Süddeutsche Zeitung

FC Chelsea:Die wohl spektakulärste Vereinsübernahme der Geschichte

Lesezeit: 4 min

Rund 2,5 Milliarden Pfund ist der englische Spitzenklub seinen neuen Besitzern wert. Roman Abramowitsch macht den Fans ein Abschiedsgeschenk - weil er mit dem Deal einige Verpflichtungen verknüpft.

Von Sven Haist, London

Kaum eine Eigenschaft scheint Roman Abramowitsch wichtiger zu sein als Loyalität. Seit er im Sommer 2003 den Chelsea Football Club für rund 150 Millionen Pfund gekauft hat, halten die Fans ihm überwiegend die Treue und ehren den russischen Oligarchen für seine Verdienste. Im Stil eines Sugardaddys hievte er mit 1,6 Milliarden Pfund ausgestellter Darlehen den früheren Mittelklasseklub in die Elite der Fußballvereine. An der oftmals unterwürfigen Haltung der Anhängerschaft gegenüber ihrem Klubpatron änderte selbst die kürzlich gegen Abramowitsch verhängte Einreise- und Handelssperre in Großbritannien nichts.

Im Zuge der Vergeltungsmaßnahme für Abramowitschs offenkundige Klüngelei mit Russlands Präsident Wladimir Putin beschlagnahmte die britische Regierung vor zwei Monaten sein Vermögen, darunter den FC Chelsea. Der mit einem Geschäftsembargo belegte Verein durfte fortan lediglich auf Basis einer bis zum 31. Mai ausgehändigten Sonderlizenz einen Notfallbetrieb aufrechterhalten. Um das Fortbestehen des 117 Jahre alten Klubs nicht zu gefährden, musste Abramowitsch, 55, seine Klubanteile umgehend zum Verkauf freigeben und dabei sowohl auf den Kauferlös als auch auf die Rückzahlung seiner Darlehen verzichten. Kürzlich kursierende Spekulationen, er würde es sich anders überlegen, wies Abramowitsch am Donnerstag über einen Sprecher entschieden zurück - und machte damit den Weg frei zu der bisher wohl spektakulärsten Vereinsübernahme der Sportgeschichte.

Sofern die am Freitag unterzeichnete Vereinbarung durch die Premier League und die britische Regierung im Mai ratifiziert wird, tritt Abramowitsch Chelsea an ein von US-Milliardär Todd Boehly angeführtes Investorenkonsortium ab - für unglaubliche 2,5 Milliarden Pfund, den höchsten Betrag, der bislang für einen Sportverein ausgegeben wurde. Bis jetzt galt die Veräußerung des American-Football-Teams Carolina Panthers (2,3 Milliarden Dollar, umgerechnet 1,75 Milliarden Pfund) vor dreieinhalb Jahren als die kostspieligste Transaktion dieser Art.

Das Gesamtvolumen des Verkaufs könnte sich auf astronomische 4,25 Milliarden Pfund summieren

Quasi als Abschiedsgeschenk für die ihm immerzu wohlgesonnenen Fans hinterließ Abramowitsch über die vermittelnde US-Handelsbank Raine Group (dessen Mitgründer Joe Ravitch er auf der Karibikinsel St. Barths kennenlernte) einen Deal, der Chelseas Renommee als Titelanwärter festigen soll. Über den Kaufpreis hinaus müssen die neuen Klubbesitzer daher 1,75 Milliarden Pfund "zum Nutzen des Vereins" bereitstellen, wie es in der Presseerklärung heißt. Dadurch steigt das Gesamtvolumen der Transaktion auf astronomische 4,25 Milliarden Pfund (fünf Milliarden Euro). Das frei verfügbare Kapital dürfte vorwiegend in die Renovierung der nicht mehr zeitgemäßen Heimspielstätte an der Stamford Bridge (Kapazität: circa 40 000 Zuschauer) fließen, nachdem Abramowitsch selbst das Milliardenprojekt vor vier Jahren als Revanche für die verweigerte Verlängerung seines auslaufenden Investorenvisums gestoppt hatte.

Eine Umsetzung des Bauvorhabens käme für Chelsea einem Coup gleich, weil Infrastruktur-Ausgaben nicht den Regularien des Financial Fairplay unterliegen - Klubs dürfen nicht unwesentlich mehr Geld aufwenden, als sie einnehmen - und die eingesparten Geldmittel dadurch zur Verstärkung des Profiteams um Trainer Thomas Tuchel herangezogen werden könnten. Nach dem bevorstehenden, ablösefreien Weggang des Abwehrchefs Antonio Rüdiger zu Real Madrid benötigt Chelsea für die nächste Saison dringend einen gleichwertigen Nachfolger. Zumal auch zwei weitere Verteidiger, Kapitän César Azpilicueta und Andreas Christensen, den Verein voraussichtlich im Sommer verlassen werden.

Zusätzlich zu den finanziellen Forderungen verlangte Chelsea den neuen Eigentümern im Auswahlverfahren angeblich eine Garantie ab, wonach in den kommenden zehn Jahren weder Mehrheitsanteile am Verein veräußert noch Dividenden oder Managementvergütungen ausbezahlt werden dürfen. Ebenfalls nicht erlaubt ist wohl das Überschreiten eines gewissen Schuldenlimits. Die Klauseln gelten auf der Insel als Schutz vor einem Takeover der Sorte Manchester United: Dort legte die Eigentümer-Familie Glazer einst einen Großteil des Kaufpreises als Hypothek auf den Klub um.

Auf Wunsch Abramowitschs soll der Erlös Kriegsopfern in der Ukraine zugutekommen

Aufgrund der Sanktionen gegen Abramowitsch wird der Erlös aus dem Klubverkauf zunächst auf ein eingefrorenes, staatlich kontrolliertes Bankkonto überwiesen. Der Betrag soll laut Bestreben des Rohstoffbarons den Kriegsopfern in der Ukraine zugutekommen, wobei das Vorhaben der Zustimmung der Regierung unterliegt. Die nobel wirkende Geste steht im Kontrast zu Putins Kriegshandlungen, von denen sich Abramowitsch, sei es aus alter Verbundenheit oder der Furcht vor Repressalien, bis heute nicht distanziert hat. In der Schwebe ist genauso, wie mit seinen ausgestellten Darlehen verfahren wird, deren Erlass für Chelsea enorme Steuerzahlungen zur Folge haben könnte. Trotzdem scheint nun immerhin die Zukunft des Klubs gesichert zu sein - und bei Boehly, bekannt als Anteilseigner des Baseball-Teams Los Angeles Dodgers, in guten Händen zu liegen.

Obwohl Boehly, 48, das Gesicht der Übernahme-Kampagne ist und künftig die operative Kontrolle über den Klub ausübt, steigt die Investmentfirma Clearlake Capital, deren Mitbegründer mit Boehly durch ein anderes Bieterverfahren zu Jahresbeginn in Kontakt kamen, mit angeblich 60 Prozent als Mehrheitseigner bei Chelsea ein. Zur Interessengemeinschaft gehören des Weiteren der Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss, Immobilienentwickler Jonathan Goldstein (Geschäftsführer des Investmentvehikels Cain, das teils Boehly gehört) sowie Boehlys langjähriger Dodgers-Partner Mark Walter. Nach mehreren gescheiterten Übernahmeangeboten, wie dem ersten Versuch 2019, saß der im Bankwesen seine Karriere startende Boehly am Samstag erstmals als designierter Klubvorsitzender bei Chelseas 2:2 im Liga-Heimspiel gegen die Wolverhampton Wanderers in der Direktorenbox. Durch das Unentschieden, wodurch Tuchels Truppe zuletzt bloß acht Punkte in sieben Partien gelangen, verpasste das drittplatzierte Chelsea allerdings durch ein spätes Gegentor eine Vorentscheidung im Fernduell mit den Stadtrivalen Arsenal und Tottenham um die Champions-League-Qualifikation.

Mehr als das kommende Nachholspiel bei Leeds United unter der Woche in der Premier League steht schon jetzt das FA-Cup-Finale gegen den FC Liverpool am Samstag im Fokus. Dabei könnte das Team den letzten Titel für Roman Abramowitsch beim FC Chelsea einspielen.

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