Süddeutsche Zeitung

Aus im FA Cup:Wo ist Liverpools Wucht?

  • Der FC Liverpool verliert drei der vergangenen vier Pflichtspiele und scheidet im FA Cup gegen den FC Chelsea aus.
  • Das liegt auch daran, dass Trainer Jürgen Klopp mit einer B-Elf experimentiert.
  • Dennoch fehlte dem Tabellenführer in den verloren gegangenen Partien auch die berüchtigte Offensivpower.

Von Sven Haist, London

Wieder wurde es nichts mit dem ersten Einsatz überhaupt für Allison Becker in einem englischen Pokalwettbewerb. Der Stammtorwart des FC Liverpool erschien zwar mit seinen Teamkollegen am Dienstagabend an der Stamford Bridge zum Achtelfinale im FA Cup beim FC Chelsea. Im Gegensatz zu den Mitspielern wärmte er sich allerdings auf dem Spielfeld nicht auf. Der Brasilianer beobachtete lediglich die Vorbereitungen der gegnerischen Torhüter, um sich eventuell etwas abzuschauen, was ihn als derzeit vielleicht besten Schlussmann der Welt noch ein bisschen besser machen könnte. Becker tat das eine Viertelstunde lang, mit konzentriertem Blick und im Stil seines Trainers Jürgen Klopp, der es ebenso bevorzugt, vor Anpfiff eher die andere Mannschaft zu verfolgen als die eigene.

Im Vergleich zu den Spielen in der Premier League und der Champions League ist Becker bei Liverpool im Pokal außen vor. Seit seinem Wechsel vom AS Rom im Sommer 2018 stand er weder im Ligapokal noch im FA Cup auch nur eine Minute im Tor, ja noch nicht einmal im Aufgebot. Das liegt daran, dass Klopp diese Partien vorwiegend nutzt, um seinen vielbeschäftigten Profis eine Schaffenspause zu gönnen. Von dieser grundsätzlichen Haltung wich der deutsche Coach selbst im Duell mit Chelsea (bei dem Trainer Frank Lampard seine beste Formation ins Rennen schickte) nicht ab; wenngleich er immerhin von Beginn an in Virgil van Dijk, Andrew Robertson, Fabinho und Sadio Mané auf ein paar mehr Spieler aus der eigentlichen Startelf zurückgriff. Und so wie Klopp aufstellte, trat sein Team größtenteils im Spiel auf: durchaus engagiert, aber nicht engagiert genug, um das Viertelfinale um jeden Preis erreichen zu wollen.

Wie schon in den Vorjahren blieb Liverpool durch das 0:2 bei Chelsea frühzeitig im FA Cup auf der Strecke. Obwohl die Reds als Verein aus der Premier League jeweils erst in der dritten Runde einstiegen, gelang es in den viereinhalb Jahren mit Klopp nie, über die fünfte Runde hinauszukommen. Die Tore für Chelsea durch Willian (13.) und Ross Barkley (64.), resultierend aus einem Missgeschick von Ersatztorwart Ádrian sowie einem Solodribbling übers halbe Spielfeld, standen wegen ihrer Vermeidbarkeit fast symbolisch für Liverpools bisherige Ergebnisse im Wettbewerb. Sein Team habe verdient verloren, gab Klopp zu, niemand müsse jedoch Mitleid haben: "Wir sind nicht 100 Meilen weit weg, wieder mehr Tore zu schießen und weniger zu kassieren." Die BBC stufte die Darbietung als "lethargisch" ein, fürs Liverpool Echo stand fest, dass die Reds "nicht wiederzuerkennen" seien.

Seit 30 Jahren wartet Liverpool auf die Meisterschaft, seit 14 Jahren auf einen Pokalsieg

Nur einmal unter Klopp, im Januar 2018, spielte Liverpool im Pokal mit dem eigentlich stärksten Ensemble - und verlor trotzdem 2:3 gegen West Bromwich. In den FA-Cup-Spielen dieser Saison setzte der mit großem Abstand führende Tabellenerste der Premier League insgesamt 32 Spieler ein: drei mehr als jeder andere Verein. Im Wiederholungsspiel gegen Drittligist Shrewsbury, das in die von der Liga vorgesehene Winterurlaubszeit der Profimannschaft fiel, entschied sich Klopp, ein Reserveteam mit Jugendspielern auflaufen zu lassen. Während sich dieser Schritt nachvollziehen ließ, stellt sich nun die Frage: Waren die sieben Startelfwechsel nach der ersten Premier-League-Niederlage des der Konkurrenz enteilten Tabellenführers beim Abstiegskandidaten FC Watford nicht zu vermeiden? Und hätte sich dafür nicht vielleicht besser das nächste Heimspiel gegen Bournemouth angeboten?

Schließlich wartet Liverpool nicht nur seit 30 Jahren auf eine Meisterschaft, sondern auch seit 14 Jahren auf einen Pokalsieg. Gegen Chelsea kam das Pech hinzu, dass der teuerste Torwart der Welt, der Spanier Kepa Arrizabalaga, zuletzt wegen schwacher Leistungen bei den Londonern nur noch Reservist, eine Bewährungschance erhielt - und mit einer Reihe von sehenswerten Paraden auf sich aufmerksam machte. Zur Belohnung gab es eine Umarmung mit Trainer Lampard.

Durch die dritte torlose Pflichtspielniederlage in den vergangenen vier Partien hat sich Liverpool in Zugzwang gebracht für das Achtelfinal-Rückspiel zuhause in der Champions League gegen Atlético Madrid am Mittwoch. Um das 0:1 aus dem Hinspiel aufzuholen, benötigt der Titelverteidiger vor allem jene oft gelobte Power, die aber gerade spürbar fehlt - und die der am Oberschenkel verletzte Kapitän Jordan Henderson verkörpert. Ohne die gewohnt hohe Schlagzahl gelingt es den Reds derzeit nicht, die sehr defensiv ausgerichteten Konkurrenten auszuspielen. Wie Watford hat es auch Chelsea ausgereicht, das Zentrum zu verstellen und mit zweikampfstarken Zentralverteidigern die Flanken zu verteidigen. Analog zur Vorsaison, als das Weiterkommen im Achtelfinale gegen den FC Bayern in der Königsklasse für viel Rückenwind sorgte, wartet Liverpool nun erneut auf ein motivierendes Erlebnis.

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SZ vom 05.03.2020/tbr
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