FC Liverpool:Streicheleinheit für Schwergewichte

Champions League - Group E - FC Salzburg v Liverpool

Kunst am Ball: Liverpools Mo Salah zaubert den Ball fast von der Torauslinie in die Maschen – an Salzburgs Keeper Stankovic vorbei.

(Foto: John Sibley/Action Images via Reuters)

Der entscheidende Sieg von Jürgen Klopp mit den Reds gegen Salzburg gerät zum Taktikseminar.

Von Moritz Kielbassa, Salzburg

Dem großen Fußballspiel folgten große Liebeserklärungen. Die 90 Minuten hatten beide Mannschaften in sehenswert aggressiver Haltung bestritten, aber anschließend war Zeit für zarte Töne. Los ging's mit einer Versöhnung: "Ich möchte mich entschuldigen. Sorry, I was an idiot", begrüßte Jürgen Klopp jenen Dolmetscher der Pressekonferenz, den er tags zuvor wegen einer falschen Übersetzung garstig angepflaumt hatte ("Hey, schon zuhören! Ist doch nicht so schwer!") Doch der 2:0-Sieg des FC Liverpool, mit dem der Titelverteidiger in Salzburg einen K.o. in der Champions League verhindert hatte, entstresste den Trainer: "Ich liebe es, wie meine Spieler bereit waren für diesen Kampf, das war so smart", sagte Klopp, und obwohl er müde aussah, zeigte er ganz kurz sein typisches Zahnpastawerbungsgrinsen.

Damit begann eine Lob-Lawine: "Unbelievable strong", unglaublich stark sei Salzburg gewesen, "mein massivster Respekt: Sie waren überragend eingestellt, sie sind uns ja fast angesprungen", sagte Klopp zum Pressing des Gegners. Vor allem in der ersten Halbzeit bot Österreichs Meister Paroli - mit einer Herangehensweise, die dem Liverpooler Power- und Umschaltfußball ähnelt. Befreien konnte sich der Favorit aus den Störmanövern mit spielerischer Reife, mit Präzisionskontern, bei denen jeder Pass fast magnetisch auf dem Fuß des nächsten Mitspielers ankam. Und es passte ins Szenario eines Abends mit zwei Gewinnern, dass es zwei ehemalige Salzburger waren, die mit dem Tor zum 1:0 (58.) der Spannung den Stecker zogen: Sadio Mané flankte, Naby Keita köpfelte. "In Salzburg werden offensichtlich tolle Spieler ausgebildet", sagte Klopp amüsiert.

Das Duell zog Besucher wie Marco Rose und Niko Kovac an

Sechs hundertprozentige Chancen hatte Liverpool zuvor vergeben, sechs "Sitzer", wie sie in Österreich sagen. Auch Mo Salah beteiligte sich daran, doch die schwierigste all seiner Gelegenheiten nutzte der Torjäger zum 2:0: Als er den übereilt herauslaufenden Keeper Stankovic umkurvt hatte, drehte er den Ball fast von der Torauslinie mit brillantem Anschnitt über die Linie (59.). Jesse Marsch, Salzburgs Trainer, wurde später gefragt, ob diese individuelle Klasse entscheidend gewesen sei. "Ja, das ist Qualität und Erfahrung", sagte er. Aber nicht falsch verstehen, er sei da keineswegs neidisch; er wünsche sich gar keinen Salah oder Mané für sein junges Team: "Ich will keine anderen Spieler, ich liebe meine Mannschaft", sagte Marsch noch schwärmerischer als zuvor Klopp: "Unfassbar, wie wir gespielt haben, so schlau, mit so viel Selbstvertrauen gegen die beste Mannschaft der Welt."

Marsch, 46, wurde von den Fans anfangs skeptisch begrüßt, ist aber inzwischen höchst beliebt. Der Amerikaner ist ein notorischer Optimist und Sonnenscheinrhetoriker, der irgendwie alles und alle super findet. Alfred Tatar, der schlauste und skurrilste von Österreichs Fußball-Fernsehexperten, hat neulich gesagt, seine einzige Sorge bei Salzburg sei, "dass der Jesse seine Spieler irgendwann zu Tode loben könnte". Am Dienstag allerdings waren Komplimente leistungsgerecht. Putzmunter lief Salzburg den Gegner an, mit zwei Stürmern und einer Mittelfeldraute - bei Ballgewinn switchend auf ein 4-2-2-2, woraus sich ein Fußball mit Mittelspurakzent ergibt, der Salzburg kennzeichnet. Doch auch Klopp reagierte klug bei diesem Taktikseminar, indem er während des Spiels ein neues Vierermittelfeld formte.

Erling Haaland kämpfte zuletzt mit kleineren Blessuren

Für Erling Haaland hingegen fiel die erhoffte Krönungsmesse aus. Der 19-jährige Norweger im Salzburger Sturm, zuvor in Europas Premiumwettbewerb mit acht Toren kometenhaft gestartet, deutete zwar seine famose Antrittsgeschwindigkeit an. "Aber Erling hat gemerkt: So ein Laufduell gegen Virgil van Dijk ist dann doch etwas anderes", sagte Klopp, der den weltbesten Verteidiger in seinen Reihen hat. Trotzdem hätte Haaland zweimal aus halblinker Position eine Salzburger Party anknipsen können: Vor der Pause schoss er den Torwart an, kurz vor dem 0:1 zielte er bei seiner besten Chance ans Außennetz. In all dem medialen Trubel um Haaland, den Dortmund, Leipzig und etliche Topklubs Europas kaufen wollen, war untergegangen, dass der blonde Riese zuletzt mit kleineren Blessuren und Krankheiten kämpfte: "Erling hat nicht seinen besten Rhythmus, er war nicht bei 100 Prozent", berichtete Marsch, der das Supertalent auswechselte.

"Große Enttäuschung" wegen des verpassten Achtelfinales wollte Marsch nicht leugnen, aber der Stolz überwog. Bei der ersten Champions-League-Teilnahme den Titelverteidiger nicht gestürzt zu haben, das war kein Vergleich zu all den Jahren des bitteren Salzburgern Scheiterns in der Qualifikation. Das volle Stadion applaudierte nach Abpfiff, aus Deutschland zu Besuch waren ehemalige Salzburger Klubgestalter wie Ralf Rangnick, Marco Rose und Niko Kovac. In der Fankurve stand auf einem Banner: "We are not Barca or Real, but we are ready for our f***ing dream". Es war eine Anspielung auf die furiose Kabinenrede des Trainers beim Hinspiel (3:4), in der das F-Wort prominent vorkam.

Diesmal sagte Marsch: "Das Spiel heute war ein Heavy-Weight-Fight", und zu einem Schwergewichtskampf gehören ja immer Zwei. Obwohl Salzburg 2019 enorme personelle Verluste hatte, hat sich ein neues Team mit internationalem Format gebildet - mit Haaland und weiteren auffälligen Talenten wie dem Rechtsverteidiger Kristensen, dem Ungarn Szoboszlai oder Mwepu und Daka (beide Sambia). Im Überschwang des Abends war nach dem Anpfiff direkt von einem neuen Ziel die Rede: vom Europa-League-Titel im Frühjahr.

Liverpool schwebt derweil von Sieg zu Sieg zu Sieg. Doch erste Plätze im Dezember, ob in England oder Europa, begeistern Jürgen Klopp nicht: "Bei uns hat keiner das Gefühl, dass wir fliegen. Wir müssen weiter arbeiten."

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