FC Liverpool:Der Klub aller Briten

Der englischen Fußball-Institution FC Liverpool drohen Insolvenz und Verstaatlichung - und aufgrund der sportlichen Misere auch noch der Abstieg.

Raphael Honigstein

In Großbritannien sorgt bisweilen auch das Schicksal für feine Ironie: In zehn Tagen wird ausgerechnet unter der radikal neo-liberalen Koalitionsregierung von David Cameron eine der größten, meistgeliebten Institutionen auf der Insel verstaatlicht. Da die amerikanischen Eigentümer des FC Liverpool, Tom Hicks und George Gillett, Schulden in Höhe von 280 Millionen Euro nicht zurückzahlen können, übernehmen am 15.Oktober voraussichtlich die Hauptgläubiger von der Royal Bank of Scotland (RBS) den Klub. Das Finanzinstitut befindet sich wegen der Kreditkrise selbst im öffentlichen Besitz, alle Briten würden so zu Teilhabern bei den Reds.

FC Liverpool FC - FC Blackpool

Und noch ein Verletzter: Fernando Torres muss beim Spiel gegen Blckburn nach zwölf Minuten vom Feld. Der FC Liverpool hat aus sieben Spielen gerade einmal sechs Punkte geholt.

(Foto: dpa)

Vor dem Spiel gegen Blackpool am Sonntag protestierten abermals tausende Fans gegen die US-Investoren, die den Premier-League-Verein seit ihrem Einstieg im Februar 2007 systematisch nach unten gewirtschaftet haben. Die Bankdarlehen für den Kauf wurden - genau wie bei dem 2005 von der Glazer-Familie erworbenen Rivalen Manchester United - zurück auf den Verein übertragen; "gerade so" könne man trotz Profiten im operativen Geschäft die Schulden tilgen, gab kürzlich Geschäftsführer Christian Purslow gegenüber einem Fan-Forum zu: "Würde ich mir wünschen, dass jeder Penny, der für Zinsen verwendet wird, für Spieler zur Verfügung stünde? Von ganzem Herzen ja."

Am Dienstag veröffentlichen Liverpooler Schauspieler und Musiker ein Video, in dem den Amerikanern der Abschied nahegelegt wird. Die Angst geht um, dass insbesondere der umtriebige Hicks mit Hilfe von Hedge Fonds in letzter Sekunde neues Kapital auftreiben und an der Macht bleiben könnte. Der von der RBS eingesetzte Vorstandschef Martin Broughton hat einen derartigen Versuch bereits vor zwei Wochen abwehren können. Die Bank sucht seit sechs Monaten vergeblich einen Käufer, der neben Geld für die Schulden auch rund 300 Millionen Euro für ein dringend notwendiges neues Stadion mitbringt.

Ohne die beiden Amerikaner, die mit ihren überzogenen Preisvorstellungen mehrere Deals torpedierten, könnte die Bank den FC Liverpool viel leichter abstoßen und zumindest einen Teil ihres Gelds zurückbekommen. Der Gang in die Insolvenz wäre der letzte Schritt: Aber dann würden den Reds gemäß der Premier-League-Statuten neun Punkte abgezogen.

Abhängig von einem Mann

Nach derzeitigem Stand wäre in diesem Fall der Abstieg in die zweite Liga die Folge, denn die Mannschaft von Roy Hodgson steht nach sieben Spielen mit sechs Punkten auf dem 18.Tabellenplatz. Gegen den Aufsteiger aus Blackpool gab es eine 1:2-Niederlage und erstmals lautstarke Anti-Hodgson-Parolen von den Rängen. Viele wünschen sich anstelle des erst im Sommer vom FC Fulham geholten 63-Jährigen schon den ehemalige Liverpool-Spieler und Trainer Kenny Dalglish als Coach. "Es ist verständlich, dass die Fans frustriert sind", sagte Hodgson: "Ich bin der Trainer und trage die Verantwortung."

Inwieweit der Europa-League-Finalist der Vorsaison tatsächlich persönlich an der Misere schuld ist, wird kontrovers diskutiert. Der finanzielle Engpass führte zum Verkauf des Argentiniers Javier Mascherano nach Barcelona (21 Millionen Euro), Alberto Aquilani (Juventus, Leihbasis) und Yossi Benayoun (Chelsea, ablösefrei) wurden ebenfalls abgegeben. Im Gegenzug kamen für wenig Geld der frühere Schalker Christian Poulsen, Joe Cole (Chelsea) und der Serbe Milan Jovanovic (Lüttich).

Der Qualitätsverlust sollte sich in Grenzen halten, aber die nicht endenden Verletzungsprobleme von Fernando Torres, der am Sonntag schon nach zehn Minuten wegen Leistenproblem vom Platz musste, machen Liverpool über die Maße von Kapitän Steven Gerrard abhängig. "Liverpool ist ein Ein-Mann-Team", sagt der frühere Verteidiger Alan Hansen, "und Ein-Mann- Teams gewinnen in der Regel nichts."

Dirk Kuyt entschuldigte sich im Namen der Kollegen für die Leistung am Sonntag, "es tut mir sehr leid für die Fans", sagte der Niederländer. Der ehemalige Trainer Rafael Benítez, heute bei Inter Mailand, heizte aus der Ferne die Stimmung zusätzlich an: "Liverpool ist mein Zuhause, ich werde zurückkommen", verkündete der Spanier. Das sollte sich der 50-Jährige nach dem 15.Oktober, wenn Liverpool der Krone gehört, aber noch einmal überlegen. Eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst ist angesichts der geplanten Haushaltskürzungen in Großbritannien momentan nicht erstrebenswert.

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