FC Schalke 04:Das ist der beste Schalker dieser Saison

FC Schalke 04: Der Schalker Sead Kolasinac ist der beste Schalker in dieser Saison und hat das Interesse einiger europäischer Topklubs geweckt.

Der Schalker Sead Kolasinac ist der beste Schalker in dieser Saison und hat das Interesse einiger europäischer Topklubs geweckt.

(Foto: AP)

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Anfang der Woche ist im Alter von 61 Jahren der frühere Schalker Profi Bernd Thiele verstorben. Ältere erinnern sich an einen Verteidiger, der hart mit sich selbst war, aber noch härter mit gegnerischen Angreifern umging. Thiele debütierte 1973 als 17-Jähriger im Profiteam, schon damals soll er die wichtigsten Tricks der Verteidiger-Lehre genau gekannt haben. Gegenspieler schnappte er sich bereits auf der Rolltreppe des Parkstadions, um ihnen Unheil anzukündigen, eine Einschüchterungstaktik, die sich auch bei Spitzenspielern bewährt haben soll. Den früheren Westfalenauswahl-Kollegen Karl-Heinz Rummenigge empfing Thiele zwar mit dem Kosenamen "Rotbäckchen", aber auch mit eindeutigen Drohungen.

"Fußball war damals nichts für Mimosen", erzählte der Abwehrmann unlängst dem Vereinsmagazin Schalker Kreisel. In jenem Gespräch berichtete er aus den schönen Zeiten, in denen der Mitspieler Aki Lütkebohmert Dauerlaufrekorde aufstellte, obwohl er abends zuvor "locker 40 Altbiere getrunken hatte" - sowie aus jenen Tagen, in denen der leider unaufhaltsame Fortschritt den Genuss des Profi-Daseins störte. Etwa, als Trainer Ivica Horvat zum Frühstück plötzlich Müsli servieren ließ: "Er glaubte, das würde uns besser machen - das konnte nicht gutgehen."

In heutigen Zeiten wäre der massiv schnauzbärtige Thiele ein sogenannter Kultspieler, aber den Begriff gab es damals nicht, und wenn es ihn gegeben hätte, hätte er viel Konkurrenz um den Ehrentitel gehabt, denn in seinen Teams standen die Kremers-Zwillinge, Abramczik, Libuda, Rüssmann, Bongartz, Fischer und andere große Schalker. Nach der Karriere zog Thiele nach Gran Canaria und eröffnete dort eine Kneipe: "Zum Schalker".

Er wurde vom Kind zum Mann - jetzt locken London und Turin

Heutzutage bekommen die Schalker Profis zum Frühstück glutenfreies und veganes Müsli. Marmelade gibt es nicht mehr, nicht mal Croissants für die Franzosen Stambouli und Bentaleb - und die Kultspieler sind auch eher rar geworden.

Torwart Fährmann und Kapitän Höwedes vertreten Königsblau aus Ideologie. Die altgedienten Uchida und Huntelaar genießen ebenfalls besonderes Ansehen, doch ihre Rolle beim Derby gegen Dortmund am Samstag (15.30 Uhr im SZ-Liveticker) wird sich wieder aufs Zuschauen beschränken. Uchida plagt sich seit zwei Jahren mit den Folgen einer Verletzung, und Huntelaar muss erleben, dass der Notstands-Transfer Burgstaller nun eine Stelle im Sturmzentrum belegt. Und dann gibt es noch: Sead Kolasinac. Dem in Karlsruhe geborenen bosnischen Nationalspieler, 23, wäre ein prominenter Platz in einer künftigen Ahnengalerie zuzutrauen. Als 17-Jähriger aus Stuttgart zugereist, hat sich Kolasinac beim Publikum schnell beliebt gemacht, weil er mit Methoden vorging, die auch Bernd Thiele gefallen hätten. Am Anfang hat es zwar nicht immer schön ausgesehen, wenn er im Zweikampf häufiger den Gegenspieler als den Ball getreten hat, aber es hat zumindest immer nach vollem Einsatz ausgesehen, zumal wenn er dazu diesen Blick aufsetzte, der auf böse Absichten deutete. Inzwischen ist das Treffer-Verhältnis in den Zweikämpfen deutlich umgekehrt.

"Er ist ein Energiespieler, der die anderen mitreißt"

Kolasinac hat defensiv und offensiv seine Stärken aus- und Schwächen abgebaut. Er ist nur deshalb nicht der Gewinner der Saison, weil die Saison noch nicht vorbei ist. "Seo verkörpert, was wir momentan spielen", sagt Sportdirektor Axel Schuster, was folgerichtig auch den Trainer Markus Weinzierl schwärmen lässt: "Er ist ein Energiespieler, der die anderen mitreißt. Seo ist eine Säule und Größe auf der linken Seite." Umso dringender hofft der Trainer, dass der stürmische Verteidiger trotz muskulärer Probleme gegen den BVB fit ist.

Als Kolasinac Anfang 2011 aus der Stuttgarter A-Jugend in den Westen wechselte, galt er als schwieriger Fall. Schon in Hoffenheim hatte es Vorfälle gegeben, beim VfB war er rausgeflogen. In Schalke bekam er zum Einstand eine klare Ansage, den Rest regelte wieder mal der Juniorentrainer Norbert Elgert. "Was er leistet, ist einmalig in Europa und einfach atemraubend", hat Kolasinac vor ein paar Wochen über seinen Lehrer gesagt: "Man kommt als Kind in die A-Jugend, und er macht einen dort zum Mann."

Elgerts sagenumwobene Mischung aus Erziehung und Ausbildung hat Schalkes Profi-Elf in den vergangenen Jahren viele Spitzenspieler beschert, aber aus diesen Spielern durften dann keine Kultspieler wie Rüssmann, Fischer oder Abramczik werden. Özil, Neuer, Draxler, Matip, Sané wurden Stars und gingen andere Wege, und Kolasinac könnte der nächste sein, bevor Max Meyer und Leon Goretzka womöglich die Übernächsten sind.

Kolasinac' Vertrag läuft im Sommer aus, das macht ihn noch wertvoller und die Liste der Interessenten noch länger. Für Vereine wie Juventus Turin oder den FC Chelsea, die mit Spielern Großhandel treiben, ist auch er ein hübsches Spekulationsobjekt, seit Monaten wird Heidel zu Transfergerüchten befragt. Vor dem Derby erklärte nun der Manager, was er schon häufig erklärt hat: Es werde "sicherlich demnächst eine Entscheidung geben", bis dahin habe er mit dem Berater von Kolasinac Diskretion vereinbart.

Heidel geht den Fall geduldig und geschäftsmäßig an: Er kennt den sportlichen Wert des Spielers und dessen Bedeutung für die Identität der Mannschaft, und er weiß, dass der Verteidiger sein Zuhause auf Schalke wirklich sehr schätzt. Aber er weiß auch, dass sich heutzutage jeder Profi mit einem Heim in London oder Liverpool arrangiert. Vielleicht macht Sead Kolasinac dort dann einen Pub namens "The Schalker" auf.

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