FC Liverpool:Klopp geht "all in" und gewinnt

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Wieder siegreich, diesmal aber mit viel Massel: Liverpool-Coach Jürgen Klopp. (Foto: Getty Images)
  • Glücklich bleibt der FC Liverpool Tabellenführer der Premier League vor Manchester City.
  • Dabei profitiert das Team von Jürgen Klopp beim 2:1 gegen Tottenham von einer späten Idee des langjährigen Trainerassistenten.
  • Nun soll der gedemütigte Gegner Schützenhilfe im Meisterschaftsrennen leisten.

Von Sven Haist, Liverpool

Der Siegtreffer für den FC Liverpool erwischte Jürgen Klopp unerwartet. Entgegen seiner Angewohnheit, als Trainer nach wegweisenden Toren seines Teams alles stehen und liegen zu lassen, um im heimischen Stadion eine Runde feiern zu gehen, hielt sich Klopp im allgemeinen Freudentaumel zurück. Fast statisch beobachtete Klopp die jubelnden Fans auf der Haupttribüne, als wäre er ungläubig, dass das Tor tatsächlich gefallen war. Das erleichterte Innehalten über den spielentscheidenden Treffer im Duell mit Tottenham Hotspur deutete an, wie viel Massel die Reds am Sonntag benötigt hatten.

Ein dubioses Eigentor durch Tottenhams Toby Alderweireld - das in seiner Dusseligkeit wohl nur den Spurs passieren kann - gab Liverpool mit dem 2:1 in der letzten Spielminute das zwischenzeitlich verloren gegangene Gefühl zurück, in der Meisterschaft den ganz großen Coup landen zu können.

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Den siegbringenden Hinweis gab Peter Krawietz an Liverpools besten Angreifer Mohamed Salah: Mit seiner Hand malte Klopps langjähriger Assistent mehrmals einen Halbkreis in die Luft, wonach der kleingewachsene ägyptische Torjäger sich aus der Mitte an den ballentfernten Pfosten bewegen soll, um von dort aus unbemerkt ins Zentrum einlaufen zu können.

"Ein schmutziger Erfolg", sagt Klopp

Nach einer Flanke kam Salah, der zuletzt am 9. Februar getroffen hat, tatsächlich in besagter Position zum Kopfball. Bei seiner Parade ließ der französische Weltmeistertorwart Hugo Lloris den Ball auf die Füße seines Mitspielers fallen. Aus kurzer Distanz konnte Alderweireld nicht ausweichen und stolperte das Spielgerät ins Tor (90.). "Ich habe den Jungs gesagt, dass es 500 000 Wege gibt, ein Spiel zu gewinnen. Das heute war tendenziell ein schmutziger Erfolg", sagte Klopp. Ganz frei von Glück könne man nicht in der Position sein, in der sich Liverpool befinde.

Der Emotionsausbruch der Zuschauer in Anfield war gewaltig. Beim übertragenden Fernsehsender Sky Sports verlor Jamie Carragher, einst Vorzeigeverteidiger der Reds, beim Kommentieren die Beherrschung und schrie im Stil eines Fans ins Mikrofon: "Salah, du kleiner Tänzer!" - obwohl er mit seiner Analyse gerade gar nicht an der Reihe gewesen war. In der Historie der Premier League kommt kein Verein an die 33 Tore heran, die Liverpool in der 90. Minute und der Nachspielzeit erzielt hat. Dazu toppt bloß der FC Chelsea mit 86 ungeschlagenen Heimspielen zwischen 2004 und 2008 die aktuelle Bilanz der Reds von nun 37 Ligapartien zu Hause ohne Niederlage.

Mit dem Erfolg über das drittplatzierte Tottenham hat sich Liverpool im Titelrennen mit Manchester City in Stellung gebracht für die verbleibenden sechs Spieltage in der Premier League. Um zwei Zähler befinden sich die Reds als Tabellenführer jetzt vor City, wobei der Meister sich am Mittwoch im Nachholspiel gegen Cardiff City den ersten Platz zurückholen kann. Seit fünf Jahren liegen erstmals zwei Vereine an der Spitze der Premier League zu diesem Zeitpunkt so dicht beieinander. Damals war Liverpool im Vorteil, verspielte ihn jedoch an City drei Spieltage vor Schluss. Jetzt versuchen die leidgeprüften Reds den Gegenangriff, nachdem sie seit Jahresbeginn ein zwischenzeitliches Polster von sieben Punkten vertändelt haben.

Lloris' achter direkt zu einem Gegentreffer führender Fehlgriff bei Tottenham seit August 2016 erinnerte an das Missgeschick des englischen Nationaltorwarts. Im Dezember legte Jordan Pickford im Trikot des FC Everton in der finalen Spielszene den Ball ebenfalls zum Siegtreffer für Liverpool auf. Die Hochstimmung setzten die Reds in einen punktverlustfreien Monat um mit acht Siegen aus acht Spielen. Im Gegensatz zu den damaligen Jubelarien verzichtete Liverpool diesmal auf jede Form der Schadenfreude.

Die Spurs sind sowieso geplagt genug: Durch das fünfte sieglose Spiel hintereinander haben sie den zwischenzeitlichen Vorsprung von zehn Punkten auf einen nicht zur Champions League berechtigenden Platz vollständig eingebüßt. Klopp suchte den Weg zu den Verlierern, die er vorab mit Lob versehen hatte. Denn Liverpool benötigt dringend noch mal die Hilfe der Spurs: bei deren Ligaspiel gegen City. Ohne Ausrutscher des Meisters kann Liverpool selbst nicht Meister werden.

Wenn der Herzenswunsch mit dem ersten Ligagewinn nach 29 Jahren möglichst lange realisierbar bleiben soll, helfen einzig Siege. Der Ernst der Lage wurde offenkundig, als Liverpool am Ende all in ging. Nach einem Ballverlust am gegnerischen Strafraum wurde das Team ausgekontert. Zu zweit lief Tottenham auf den verbliebenen Abwehrspieler Virgil van Dijk zu, der ebenfalls zockte - und gewann. Liverpools van Dijk zwang Moussa Sissoko zum Torabschluss, der zu hoch geriet. Wenn der Ball ins Tor gegangen wäre, sagte Klopp auf der Pressekonferenz später, "hätte ich bezweifelt, dass wir gewinnen". Und damit wäre die Meisterschaft praktisch verloren gewesen.

In der ersten Halbzeit verpasste Liverpool, dem Kopfballtreffer durch Roberto Firmino (16.) ein zweites Tor folgen zu lassen. Mit einer Änderung der Grundformation brachte Mauricio Pochettino, der wegen Schiedsrichterkritik die Spurs von der Tribüne aus coachen musste, seinen Kontrahenten in Verlegenheit. Minutenlang beratschlagte sich Klopp mit seinen Assistenten über eine mögliche Gegenreaktion. Just nach der Umstellung verschlief Kapitän Jordan Henderson einen schnell ausgeführten Freistoß, der Lucas Moura für Tottenham den Ausgleich ermöglichte (70.). Als Liverpool in seiner Verzweiflung nicht mehr in der Lage zu sein schien, die Spurs zu schlagen, schlugen die sich selbst.

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