Die Heimmannschaft hatte die Seitenwahl verloren, und so entschuldigte sich Ingolstadts Pelle Boevink beim Unparteiischen – er musste sich noch flugs eine Mütze besorgen, weil er jetzt nicht nur gegen hoch anlaufende Gegner, sondern auch gegen die tief stehende Sonne spielen musste. Die Mütze half ihm allerdings in der 32. Minute auch nichts, er übersah offenbar den Gegenspieler Kasim Rabihic einfach, obwohl dieser direkt vor ihm stand, und spielte ihm den Ball in die Füße. Und Rabihic: scheiterte an Boevinks Oberschenkel.
Der 1. FC Saarbrücken machte an diesem Tag vieles richtig, vom geschickten Winkelzug bei der Seitenwahl bis zum Erspielen von Torchancen, dreimal trafen die Gäste die Latte. Doch die Schanzer gewannen 1:0, weil die Gäste eben nicht trafen und zudem ein Eigentor fabrizierten (43.). Nun ist der FC nicht nur in den internen Planungen, sondern auch ganz offiziell wieder ein Aufstiegskandidat. Diesmal habe man nicht nur Remis gegen ein Spitzenteam gespielt, sondern gewonnen, „das heißt: Wir reifen vielleicht auch zu einem“, sagte Trainerin Sabrina Wittmann. Trotz des dreifachen Lattenglücks in diesem Spiel sprach sie hernach von einer „erwachsenen“ Leistung, weil der FC gegen Ende tatsächlich sehr wenig zuließ.
Wittmann ist 33 und damit sogar ein Jahr jünger als der Sturm-Routinier Pascal Testroet, da klingt es fast ein bisschen verwegen, wenn sie darüber spricht, wie ihre Mannschaft gerade erwachsen wird. Zumal sie gerade erst mit dem Lizenz-Lehrgang begonnen hat und noch eine Novizin im Profifußball ist. Der Verein hatte übrigens vor zwei Wochen auf Nachfrage des Donaukuriers bekanntgegeben, dass er für Wittmann rund 25 000 Euro Bußgeld zahlen musste, für die Halbserie, die sie ohne Lizenz gearbeitet hatte. Damit ist der FC vergleichsweise glimpflich weggekommen, was wohl auch daran lag, dass Wittmann ein Jahr zuvor mit ihren damaligen Leistungsnachweisen nur knapp an der Zulassung gescheitert war.
Dass die frühere FC-Jugendtrainerin noch nicht lange dabei ist, lässt sie nicht vor mutigen, riskanten Änderungen zurückschrecken. Wie risikoreich das sein kann, wurde in den beiden Spielen nach der Winterpause schnell deutlich: In Boevink verpflichteten die Schanzer einen Torwart aus der zweiten Bundesliga, der freilich mithelfen soll, Ingolstadt genau dorthin zu führen. Das bedeutet aber auch eine Umstellung im Aufbauspiel: Boevink ist ein mitspielender Torwart, die klare Anweisung lautet, nicht immer lange Bälle nach vorne zu schlagen. Auf Nachfrage erklärt Sportdirektor Ivica Grlic dazu: „Es gehört zu unserer Idee, wir müssen variabel bleiben“, und damit unberechenbarer für den Gegner. Man könnte auch sagen: ein bisschen reifer.
Kapitän Lukas Fröde hatte sein Eigentor gegen Haching „die ganze Woche in den Klamotten“
Gegen die SpVgg Unterhaching hatte das zu einem Ingolstädter Eigentor geführt: Kapitän Lukas Fröde traf mit seinem Rückpass gegen die Laufrichtung Boevinks ins Tor, eine Szene, die er „die ganze Woche in den Klamotten“ hatte. Aber: „Wenn die Trainerin das vorgibt und sagt, wir wollen das machen und wir akzeptieren auch Fehler, dann müssen wir, wenn sie passieren, das dann auch so durchziehen“, so Fröde.
„Es ist jetzt nicht so, dass ich sage, ihr könnt Fehler machen, wie ihr wollt“, sagt Wittmann wenig später. Im Spiel nach vorne sei „noch Luft nach oben“, also nimmt sie in einer Übergangsphase in Kauf, dass noch nicht immer alles klappt. Die Maßnahme wäre wohl schon hinterfragt, wenn die Fehler bestraft worden wären – wurden sie aber nicht, Ingolstadt siegte auch gegen die Hachinger. Die Verpflichtung eines Torhüters mitten in der Saison dafür zu nutzen, den Spielstil zu verändern – das ist nicht gerade üblich, doch es war wohl ein Plan, der in der Winterpause, nun ja, reifte. Zunächst kam er nicht so offensichtlich daher, denn ursprünglich hieß es, der neu verpflichtete Boevink und der einstige Stammkeeper Marius Funk sollen in Konkurrenzkampf treten. Abgesehen von den zwei Fehlern, an denen der 27-jährige Niederländer beteiligt war, tritt er äußerst souverän auf. Funks Vertrag läuft Stand jetzt zum Saisonende aus.
Nach dem Spiel steht Ivica Grlic in der Interviewzone, er nippt immer wieder an einem Becher mit einem waldbeerfarbenem Shake, eigentlich könnte es gerade auch ein Pausentee sein. Das Arbeitswochenende ist für den 49-Jährigen nämlich erst zur Hälfte vorbei. „Bei den Weggängen tut sich zu 99,99 Prozent nichts mehr“, sagt er. Bis Montagabend hat er noch Zeit, um weitere Spieler für die Schanzer zu verpflichten. Das 1:0 gegen Saarbrücken dürfte dafür gesorgt haben, dass er lieber noch ein paar Telefonate mehr führt. Der lang ersehnte Aufstieg, der für renommierte Trainer wie Rüdiger Rehm und Michael Köllner in weiter Ferne blieb, ist mit Wittmann nun möglich. Und dann sind sie in Ingolstadt, deutsche Autobauer-Krise hin oder her, auch bereit, den Kader noch weiter zu optimieren, wenn sie das für nötig erachten.