Süddeutsche Zeitung

Chorley im FA-Cup:Adeles Herz für einen Sechstligisten

Der unterklassige FC Chorley überrascht im englischen Pokal. Als die Spieler in der Kabine "Someone Like You" singen, wird das millionenfach auf Twitter angeschaut - auch der Sängerin gefällt es.

Von Sven Haist

Ein rotes Herz! Mehr musste nicht gesagt werden, und mehr hat Adele dem FC Chorley am Sonntagabend auch nicht geschrieben. Mit dem Herzsymbol antwortete die britische Sängerin auf ein Kabinenvideo des Sechstligisten, das auf Twitter knapp acht Millionen Mal angesehen wurde.

In der größten Stunde der 138-jährigen Vereinshistorie, dem Erreichen der vierten Runde im FA-Cup, sangen die Spieler beseelt Adeles Ballade "Someone Like You", die vom Schmerz einer zerbrochenen Beziehung handelt. Das Lied ist Chorleys inoffizielle Hymne und dient als Inspiration in den Niederungen des Inselfußballs. In dieser Pokalsaison ist es sogar zum Talisman des Amateurklubs avanciert.

Auf den Ausruf "J'Adele", ein Pseudonym für Adele-Coverversionen, erhoben alle ihre Stimmen mit einer Passion, als würde vom Gesang das Weiterkommen abhängen. Am Ende der ersten Strophe sorgte einsetzender Trommelwirbel, bei dem jeder in der Kabine mit den Händen auf jeden möglichen Gegenstand einhämmerte, für die angemessene Dramatik, die sich im Refrain entlud.

Der Text enthält jenen Zauber, den auch der FA-Cup in sich trägt. Im ältesten Pokalwettbewerb der Welt zerplatzen statt der Liebe die Hoffnungen der Außenseiter, aber manchmal werden sie doch wahr. So wie jetzt der Traum des Chorley Football Club aus der Grafschaft Lancashire bei Manchester, Tabellenzehnter der National League North, Nummer 134 der Ligapyramide.

Nach Qualifikationssiegen über die Ligakonkurrenten Gateshead und York City schaltete Chorley im November die favorisierten Profiklubs Wigan Athletic und Peterborough United aus. Erstmals erreichte der Klub damit die dritte Runde - und steht durch ein 2:0 über Zweitligist Derby County unter den letzten 32 von ursprünglich 737 gestarteten Teilnehmern des Turniers. Der letzte Sechtsligist, der so weit kam, war Havant & Waterlooville, das 2008 am FC Liverpool scheiterte. Der Erfolg beschert Chorley ein Preisgeld von mindestens einer halben Million Pfund und sichert das Fortbestehen des Vereins ab, der wie die meisten unterklassigen Klubs zuletzt finanziell ins Straucheln geriet.

"Es fühlt sich unwirklich an", sagt Chorley-Trainer und Grundschulleiter Jamie Vermiglio

Das in den Medien als "Giant Killer", Favoritenschreck, gewürdigte Chorley profitierte von einem Corona-Ausbruch beim Gegner, der das gesamte Profiteam um den derzeitigen Spielertrainer Wayne Rooney lahmlegte. Derby musste mit einer Notmannschaft aus Nachwuchsspielern antreten, die bis dahin kein Profispiel bestritten hatten und deren Durchschnittsalter bei 19 Jahren lag. Den Vorteil nutzte Chorley mit einem frühen und einem späten Treffer aus, die erinnerungswürdigen Torschützen hießen: Connor Hall und Mike Calveley. "Das ist ein sehr stolzer Moment für mich und den Klub - es fühlt sich unwirklich an", sagte Chorley-Trainer Jamie Vermiglio, 38, der sein Geld hauptsächlich als Grundschulleiter verdient.

Dabei hatte Chorley zunächst reichlich Arbeit, um zu gewährleisten, dass das Spiel auch am Samstag stattfinden konnte. Ein Wintereinbruch im anliegenden Pennines-Gebirge sorgte für Schnee und Minustemperaturen im Nordwesten Englands. Tagelang mühte sich der Verein ab, den seit Weihnachten gefrorenen Hauptplatz im heimischen Victory Park von der fünf Zentimeter hohen Schneedecke zu befreien.

Mit riesigen Zeltplanen, unter denen Generatoren heiße Luft übers Spielfeld bliesen, versuchte man, den Platz zu entfrosten - als am Abend vor der Partie um 22 Uhr ein Generator für vier Stunden ausfiel. Ironischerweise musste ein Techniker aus Derby gerufen werden, dem Ort des Pokalgegners.

Die Reparaturarbeiten zwangen Platzwart Ben Kay und seine Helfer, die Nacht am Sportplatz zu verbringen. "Wir mussten die fürs Freistoßtraining verwendeten Plastikfiguren holen und sie über den Heizungen so aufstellen, dass die Planen nicht zu brennen beginnen konnten", erklärte Kay der Lokalzeitung Chorley Guardian. Bis Samstagfrüh habe es "eine große gefrorene Stelle auf dem Spielfeld" gegeben, erzählte Kay, er habe schon tags zuvor "ernste Bedenken" gehabt.

Sogar Föhne und Wasserkocher sollen als letztes Hilfsmittel zum Einsatz gekommen sein. Kurz vor Anpfiff kam nochmals Panik auf, als die Schiedsrichter den Zustand der Seitenränder bemängelten. Unter sorgenvollen Blicken des Klubvorsitzenden Ken Wright wurden die Stellen mit Kochwasser ausgebessert. So viel Druck, sagte Platzwart Kay, früher Profispieler bei Wigan, habe er noch nie verspürt.

Zur Belohnung für die Nachtschicht nimmt der FC Chorley am Montagabend an der Auslosung für die vierte und fünfte Runde im FA-Cup teil. "Wenn es sich organisieren ließe, hätte ich gern ein Spiel an der Anfield Road", sagte der in Liverpool geborene Vermiglio, ein bekennender Fan der Reds um Meistertrainer Jürgen Klopp. Sein Kapitän Scott Leather erhoffte sich hingegen schon früh in der Saison "einen Gruß oder eine Glücksnachricht" von Adele. Am Sonntagabend ging sein Wunsch in Erfüllung. Adeles rotes Herz dürfte dem Klub ähnlich viel bedeuten wie der sportliche Erfolg. Denn dieses Herz lässt sich nicht erspielen und schon gar nicht erkaufen - sondern nur ersingen.

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