1. FC Nürnberg im Abstiegskampf:Der Club will kein Depp mehr sein

Die Bundesliga-Saison ist für den FCN eine Art Intelligenztest: Die Nürnberger haben sich vorgenommen, den Abstiegskampf ohne die alten Krisenreflexe zu bewältigen. Der Trainer wird neuerdings ebenso wenig infrage gestellt wie die Transferpolitik - doch trotzdem ist vor den letzten beiden Partien des Jahres der Druck auf das junge Team hoch.

Christof Kneer

Es klopft an der Tür von Martin Baders Büro, der Trainer steht draußen. Dieter Hecking macht ein Gesicht, als gäbe es den nächsten Verletzten zu vermelden, aber das kann natürlich nicht sein. So viele Verletzte gibt es ja gar nicht. Beim 1. FC Nürnberg haben sie ohnehin so viele Krankmeldungen zu bearbeiten, dass es schon an seelische Grausamkeit grenzt, unter diesen Umständen Trainer zu sein. Dieter Hecking macht eine kurze Pause, dann sagt er: "Knöcherner Ausriss, vier Wochen Gips." Martin Bader sagt: "Nee, oder?"

1. FC Nuernberg v 1899 Hoffenheim  - Bundesliga

Mal sehen, wer sich jetzt noch alles verletzt: Dieter Hecking, leidgeprüfter Trainer in Nürnberg.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Juri Judt hat sich also auch noch verletzt, im Training, einfach so, ohne jeden Zweikampf. Judt war zuletzt kein großer Faktor in dieser Mannschaft, aber am Samstag, in Leverkusen, hätte Hecking den Reserve-Rechtsverteidiger gut gebrauchen können, denn der Stamm-Rechtsverteidiger Timothy Chandler ist gesperrt. Das ist schon deshalb lästig, weil auch Stamm-Linksverteidiger Javier Pinola verletzt ist. Der Reserve-Linksverteidiger, Marvin Plattenhardt, hat zuletzt zwar nicht viel Nützliches zum Club-Spiel beigetragen, aber in Leverkusen würde Hecking ihn schon gerne aufstellen, er hat ja sonst keinen Linksverteidiger mehr.

Aber: Plattenhardt zieht's an den Adduktoren. Und Tomas Pekhart, einziger Stürmer von Format, hat Grippe. "Zwei große Fragezeichen" setze er hinter die beiden, sagt Hecking und meint, er warte lieber mal ab, "wer überhaupt in den Bus steigt". Das klingt, als erwarte er, dass vorher noch schnell eine mysteriöse Syndesmoseband-Epidemie oder ein Kreuzband-Virus angeflogen kommt, oder es entzünden sich noch fünf bis sechs Schambeine. Weiß man's? Beim Club weiß man's zurzeit nicht.

Der 1. FC Nürnberg ist nicht der erste Klub der Welt, den eine Verletzungsserie heimsucht, aber der Rest der Welt ist den Nürnbergern im Zweifel egal. Der Club ist der einzige Klub der Welt, dessen Spieler, ob gesund oder verletzt, Clubberer heißen. Der Club ist etwas Spezielles, und Club-Anhänger wissen, dass das nicht immer ein Vorteil sein muss. Wenn der psychisch und physisch angeschlagene 1. FC Nürnberg am Samstag in Leverkusen verliert, wäre das nicht schön, aber irgendwie normal. Verliert er aber im Dienstag im Pokal-Lokal-Derby gegen den ambitionierten Zweitligisten Greuther Fürth, dann wäre das so unnormal, dass eine Adduktorenzerrung dagegen ein nachrangiges Übel wäre.

Die letzten beiden Vorrunden-Spiele könnten darüber entscheiden, ob sich der inzwischen so seriöse 1. FC Nürnberg innerhalb von vier Tagen in den folkloristischen, unberechenbaren Club zurückverwandelt. Ob der Verein in seinen Genen plötzlich den Hang zum Chaos wiederentdeckt. Vor einem Szenario mit zwei Niederlagen fürchten sie sich ein bisschen beim Club, denn natürlich kennen Bader und Hecking die Wege, auf denen sich das Chaos in dieser modernen Welt heranschleicht.

Namenlose Motzereien aus den Tiefen der Internetforen dringen in die anonyme Fanszene ein, schwappen von da ins Stadion, in die Öffentlichkeit, in die Medien - von da ist es nicht mehr weit bis vor die Sitzungstüren der Gremien. In denen könnte die Unzufriedenheit schnell einen Namen erhalten, den des Trainers, und dann . . .

Rückendeckung für Dieter Hecking

"Nein", sagt Martin Bader, "die Zeiten sind vorbei beim 1. FC Nürnberg, dass wir uns einen Trainer waidwund schießen lassen." Der Sportvorstand Bader und der Finanzchef Ralf Woy haben sich eine Menge vorgenommen, sie sind dabei, eine moderne Mannschaft mit einer modernen Unternehmenskultur zu etablieren, und sie gehen davon aus, dass auch der neu formierte Aufsichtsrat kein Interesse mehr an den alten Ritualen hat. "Aber natürlich ist die aktuelle Situation eine Art Stresstest für die neuen Strukturen in unserem Verein", sagt Bader.

Der Glubb is' a Depp so lautet die alte, schmerzhafte Liebeserklärung der Anhänger an ihren Verein, der es unter anderem schon geschafft hat, in unabsteigbarer Lage abzusteigen. So gesehen, ist der Stresstest eher eine Art Intelligenztest: Der FCN hat sich zuletzt zu einem vernunftbetonten Bader/Hecking-Club entwickelt, keiner hat mehr Sehnsucht nach dem Depp. Den Club lenken jetzt nüchterne Chefs, die - abgesehen vom gespenstischen Verletzungstrend - nicht wirklich überrascht sind vom Saisonverlauf.

Hecking wusste ja, dass ein Klub wie der Glubb nicht einfach Spieler wie Gündogan, Ekici und Schieber hergeben und dann genauso weiter spielen kann. Hecking ist kein Volkstribun, keiner für die Kurve, er macht sich nicht mit Witzchen beliebt wie Hans Meyer. Aber im Moment könnte es für den Club ein Segen sein, dass er einen Trainer beschäftigt, der seine Arbeit auf Platz 16 (aktuell) ebenso unaufgeregt, präzise und pointenfrei erledigt wie auf Platz sechs (Vorsaison). Der Club braucht dieses Image der Integrität, "wir wollen ja weiter der Verein sein, der für junge, deutsche Profis interessant ist", sagt Bader.

Bader hat einen klaren Plan, aber er ahnt, dass er diesem Plan im Winter untreu werden muss. Eigentlich sieht der Plan vor, pro Saison sechs, sieben Talente zu holen - selbst wenn am Ende wieder zwei weggekauft werden, bleibt eine Handvoll dem Club erhalten. So wird das 1a-Talent Philipp Wollscheid die Nürnberger im Sommer Richtung Leverkusen verlassen und so viel Geld einspielen, dass Bader es sich erlauben kann, das 1b-Talent Timothy Chandler trotz eines Angebotes aus Stuttgart zu halten. Auf diese Weise, das ist die Idee, soll das Niveau der Elf allmählich steigen.

"Aber genau deshalb haben wir die verdammte Verpflichtung, die Klasse zu halten", sagt Bader, "deshalb kann es sein, dass wir jetzt im Winter ausnahmsweise mal einen 24-jährigen Finnen oder einen 26-jährigen Franzosen holen." Oder Adam Hlousek (Sparta Prag), Hiroshi Kiyotake (Osaka) und Moritz Stoppelkamp (Hannover) - Namen, die Bader ebenso wenig dementiert wie das grundsätzliche Interesse am Bayern-Verteidiger Breno, der in Nürnberg schon einmal leihweise glänzte. Aber bei Breno, sagt Bader, gebe es wohl doch "ein paar Fragezeichen zu viel".

Sie wollen klar bleiben beim Club, logisch handeln, auch im Abstiegskampf. Natürlich ist ihnen auch David Jarolim angeboten werden, jener umstrittene Führungsschlingel, mit dem man in kriselnden Kadern einen 1a-Reizpunkt setzen kann. Martin Bader hat kühl abgelehnt.

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