Da saß Jürgen Klopp nun, in einem Liverpooler Hotel vor einem Laptop, inmitten von Legenden. Kenny Dalglish war ihm vom Fernsehsender Sky zugeschaltet, der als legendärer Spielertrainer 1990 die letzte Meisterschaft mit dem FC Liverpool gewonnen hatte, Graeme Souness ebenso, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren 15 Titel mit den Reds geholt hatte. "Don't be so modest" - sei nicht so bescheiden, sagte Dalglish mit seinem tiefen schottischen Akzent zu Klopp, dann wurde die Verbindung so schlecht, dass weder Klopp noch der Rest der Welt Dalglishs Würdigung der Meisterschaft verstehen konnte, bis auf diese Worte an Klopp: "You now seem like a scouser to me." Wer von Kenny Dalglish als Scouser bezeichnet wird, als waschechter Liverpooler, der hat in dieser fußballverrückten Stadt im Nordwesten Englands alles erreicht.
Klopps Meisterschaft mit dem FC Liverpool ist der vielleicht sportlich bemerkenswerteste Titel in der Karriere des deutschen Trainers. Die Premier League zu gewinnen, die kompetitivste Liga der Welt, in der (anders als in der Bundesliga) in jeder Saison wieder vier oder fünf Mannschaften die Ressourcen haben, um den Titel zu holen, ist allein schon ein enormer Erfolg. Das auch noch mit der fast makellosen Bilanz von - bisher - 28 Siegen in 31 Spielen zu schaffen, ist aus sportlicher Sicht kaum in Worte zu fassen. Der Erfolg basiert auf einer Kombination aus einer hervorragend zusammengestellten Mannschaft, die Klopps fußballerische Ideen nahezu perfekt umsetzt.
Und doch hat der Meistertitel noch eine ganz andere Bedeutung für das Verhältnis zwischen Klopp und den Liverpoolern.
Liverpools Trauma war die heimische Liga
Der persönlich größte Wunsch des Trainers Klopp nämlich erfüllte sich bereits im vergangenen Jahr. Der Champions-League-Sieg von 2019 war die Bestätigung, dass Klopp nicht nur Meisterschaften, sondern auch enge Endspiele gewinnen kann, anders als 2013 und 2018, da er mit Dortmund und Liverpool das Champions-League-Finale verlor. Die Karriere des Trainers Klopp war damit an ihrem Höhepunkt angelangt, die Liverpooler werden ihn auch dafür ewig in ihren Ruhmeshallen ehren. Doch: Ihnen fehlte weiterhin diese Meisterschaft. Die Champions League war historisch gesehen immer eher ein Wohlfühlort für Liverpool gewesen, mit mehr großen Triumphen als Niederlagen. Das Trauma war die heimische Liga, wo die stolzen Roten von der Merseyside 30 Jahre lang den großen Rivalen aus London und Manchester bei ihren Meisterfeiern zuschauen mussten.
Nun hat Klopp es geschafft, dieses Trauma zu beenden und war sich im Moment des Jubels seiner eigenen Rolle bewusst: "Das ist auch für dich, Kenny, im Wissen, dass du 30 Jahre warten musstest", sagte Klopp. Den Titel widmete er auch "Stevie", Steven Gerrard, dem größten Liverpooler Fußballer dieses Jahrtausends, der nie eine Meisterschaft gewinnen konnte. "Das alles basiert auf euch", sagte Klopp, er selbst sei ja erst viereinhalb Jahre in Liverpool.
Die Meisterschaft ist die Perfektion der innigen Beziehung zwischen Klopp und dem FC Liverpool. So wie der ganze Verein seinem Trainer im vergangenen Jahr einen Traum erfüllte, ist es diesmal andersrum. Jürgen Klopp, der Welttrainer, der Scouser, der nun alles in seiner Karriere erreicht hat, was er bisher erreichen konnte - er ist längst selbst eine Legende des FC Liverpool geworden.