"You'll never walk alone":Warum Liverpools Fußballhymne die Menschen so berührt

Liverpool FC v AFC Bournemouth - Premier League

Stimmgewaltig: Die Fans des FC Liverpool.

(Foto: Getty Images)

Regisseur André Schäfer kennt den Song des FC Liverpool besser als jeder andere. Er erklärt, wie "You'll never walk alone" den Fußball erobert hat - und warum das Lied nicht zum FC Bayern passen würde.

Interview von Martin Schneider

Vor jedem Spiel des FC Liverpool im Stadion an der Anfield Road beginnt ein Chor zu singen. Der Chor singt von einem Sturm, von der Dunkelheit, durch die man gehen muss. Der Chor wird lauter, er singt dann vom goldenen Himmel, von einer Lerche und vor allem singt der Chor davon, dass man niemals alleine gehen wird. Der Chor, das sind die Fans des FC Liverpool, und das Lied "You'll never walk alone" ist in ihrem Fall mehr als ein Fan-Gesang. Es ist Teil ihrer Identität. Seit der Katastrophe von Hillsborough, bei der 96 Fans ums Leben kamen, trägt jeder Spieler und jeder Fan die Zeile über dem Herzen, denn der Satz ist Teil des Liverpooler Vereinswappens. Der Regisseur André Schäfer hat 2017 einen Film zur Geschichte und zur Bedeutung des Liedes gemacht - es ist bisher die bisher einzige Dokumentation dazu.

SZ: Herr Schäfer, Sie haben vor zwei Jahren eine Dokumentation über das Lied "You'll never walk alone" gedreht. Wie wurde ausgerechnet dieses sentimentale Stück Musik zur bekanntesten Fußball-Hymne der Welt?

André Schäfer: Eigentlich deutet in der Geschichte des Liedes nichts auf Fußball hin. Der Ex-BVB-Spieler Lars Ricken merkt in unserem Film auch an, es käme ja sogar der Gesang einer Lerche vor. Aber das Stück hat viele Facetten, die sich wunderbar zusammenfügen. Es hat den Grundgedanken, zusammen gegen Widerstände oder Rückschläge zu arbeiten, und der passt sehr gut zum Mannschaftssport Fußball. In einem getragenen Ton ist es in der Niederlage tröstend. Gleichzeitig sagte ein Radio-Moderator in unserer Dokumentation, für ihn sei es ein "War-Song" - ein Kriegslied.

Okay, der Reihe nach. Können Sie die Geschichte des Liedes kurz nachzeichnen?

Die beginnt passenderweise im Geburtsjahr von Borussia Dortmund. Der Ungar Ferenc Molnar hatte 1909 das Stück "Liliom" geschrieben, das mehrmals floppte, weil die Leute eine Komödie erwarteten, aber ein Sozialdrama auf dem Rummelplatz bekamen. Als die Nazis nach Budapest kamen, musste Molnar nach New York emigrieren. Dort wurde aus dem Stück das Musical "Carousel" am Broadway - und eines der Lieder in diesem Musical war "You'll never walk alone".

Jetzt sind wir aber in New York und nicht in Liverpool.

Das Musical wurde dann verfilmt - und in einem Kino in Liverpool sah es der Band-Leader Gerry Marsden. Am nächsten Tag ging er in sein Studio und sagte seiner Band: "Wir müssen ein neues Lied aufnehmen". Die Band war gar nicht begeistert - weil das Lied in ihren Augen eine Schmonzette war. Aber es war dann erfolgreich und im Stadion in Liverpool, an der Anfield Road, wurden zu dieser Zeit von der BBC vor dem Spiel immer die Charts gespielt. Als der Song nach einigen Wochen aus den Charts fiel, forderten die Fans es zurück - und so kam "You'll never walk alone" an die Anfield Road.

Es fällt auf, dass das Lied in Liverpool und Dortmund Karriere machte. Ist es ein Arbeiterlied?

Also im Ursprung sicher nicht. Das Original kommt ja aus den Mersey-Beat-Jahren. Gerry and the Pacemakers waren zu der Zeit gleichauf mit den Beatles. Aber wenn man die Entwicklung bedenkt, die die Städte Liverpool und Dortmund seitdem genommen haben, dann muss man wohl sagen, dass es zu einem Arbeiterlied geworden ist. Weil es eine sentimental-tröstende Stimmung hat. Und weil das Lied Menschen dazu motiviert, in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten. Das passt schon sehr gut. Vor allem bei Vereinen, die ab und zu mal - salopp gesagt - auf die Fresse kriegen.

In der Arena des FC Bayern wird das Lied jedenfalls nicht gespielt.

Nein, das würde einfach nicht passen. Eine gewisse Millieu-Gebundenheit ist beim Fußball auffällig. Es wird in Hamburg ja auch zuweilen beim FC St. Pauli gesungen, aber nie beim HSV.

Und wie kommt man darauf, dass es ein Kriegslied sein könnte?

Naja, der Radio-Moderator meinte das gar nicht so martialisch, sondern bezog es auf die Art und Weise, wie es intoniert wird. Er meinte: Da lamentieren Leute nicht über ihre Situation, sondern schließen sich zusammen und kämpfen dagegen. Er sah in dem Lied die Botschaft: Formiert euch und zeigt es denen. Vielleicht ist auch die Interpretation der Grund, warum zwei US-Präsidenten, George Bush senior und Barack Obama, das Lied bei ihrer Amtseinführung spielen ließen. An der Anfield Road singen die Fans das Lied jedenfalls unmittelbar vor dem Anpfiff, wenn alle Spieler schon auf dem Platz sind. Da soll nichts trösten, sondern es soll Eindruck auf den Gegner machen - außerdem ist es wirklich sehr, sehr laut.

Was haben Sie bei ihrer Dokumentation über Fußball und Musik gelernt?

Mein allerbester Freund - der gar nichts mit Fußball zu tun hat - sagte mir nach der Dokumentation: Zum ersten Mal kapiert er, warum Fans Fans sind. Was das bedeutet, Begeisterung zu zeigen, zusammen zu singen, zusammen zu hoffen und das über alle Schichten hindurch. Das fand ich schön. Ich habe gelernt, dass es im Kern wirklich ein gutes Unterfangen ist, Fußballfan zu sein.

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