München gekommen, der Klimawandel möglicherweise. Nach Lage der Dinge haben die letzten beiden Januarwochen das Potenzial, eine Vorentscheidung über den Rest der Saison zu treffen, der Januar fühlt sich an wie Mitte Mai. "Wir müssen einen starken Start hinlegen. Es ist sehr wichtig, dass wir gut in die Rückrunde reinkommen", sagte Bayern-Trainer Hansi Flick vor dem Spiel bei Hertha BSC am Sonntag, und wohl selten in der Geschichte der Stadt München war dieser banale Satz so brisant. Die Bayern haben vier Punkte Rückstand, jeder weitere Punktverlust würde die Tabelle zu einer Bedrohung machen und bayernintern mindestens zu Husten/Schnupfen/Heiserkeit führen - erst recht, wenn Tabellenführer Leipzig gewinnt, etwa am Wochenende zu Hause gegen den Aufsteiger Union Berlin.

Die Bayern müssen von der ersten Rückrundensekunde an liefern, wie man neuerdings sagt, das Problem ist nur, dass das Personal im Lieferservice immer noch bedenklich knapp ist. Zwar wird Robert Lewandowski vier Wochen nach seiner Leistenoperation in der Startelf zurückerwartet, der Mittelstürmer sei wieder "nahe an 100 Prozent", sagte Flick, und auch der zuletzt angeschlagene Flügelstürmer Serge Gnabry hat außer einer neuen Frisur offenbar kaum mehr Beschwerden.

Aber ein Blick auf die hinteren Bänke erklärt erneut, warum Flick jüngst via SZ einen kleinen Gruß an seine Vorgesetzten schickte. Sollte der Trainer - nur mal als Beispiel - zu dem Schluss kommen, dass Jérôme Boateng aktuell nicht in der Verfassung sei, um von Beginn an aufzulaufen, dann ... müsste er ihn trotzdem auflaufen lassen. Rochaden lässt sein Kader nicht mehr zu; würde Flick etwa Benjamin Pavard nach innen versetzen, hätte er keinen Rechtsverteidiger mehr, nicht mal den Teilzeitverteidiger Joshua Kimmich, der in Berlin wegen einer Gelbsperre fehlt.

So sind die letzten beiden Januarwochen vor allem für Hasan Salihamidzic zu Finalwochen geworden. Der Sportdirektor muss bis zur Schließung des Transferfensters Dinge tun, die sich eigentlich ausschließen, und er steht dabei auch noch unter öffentlicher Beobachtung. Er muss kurz- und langfristig denken, er muss reaktive und aktive Transfers gegeneinander aufrechnen, und er darf dabei weder den Trainer noch das Image des Vereins noch den Kontostand beleidigen. Verständlicherweise wollen die Bayern im Moment keine 20 Millionen für einen Spieler ausgeben, der möglicherweise kurz weiterhilft, auf Dauer aber nicht als FC-Bayern-tauglich eingestuft wird.

Aber noch viel selbstverständlicher ist es, dass der Sportdirektor Salihamidzic seinen Trainer nicht mit einem Kader in die Rückrunde schicken kann, der beim ersten Auftreten von Husten/Schnupfen/Heiserkeit auseinander fliegt.

Flicks Mahnungen haben den Druck intern so erhöht, dass der Trainer wohl tatsächlich noch mit einem, vielleicht zwei neuen Spielern rechnen darf. Zwar gab sich Flick am Freitag vor der Presse defensiv, man müsse mögliche Transfers "mit Bedacht" angehen und dürfe "nichts Verrücktes tun"; so friedlich kann man reden, wenn man "nach einem guten Gespräch mit dem Sportdirektor" (Flick) davon ausgeht, dass noch ein Wunsch erfüllt wird. Offenbar sucht der Verein nach einem Innenverteidiger und einem Außenstürmer, als wahrscheinlich gelten kreative Leasing-Modelle, so dass der Klub im Sommer prüfen kann, ob der Neue/die Neuen vielleicht doch FC-Bayern-tauglich sind.

Im vorigen Sommer haben die Münchner ihren Kader bewusst knapp gehalten, womöglich haben sie auch ihrem damaligen Trainer Niko Kovac nicht zugetraut, ein Großaufgebot an Charakterdarstellern zu managen. So kommt es, dass die Bayern auf dem Wintermarkt plötzlich agieren müssen wie ein handelsüblicher Bundesligist, der irgendwo irgendwen ausleihen muss, weil in der Vorrunde irgendwas irgendwie schief gelaufen ist.

In Berlin rechnet Hansi Flick noch nicht mit externer Verstärkung. Beim anschließenden Heimspiel gegen Schalke 04 könnte dann aber schon ein neuer Spieler auf der Wiese stehen.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2020
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