FC Sevilla gegen Bayern:Mystische Beziehung in der Nische

Bayerns Supercup-Gegner Sevilla gewinnt die Europa League in Serie und fast mit Routine: Dies ist auch die Folge einer cleveren Einsicht in der heimischen Liga.

Von Javier Cáceres

Vor ein paar Tagen postete Monchi ein Foto, das einer Wette mit seiner Tochter entsprang. Der Manager des FC Sevilla, der mit bürgerlichem Namen Ramón Rodríguez Verdejo heißt, ließ sich eine Tätowierung stechen: den stilisierten, eigentlich achteckigen, henkellosen Pokal, der früher dem Sieger des vormals als Uefa-Cup bekannten Wettbewerbs namens Europa League überreicht wird.

Darunter: sechs Sterne. So oft hat der FC Sevilla - mit Monchi als Manager - die zweitwichtigste Trophäe des kontinentalen Vereinsfußballs bereits gewonnen. Zum Vergleich: die deutsche Bundesliga hat den Cup seit dessen erstmaliger Austragung zu Beginn der 1970er Jahre ebenso häufig gewonnen: Borussia Mönchengladbach zwei Mal (1975, 1979), Eintracht Frankfurt (1980), Leverkusen (1988), Bayern München (1996) und Schalke 04 (1997) je ein Mal.

"Der FC Sevilla hat eine besondere, magische Beziehung zu diesem Cup", sagt Sergio Escudero, einer der Führungsspieler der Mannschaft, am Telefon, "und das bekommt man hier am ersten Tag eingeimpft. Es ist Teil der DNA des FC Sevilla, die man verabreicht bekommt. Sofort."

Die Europa League ein "Verlierer-Cup"? Ein Verteidiger sieht das ganz anders

Escudero, 31, kam 2015 nach Sevilla, nachdem er wegen eines vor allem verletzungsbedingt unglücklichen Engagements beim FC Schalke (von 2010 bis Januar 2013) beim FC Getafe gelandet war. "Mittlerweile kommt es mir vor, als wäre ich hier in Sevilla geboren worden", sagt er. "Ich bin sehr stolz darauf, nun schon zwei Mal die Europa League gewonnen zu haben und nun gegen den FC Bayern um den Supercup zu spielen."

Beim jüngsten Europa-League-Finale, Mitte August in Köln gegen Inter Mailand (3:2), saß Escudero auf der Bank. Doch der von Real Madrid ausgeliehene, mittlerweile zu Tottenham nach England gewechselte Linksverteidiger Sergio Reguilón hat nun Platz gemacht; Escudero hat beste Chancen, gegen die Bayern in der Startelf zu stehen und seinen Beitrag dazu zu leisten, dass die kontinentale Legende des FC Sevilla weiter wächst.

Dieser FC Sevilla hat eine nachgerade mystische Beziehung zur Uefa-Trophäe entwickelt, seit er sie 2006 zum ersten Mal gewann. Es war der erste Erfolg des Klubs nach einer jahrzehntelangen Zeit der Dürre, seit dem Pokalsieg von 1948. Und er gebar seinen eigenen Märtyrer. Denn jener Mann, der den FC Sevilla in der Verlängerung des Halbfinals gegen Escuderos Ex-Klub Schalke damals ins Endspiel schoss, Antonio Puerta, verstarb ein Jahr später 22-jährig auf dem Rasen, an den Folgen einer nicht entdeckten Herzkrankheit. Die Traueranzeigen, die Schalke danach schaltete, konsolidierten eine Freundschaft zwischen den beiden Klubs, die schon nach Puertas Tor entstanden war.

Sevillas Fans feierten nach dem Einzug ins Finale gegen Middlesbrough (4:0) den FC Schalke. "Diese Zuneigung ist immer noch präsent, das freut mich sehr", sagt Escudero. Was natürlich nicht bedeutet, dass Sevilla sich ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben hätte, die soeben vom FC Bayern gedemütigten Freunde in Budapest zu rächen. "Das 0:8 haben wir am Ticker verfolgt, nachdem wir selber ein Testspiel gespielt hatten", sagt Escudero, "das war hart." Sevillas Ziel ist es, den zweiten Supercup der Klubgeschichte nach 2006 zu gewinnen.

Dass der FC Sevilla Europa als Nische entdeckt hat, folgt einer stillschweigenden Einsicht. Die beiden großen Klubs Spaniens - Real Madrid und FC Barcelona - sind wirtschaftlich und damit sportlich fern jeder Schlagdistanz. Die Einnahmen, die Sevilla für die Saison 2019/20 veranschlagt hatte, lagen bei rund 220 Millionen Euro - weniger als ein Viertel der Einnahmen, mit denen Barça kalkuliert hatte. Das Bruttogehalt von Barça-Kapitän Lionel Messi würde reichen, um zwei Drittel des Kaders des FC Sevilla zu bezahlen, die Personalkosten für die Profis der Andalusier lagen zuletzt bei knapp 160 Millionen Euro.

"Wir versuchen, ihnen so nahe zu kommen wie möglich, aber es ist nicht zu bestreiten, dass es schwierig ist", sagt Escudero: "Und die Europa League bewegt den ganzen Klub, vom Präsidenten über Monchi bis hin zu den Fans." Sie haben die Europa League also als ihren Wettbewerb adaptiert. Wenn nicht gerade Pandemie ist, gleichen ihre Exkursionen durch Europa beinahe Kreuzzügen. Dass der Europa League in Deutschland der Ruf des "Verlierer-Cups" anhaftet und man mitunter das Gefühl hat, Bundesligisten würden den Wettbewerb ein wenig verachten, kann Escudero nicht nachvollziehen: "Es ist doch wundervoll, einen europäischen Cup zu holen!"

Monchi kommandiert zwölf Scouts

Dass Sevilla das nun schon sechs Mal gelang, ist Folge einer nun bereits zwei Jahrzehnte währenden Entwicklung - weitgehend unter Monchi. Der frühere Torwart und ausgebildete Jurist war zu Beginn des Jahrtausends zum Sportdirektor bestimmt worden, als der Verein ruiniert und zweitklassig war. Er etablierte eine Maxime, die er von einem der abergläubischsten Menschen des Planeten gelernt hatte, von seinem Ex-Coach Carlos Salvador Bilardo, dem argentinischen Weltmeistertrainer von 1986. Das Glück und das Pech existieren, hatte Bilardo gesagt, also muss man beide in die Knie zwingen. Die Konsequenz daraus: arbeiten!

Der Klubboss hat Trainer Lopetegui resozialisiert

Im Grunde scheint es egal zu sein, wer unter Monchi, 52, gerade Trainer ist. Die ersten beiden Uefa-Pokale holte er mit Juande Ramos, der später bei Real Madrid und Tottenham scheiterte; die nächsten drei gewann Unai Emery, der bei PSG und dem FC Arsenal Schiffbruch erlitt. Nun hat er Julen Lopetegui resozialisiert - der hatte als spanischer Nationaltrainer und bei Real Madrid zuvor traumatische Abschiede hingelegt. Monchi serviert seinen Trainern feinste, entwicklungsfähige Profis, denen er bei Ankunft stets unterbreitet, was sie keinesfalls tun sollten: ein grünes Auto zu kaufen. Denn Grün ist die Farbe des Lokalrivalen Betis. Und die Rivalität zu Betis ist ein wichtiger, identitätsstiftender Faktor des FC Sevilla.

Monchi kommandiert zwölf hauptamtliche Scouts, die jahrein, jahraus nach dem gleichen Muster arbeiten. Sie destillieren im ersten Halbjahr einer Saison nach einem genauen Plan eine Gruppe von etwa 500 Spielern heraus, die theoretisch für den Verein interessant sein könnten; im Frühjahr sieben sie anhand von exakten Parametern so lange, bis sie pro Position mehrere Spieler haben, die im Zweifelsfall kontaktiert werden können.

Manchmal gibt es Zufälle - wie im Fall von Ivan Rakitic, dem früheren Schalker, der 2014 die Europa League mit Sevilla gewann und nun nach sechs Jahren beim FC Barcelona zurückkehren konnte. Und manchmal rentieren sich Zugänge erst, wenn sie schon von der Öffentlichkeit in der Luft zerrissen worden waren. Der frühere Gladbacher Luuk de Jong galt lange als Fehleinkauf, im Finale gegen Inter Mailand traf er zwei Mal.

Dass sie ein Verkaufsklub sind, ist Teil einer Philosophie, "die uns in 20 Endspiele und zu zehn Titeln geführt hat, sieben europäische und drei nationale", wie Monchi dieser Tage sagte. Aktueller Anlass: Jules Koundé, 21. Der Verteidiger kam im vergangenen Jahr für 25 Millionen Euro aus Bordeaux und wird nun von Manchester City umworben.

"Wir haben ein Angebot abgelehnt, das zweieinhalb Mal so hoch war wie der Preis, den damals alle übertrieben nannten", sagte Monchi, als er am Montag den neuesten Fang vorstellte, Linksverteidiger Marcos Acuña. Mit Hochachtung sprach er dabei vom Supercup-Gegner: "Der FC Bayern ist in Sachen Leistung, Selbstvertrauen und Aggressivität in einem perfekten Zustand", sagte er. Aber: "Wir werden antreten."

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