1. FC Nürnberg:Drunter und drüber

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Wende in Darmstadt: Mikael Ishak (hinter Joël Mall) bringt Nürnberg erstmals in Führung.

(Foto: imago/Jan Hübner)

Der Club gewinnt 4:3 in Darmstadt. Er unterstreicht so seine Aufstiegsambitionen, die Fans der Gastgeber werden nach vier sieglosen Spielen unruhig.

Von Florian Bindl und Julian Budjan

Gleich dreimal fiel am späten Montagabend am Böllenfalltor das S-Wort. In den Mund nahmen es Michael Köllner, der Trainer des 1. FC Nürnberg, Mikael Ishak, sein Stürmer, und Eduard Löwen, sein Verteidiger. Jenes S-Wort steht auf keinem Index und muss nicht durch Begriffe wie Scheibenkleister ersetzt werden - Selbstvertrauen, das war es, was die drei Nürnberger an diesem spektakulären Abend in Darmstadt an- und aussprachen. Gar von "unheimlichem Selbstvertrauen" erzählte Köllner. Sein Team hatte wenige Minuten zuvor einen 4:3-Auswärtssieg eingefahren, und das beim Bundesliga-Absteiger SV Darmstadt 98.

Wie hoch dieser Erfolg der Franken zu bewerten ist, zeigen die letzten Heimspiele der Lilien: Bielefeld und Dresden ist der Aufenthalt in Hessen noch in schmerzlicher Erinnerung, Beide führten, Dresden sogar bis in die Nachspielzeit, doch der Geist vom "Bölle" war zu stark. 3:3 und 4:3 endeten diese Partien, es scheint so zu sein, als wären Darmstadt und Torspektakel untrennbar miteinander verwoben. Das glücklichere Ende war dabei meist dem SVD vorbehalten. Bis der Club kam.

Der Gegentreffer kurz nach der Pause wirkte für die Darmstädter wie ein Betäubungsmittel

Dabei war den Darmstädtern ein exzellenter Start gelungen. Nach sechs Minuten belohnte sich das Team für den couragierten Start, einen strammen Schuss von Yannick Stark fälschte Lukas Mühl ins eigene Netz ab. Der Club war keineswegs geschockt, vielmehr wirkte es, als sei Nürnberg durch den Gegentreffer erst aufgewacht. Cedric Teuchert traf zum 1:1 (23.).

Köllners brachte zur Pause den formstarken Tim Leibold für Patrick Kammerbauer, der Wechsel fruchtete sofort. Ein Zuspiel Leibolds versenkte Torjäger Ishak schnörkellos (51.). Genau sechs Minuten nach Wiederanpfiff lagen nun die Gäste in Führung, und es war an den Hessen, diesen Rückschlag wegzustecken. Anders als Nürnberg, das der frühe Rückstand zu Spielbeginn wachgepiekst zu haben schien, glich das 1:2 einem Betäubungsmittel für Darmstadt. Folgerichtig erhöhte Teuchert nach einem Konter noch (58.).

Dass die Heimelf überhaupt noch einmal den Finger erheben durfte und ein Unentschieden in Aussicht hatte, lässt sich durch zweierlei Umstände begründen. Erstens: Nürnberg vergab etliche Möglichkeiten. "Wir müssen das Spiel schon vorher heimbringen. Wir hatten Riesenkonterchancen", monierte Köllner. Zweitens: Immer wenn das Spiel entschieden zu sein schien, brachte sich Nürnberg durch Schludrigkeiten selbst in die Bredouille und Darmstadt zurück ins Spiel. Beim 2:3 durfte Felix Platte freistehend einschießen, Nürnbergs Verteidigung hatte ihn aus den Augen verloren. Beim 3:4 - Leibold hatte zuvor wieder den Zwei-Tore-Vorsprung hergestellt - fabrizierte Eduard Löwen ein kurioses Eigentor. Eine hohe Hereingabe sah er zu spät, der Ball tropfte ihm ins Gesicht. Während sich Löwen wegdrehte und sich die schmerzende Nase hielt, hoppelte der Ball zuerst an den Innenpfosten und von dort ins Tor. Köllner aber nahm nicht nur ihn in Schutz: "Wenn man mit vier 20-Jährigen spielt, kann es schon mal drunter und drüber gehen."

Zu seinem Glück sollte dies die letzte Drunter-und-drüber-Aktion des Spiels bleiben. Ein durchdringendes "Wuuuuh" schrie Köllner nach Schlusspfiff in die Nacht hinein. Er wusste: Mit diesem Sieg ist seine Mannschaft nicht nur auf Rang drei vorgerückt; es wurden auch die aufkeimenden Zweifel nach der 1:2-Heimniederlage gegen Bielefeld direkt wieder erstickt. Mehr und mehr festigt sich seine Spielidee in den Köpfen seiner Akteure, gerade das überfallartige Umschaltspiel funktionierte. Die Mannschaft hat, genau, Selbstvertrauen. Das Spiel bestätigte aber auch: Der Club gehört zum - zugegeben - weiten Feld derer, die sich um den Aufstieg bewerben. Gerade die Drunter-und-drüber-Generation um Löwen, Teuchert, Mühl und Co. entwickelt sich prächtig. Der 1. FC Nürnberg profitiert auch davon, dass die anhaltenden Unsicherheiten in der Defensive im Zweifel durch ein Offensivfeuerwerk ausgeglichen werden, so wie am Böllenfalltor.

Darmstadt dagegen offenbarte in der Defensive erhebliche Defizite, der Spielaufbau wirkte fahrig. Diese Unsicherheit mündet derzeit in individuelles Fehlverhalten. So geschehen vor dem 1:1, als Patrick Banggaard dem Nürnberger Teuchert den Ball in die Füße spielte. Frings grummelte: "Wenn du hinten solche Fehler machst, ist es schwer, Spiele zu gewinnen." Als Darmstadt vor drei Jahren der Durchmarsch in die erste Liga gelang, war die Abwehr noch das Prunkstück des Teams. Davon ist nicht viel übrig geblieben. Vielmehr sind die Lilien im tristen Tabellenmittelfeld angelangt, Frings' Team droht gar den Anschluss an die Aufstiegsränge zu verlieren. Nach nunmehr vier sieglosen Partien gerät der Coach langsam unter Druck, im Umfeld rumort es bereits. Am Freitag muss Darmstadt zum Tabellenführer aus Düsseldorf reisen, der zu Hause unbesiegt ist. Es gibt leichtere Aufgaben, um das angeknackste Selbstvertrauen wieder aufzupolieren. Michael Köllner hätte dafür sicher ein paar gewinnbringende Tipps parat.

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