1. FC Magdeburg:Auswärts Erster, daheim Letzter

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Den Spielball hat er sicher: Martijn Kaars, 25, erzielt auf Schalke vier Treffer für Magdeburg. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Während es zu Hause mäßig läuft, schlägt der 1. FC Magdeburg auf Reisen zu. Das 5:2 auf Schalke ist der dritte 5:2-Auswärtssieg in Serie. Das hat viel mit dem Offensivstil von Trainer Titz zu tun – und mit dem nun besten Stürmer der zweiten Liga: Martijn Kaars.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Würde es jemand aussprechen? Würde wirklich jemand wagen, ihn damit zu konfrontieren? Aber selbstverständlich. Die Redensart „fast im Alleingang“ ist zwar eine Sportreporterfloskel mit einem Bart so lang, wie ihn einst der berühmte Niederländer Vader Abraham trug, Erfinder des Schlumpfliedes. Doch Martijn Kaars, 25, war der richtige Adressat für die rhetorische Standardsituation, die ihm gleich mehrmals begegnete, als er mit dem Ball unter dem Arm in der Interviewzone der Veltins-Arena stand und Fragen zum 5:2-Sieg des 1. FC Magdeburg beim FC Schalke 04 entgegennahm.

Wie gesagt: Das passte schon. Kaars ist ja ebenfalls Niederländer, und an diesem Abend in Gelsenkirchen war er zu einer Berühmtheit gelangt wie der große Barde Vader Abraham, indem er vier Tore gegen die zuletzt auffallend starken Schalker erzielte – jene Schalker, und so schließt sich der Kreis, die in feindlich gesinnten Fankreisen wegen ihrer königsblauen Herkunft „die Schlümpfe“ genannt werden.

Und auch die Stereotype fast im Alleingang fand buchstäblich Erfüllung. Kaars, führender Schütze der zweiten Bundesliga, erzielte jeden seiner feinen Treffer im Showdown mit Schalkes Torwart Justin Heekeren, jedes Mal hatten ihn seine Mitspieler bestens in Szene gesetzt: Beim 1:0 lupfte er den Ball kühl über den Keeper hinweg, beim 2:0 schoss er präzise in die lange Ecke, das 3:0 müllerte er im Rutschen über die Linie, und beim 5:1 erfreute er sich aller Freiheiten, nachdem er den weit herausgeeilten Heekeren ausgetrickst hatte.

Wenn der gegnerische Mittelstürmer viermal solo vor dem eigenen Torwart auftaucht, dann sind Schuldfragen zu klären. Das mochte auch Ron Schallenberg nicht leugnen, der neben Marcin Kaminski die Schalker Innenverteidigung bildete. „Die Tiefenabsicherung hat nicht so gepasst“, sagte er und verschwieg dabei höflich, dass sein Nebenmann kein einziges Mal zur Stelle war, wenn der FCM wieder mal den Ball in die hinterste Schalker Deckungszone getragen hatte. Sein Team habe „naiv“ verteidigt, sagte S04-Coach Kees van Wonderen, drückte aber auch mit Recht seine Verehrung für den Gegner aus, dessen Spiel „schwer zu bestimmen“ sei, gemeint war: schwer zu kontrollieren.

Permanente Positionswechsel, zügige Kombinationen und planmäßiger Raumgewinn – so ergeben sich Konter fast von allein

Er sprach damit die spielerischen Qualitäten der Magdeburger an, die sie in der Liga sehenswert hervorheben. Abgesehen davon, dass sie gerade eine mutmaßlich weltweit einzigartige Heim- und Auswärtsbilanz präsentieren: Im eigenen Stadion hat der FCM noch kein Spiel gewonnen, auswärts dagegen schon 28 Punkte geholt. Daheim ist er Letzter, auswärts Erster der Liga.

5:2 hat Magdeburg zuvor bereits in Düsseldorf und in Elversberg gewonnen, die vielen Tore beruhen nicht auf Laune und Zufall, sondern auf dem Spielkonzept des Trainers Christian Titz, 53: auf permanenten Positionswechseln, zügigen Kombinationen und planmäßigem Raumgewinn. Schnelle Konter ergeben sich daraus von selbst. „Wir spielen auch zu Hause nicht so anders, wir werden auch dort noch Spiele gewinnen“, versicherte Titz, der seit vier Jahren in Magdeburg lehrt. Für seinen Ballbesitzfußball braucht das Team technisches Niveau und entsprechende Rekrutierung. Die passenden Spieler hat Sportchef Otmar Schork, 67, beschafft, zuvor elf Jahre beim SV Sandhausen im Zweitliga-Geschäft. In Magdeburgs Elf stehen viele Fußballer der Kategorie klein & flink, selbst die Innenverteidiger sind körperlich keine Riesen, und auch der im Sommer eingekaufte Torjäger Martijn Kaars ist lediglich 1,83 Meter groß.

Kaars sei kein guter Kopfballspieler, sagte dessen Landsmann van Wonderen, aber das war keine Schmähung, sondern eine fachmännische Feststellung. Den jungen Kaars hatte Schalkes Trainer noch als U-18-Auswahlcoach der Niederlande betreut, im selben Team mit den heutigen A-Nationalspielern Donyell Malen (Aston Villa, zuvor BVB) und Cody Gakpo (FC Liverpool). „Martijn ist ein typischer Ajax-Schüler, technisch fähig, ein guter Fußballer, vor dem Tor immer gefährlich – Kompliment an Magdeburg, das zu erkennen und auszunützen“, sagte van Wonderen.

Kaars wurde bei Ajax ausgebildet, vier Tore in einer Partie schoss er zuletzt als 13-Jähriger

Der Angreifer wurde zwar bei Ajax Amsterdam ausgebildet, nun aber kam Kaars vom FC Helmond aus der zweitklassigen Keuken Kampioen-Liga, der Küchenmeister-Liga, nach Sachsen-Anhalt – für immerhin 800 000 Euro Ablöse. Seine 14 Tore sprechen für sich, aber das Erfolgserlebnis vom Samstagabend hat alles übertroffen, was ihm in der Profikarriere passiert ist: Vier Tore in einer Partie habe er zuletzt als 13-Jähriger geschossen, sagte er, und er sei auch noch nie vor 62 000 Zuschauern aufgetreten.

Der FCM hatte auf Schalke ein Auswärtsspiel, Martijn Kaars jedoch nicht. Niemand wurde mehr unterstützt als er: Für 33 Verwandte und Freunde habe er Karten beschafft, berichtete er, im Dezember in Düsseldorf hatte er sogar 71 Angehörige mit Tickets versorgt. Bezahlen mussten seine Gäste allerdings selbst, so viel Geld verdiene er nun auch nicht in Magdeburg. Doch vielleicht gibt es ja bald ein erstklassiges Gehalt. Während die Schalker nun in der verbliebenen Saison möglichst sorgenfrei ein weiteres Zweitligajahr vorbereiten wollen (dann mit Aufstiegsambitionen), möchte in Magdeburg selbst der zurückhaltende Titz einen Coup im Sommer nicht ausschließen: „Niemand wehrt sich gegen sportlichen Erfolg“, erklärte er.

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