Süddeutsche Zeitung

FC St. Pauli:Tunnel zur Hölle

Der FC St. Pauli nimmt sich eine Menge vor für das Heimdebüt dieser Spielzeit, verliert aber erstmals seit 25 Jahren daheim gegen Eintracht Braunschweig.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der FC St. Pauli hatte alles vorbereitet für eine große Heimpremiere der Saison 2016/2017. Der neue Tunnel, durch den die Spieler jetzt aufs Feld gehen, war gruselig für die Gäste: rotes Feuerlicht, ein riesiger Totenkopf, und der "Hells Bells"-Song von AC/DC wurde noch lauter aufgedreht als sonst vor den Spielen. Dazu auf Wunsch des Trainers Ewald Lienen ein neuer Rasen, auf dem der Tabellenvierte der vergangenen Saison den Ball noch besser laufen lassen sollte. Die heimischen Medien erinnerten obendrein gern daran, dass Eintracht Braunschweig zuletzt vor 25 Jahren am Millerntor gewonnen hatte. Es schien also alles gerichtet zu sein für die Hamburger, nachdem der FC ja beim Aufstiegsfavoriten VfB Stuttgart trotz der 1:2-Niederlage 60 Minuten geglänzt hatte.

Von wegen. Der Tunnel zur Hölle hat die Braunschweiger offenbar eher aufgepeitscht. Und auf dem neuen Grün spielte nur eine Mannschaft Fußball, nämlich die der Gäste. 0:2 hieß es am Ende, "völlig verdient", wie St. Paulis Coach Lienen einräumte. Zumindest am Samstagabend war die Eintracht nach zwei gewonnenen Partien Tabellenführer der zweiten Liga. Der Plan von Lienens Kollege Torsten Lieberknecht war aufgegangen, weil alle seine Profis topfit wirkten und dem Gegner kaum Räume ließen. Zudem kam ihm entgegen, dass bei St. Pauli die bewährte Innenverteidigung ausgefallen war: Philipp Ziereis war krank geworden und fehlte ganz, Kompagnon Lasse Sobiech musste nach elf Minuten nach einem Zusammenstoß mit Domi Kumbela vom Feld - Verdacht auf Adduktoren-Zerrung.

Das hatte schlimme Folgen. Als Joseph Baffo in der 40. Minute von der Mittellinie den Ball Richtung Strafraum schlug, wusste Kumbela genau, wie er ihn mit dem Kopf erreichen konnte, Marc Hornschuh, der Ersatz für Sobiech, verrechnete sich dagegen. Das ermöglichte Kumbela das 0:1. Dabei habe ihm der "Instinkt" geholfen, sagte der zurückgekehrte einstige Aufstiegsheld der Braunschweiger. Ziereis-Vertreter Sören Gonther wiederum rutschte in der 67. Minute an der Mittellinie auf dem Ball aus, Julius Biada stibitzte das Leder, lief davon und versenkte es eiskalt im Netz. Zuvor hatte er vor der St. Pauli-Fankurve nochmal "tief durchgeatmet", wie er später erzählte. Bisher spielte er in der dritten Liga bei Fortuna Köln.

Ewald Lienen vernimmt einen "Weckruf für uns alle"

Lieberknecht ist begeistert von seinen Neuen aus der tieferen Klasse, auch Quirin Moll (Dresden) und Patrick Schönfeld (Aue) spielten von Beginn an, Onel Hernandez (Wolfsburg II) wirbelte in der Schlussphase auffällig. Sie seien mit "Glanz in den Augen zur Mannschaft gestoßen", berichtete Lieberknecht, und da auch der Norweger Gustav Valsvik in der Abwehr und der Slowene Nik Omladic im Mittelfeld (er traf schon in der 5. Minute den Pfosten) überzeugten, scheint sich ein Team zu finden, dass sich vielleicht weiter oben in der Tabelle einrichten könnte. Vergangene Saison war die Eintracht Achter.

Bei St. Pauli, das vier Stammspieler verlor (Rzatkowski, Sebastian Meier, Alushi und Thy), müssen höhere Ziele erstmal hintenan gestellt werden. "Das war ein Weckruf für uns alle", sagte Ewald Lienen über die diesmal auffallend kraftlose Leistung. Man müsse sich ein Stück weit "neu erfinden". Man dürfe sich eben "nicht blenden lassen" von 60 guten Minuten in Stuttgart. Auffällig: Braunschweig verbuchte die Punkte anders als jene acht Gegner in der Vorsaison, die mit extremem Sicherheitsfußball am Millerntor eine Niederlage verhindern konnten. Die Niedersachsen diktierten das Spiel. Und das war dann doch eine Überraschung.

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SZ vom 14.08.2016
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