Süddeutsche Zeitung

FC Ingolstadt:Ein Fall für Oral

Manchmal laut, aber eben auch sensibel: Stürmer Stefan Kutschke blüht unter dem neuen Trainer auf - er braucht klare Anweisungen.

Von Johannes Kirchmeier

Als Stefan Kutschke vor seiner Auswechslung am Freitag vom Feld marschierte, hörte man in Ingolstadt lange nicht mehr Gehörtes. Damit sind natürlich nicht die Pfiffe aus dem Fanblock des Gegners gemeint, sondern das inbrünstige "Kutschke, Kutschke, Kutschke", das die Ingolstädter Fans im ganzen Stadion schrien - um ihren Stürmer vor weiteren Schmähungen aus dem Gästeblock zu beschützen, so schien es. Sie brauchen ihn in dieser schwierigen Saison ja noch.

Nach wie vor ist der FC Ingolstadt 04 Tabellenvorletzter der zweiten Fußball-Bundesliga. Doch dank des 1:0 (0:0) gegen Dynamo Dresden, dem ersten Heimsieg seit mehr als zwei Monaten, schöpfen die Ingolstädter zumindest wieder Hoffnung im Kampf um den Klassenverbleib. "Wir leben wieder", jubilierte Kutschke - und ähnlich äußerte sich sein Trainer: "Der Sieg war lebensnotwendig. Wir haben uns nicht aufgegeben", sagte Tomas Oral, der fünfte Coach der Saison. "Die Mannschaft hat in den vier Wochen, in denen ich da bin, ein überragendes Gesicht gezeigt." Am Freitag traf Sonny Kittel per Freistoß zum Sieg (47. Minute), in der Rückrundentabelle stehen die Ingolstädter damit auf Rang zehn. Seit dem 28. Spieltag, also seit Oral da ist, sind sie das zweitbeste Team der Liga.

Kutschke ist manchmal laut, aber eben auch sensibel

Was zu einem großen Teil am 30-jährigen Kutschke liegt, der unter Oral vom Bankdrücker zum Schlüsselspieler aufstieg. Er spielte erneut stark. Anders als in den ersten drei Partien unter Oral war er zwar an keinem Treffer seiner Ingolstädter beteiligt. Doch er kämpfte, rackerte und lief wieder weite Wege, im Stile großer Zweitliga-Stürmer. Damit reißt er auch sein Team und die Fans im Stadion mit: "Das ist einfach meine Mentalität", sagt er selbst dazu, "für einen anderen Sport bin ich vielleicht auch gar nicht so gemacht."

Die Rückkehr zum vordersten Kämpfer hatten dem 1,94-Meter-Mann mit dem breiten Gang eines Cowboys nach knapp zwei Jahren viele gar nicht mehr zugetraut in Ingolstadt. Vier Monate lang war er über Kurzeinsätze nicht hinausgekommen, und in jenen kurzen Spielzeiten schaffte er es auch nicht, durch Torchancen auf sich aufmerksam zu machen. Beim Fantreffen vor einem halben Jahr warf ihm einmal ein Anhänger vor, dass er ihn kurz nach einem Spiel aus einem Fast-Food-Restaurant habe kommen sehen, gut getan hat das seinem Ruf in Ingolstadt nicht.

Wie gut, dass er die Anschubhilfe eines alten Bekannten bekam: Trainer Oral holte ihn einst schon in der Regionalliga Nord zu RB Leipzig, er weiß, wie er den manchmal lauten, aber eben doch auch sensiblen Angreifer anpacken muss. Der braucht klare Anweisungen. Und weil er die nun bekommt, verteidigt er selbst im eigenen Strafraum hoch droben in der Luft. Die einst so anfällige Mannschaft will nun offensichtlich wieder zu Null spielen - und so kommen die Gegner auch nicht mehr zu vielen Kopfballchancen. "Er ist ein sehr wichtiger Spieler für uns", sagt auch der Innenverteidiger Björn Paulsen über Kutschke. "Wir klären den Ball zu ihm oder zu Darío (Lezcano), und sie halten ihn." Als sogenannter Wandspieler, der Bälle verteidigt oder zu Lezcano oder Thomas Pledl verlängert, ist der breite Kutschke ideal.

Besonders gegen Teams wie die ebenfalls recht kantigen Dresdner. Der Freitagabend war ja ohnehin ein besonderer für Kutschke: Mit Turbulenzen im Flugzeug hatte er das Duell gegen den großen Klub seiner Geburtsstadt verglichen, in etwa so ergehe es ihm, wenn er gegen Dynamo antritt. Die Fans pfiffen ihn dann aus, weil er vor zwei Jahren wegen des besseren Vertragsangebots zum FCI wechselte, es war ein turbulenter Weggang damals - nach 16 Zweitligatoren, aber auch vielen Verwerfungen, die noch nachhallen.

Drei Spiele bleiben Ingolstadt, um den um einen Punkt und im Torverhältnis etwas besseren 1. FC Magdeburg zu überholen und noch den Relegationsplatz zu erreichen. Oral wolle "möglich machen, was unmöglich erscheint", betonte er. Zumindest bei der Wiedereingliederung seines Stürmers ins Ingolstädter Spiel ist ihm das zuletzt gelungen.

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Quelle:
SZ vom 29.04.2019
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