FC Chelsea:Innovativer Querkopf statt Vereinsidol

FILE PHOTO: Coach Thomas Tuchel Sacked By PSG Paris Saint-Germain v Liverpool - UEFA Champions League Group C

Thomas Tuchel dürfte der neue Trainer des FC Chelsea werden.

(Foto: Getty Images)

Thomas Tuchel steht kurz vor dem Engagement bei Chelsea. Den deutschen Trainer erwartet ein Kader, der auf ihn zugeschnitten sein könnte - mit drei Landsleuten, die ihre Rolle suchen.

Von Sven Haist, London

Der Trainerberuf ist bekanntlich ein hartes wie schnelles, aber auch bestens honoriertes Geschäft. Und so hat sich für Thomas Tuchel aus der stilarmen Entlassung als Trainer von Paris Saint-Germain an Heiligabend eine erstaunliche Perspektive eröffnet. Denn nur einen Monat später steht Tuchel vor einem Engagement in der Premier League beim FC Chelsea.

Montagnachmittag schienen in London nur noch ein paar Federstriche zu fehlen, um es offiziell werden zu lassen: Der 47-jährige Schwabe aus Krumbach, der fließend Englisch und Französisch spricht, soll die Nachfolge von Frank Lampard, 42, antreten. Für Lampard, seit seiner Zeit als Chelsea-Profi eine Ikone des Vereins, ist nach anderthalb Trainerjahren Schluss. In seiner Hinterlassenschaft befindet sich ein stattliches Kontingent deutscher Nationalspieler: Timo Werner, Kai Havertz und Antonio Rüdiger erwarten Tuchel an neuer Wirkungsstätte.

Mainz, Dortmund, Paris - auf diesen Etappen hat Tuchel an seinem Ruf als taktischer Innovator, aber auch energischer Querkopf gearbeitet. Durch den Gewinn von zwei französischen Meisterschaften, aber vor allem mit dem Erreichen des Finals in der Champions League 2020 in Lissabon (das mit 0:1 gegen den FC Bayern verloren wurde), stärkte Tuchel seinen Stellenwert in der Zunft. Methodik und Eloquenz im Umgang mit launischen Weltstars wie dem Brasilianer Neymar und dem Franzosen Kylian Mbappé hatten ihn im Pariser Reizklima immerhin zweieinhalb Jahre durchhalten lassen. Immer begleitet von der Einschätzung, die Zusammenarbeit mit ihm gestalte sich herausfordernd. Das liegt historisch an seiner kontroversen Trennung 2017 von Borussia Dortmund. Und aktuell an dem auf offener Bühne inszenierten Zerwürfnis mit dem Sportdirektor von Paris Saint-Germain, dem Brasilianer Leonardo. Beerbt beim von Eigentümern aus Katar geführten Klub wurde Tuchel inzwischen von Mauricio Pochettino.

Der Argentinier hatte seinen Ruf in Englands Premier League begründet, in die Tuchel jetzt Einzug halten soll. Von 2014 bis 2019 coachte Pochettino den Stadtrivalen Tottenham (derzeit Fünfter), an dem Chelsea (abgestürzt auf Rang neun) schnellstmöglich wieder vorbeiziehen will. Auf Pochettino und Tottenham war Tuchel vor fünf Jahren mit Dortmund in der Europa League getroffen, schon damals machte er keinen Hehl aus seiner Sympathie für den Inselfußball. Später stärkte Tuchel sein Image, als er mit Paris in der Champions League gegen Liverpool (2:1) und Manchester United (2:0) siegte. Mit Paris hatte er sich in einer letzten Tat für das in Kürze startende Achtelfinale gegen den FC Barcelona qualifiziert; mit Chelsea hätte er es gegen Spaniens Tabellenführer Atletico Madrid nicht unbedingt leichter.

Tuchel könnte Chelsea schon am Mittwoch an der Seitenlinie coachen

Bei Chelsea erwartet Tuchel ein Kader, der auf ihn zugeschnitten sein könnte. Durch sechs hochkarätige Sommerzugänge für eine Viertelmilliarde Euro - neben Werner und Havertz auch der Brasilianer Thiago Silva, den Tuchel zuvor unbedingt als Kapitän in Paris hatte halten wollen - verfügt er über ein breit gefächertes Personaltableau. Erstmals könnte Tuchel für Chelsea bereits an diesem Mittwoch im Premier-League-Heimspiel gegen die Wolverhampton Wanderers im Stadion an der Stamford Bridge an der Seitenlinie stehen.

FC Chelsea - FC Morecambe

Kurze Zusammenarbeit: Auch weil der deutsche Millionen-Einkauf Timo Werner beim FC Chelsea nicht erfolgreich genug war, musste Trainer Frank Lampard (rechts) jetzt gehen.

(Foto: John Walton/dpa)

Als Profi und Trainer zählte Frank Lampard insgesamt fast 15 Jahre zum Verein. Die Trennung hatte Chelsea am Montagmorgen in einer 246 Wörter langen Mitteilung unter dem Titel: "Statement on Frank Lampard" verkündet. Im Sommer 2019 hatte Lampard das Amt (nach einem Ausbildungsjahr bei Derby County) planungsgemäß vom Italiener Maurizio Sarri übernommen, ausgestattet mit einem Vertrag bis 2022. Der Herzschmerz über die Beurlaubung war Klubeigentümer Roman Abramowitsch und dem Klubvorstand mit Statthalterin Marina Granovskaia durchaus abzunehmen, alle beteuerten schon im ersten Satz des Schreibens, diese "sehr schwierige Entscheidung keinesfalls leichtfertig" getroffen zu haben. "Frank ist eine wichtige Ikone des Vereins, und sein Status bleibt ungebrochen", ließ sich Abramowitsch zitieren - der Lampard zudem als "Mann von großer Integrität und höchster Arbeitsethik" lobte und ihn "für immer herzlich willkommen" hieß. Doch nach 648 Pflichtspielen als Profi und 84 Partien als Trainer ist erst mal Schluss bei Chelsea.

Der Aufbau nach dem Vorbild Klopp misslingt

Trotz gegenseitiger Verbundenheit führte an der Kündigung offenbar kein Weg mehr vorbei. Und dies, obwohl Chelsea nach elf ausländischen Trainern in der Ära Abramowitsch (seit 2003) die Ambition hatte, dass Fanliebling Lampard das Publikum binden sollte. Dass er mit einer selbst aufgebauten Mannschaft einen ähnlichen Identifikationswert schaffen sollte, wie dies Jürgen Klopp beispielhaft in fünfeinhalb Jahren beim FC Liverpool gelungen war. Obwohl Chelsea in der Vorsaison den vierten Platz in der Liga belegt hatte und fast den FA Cup gewannen, zeichnete sich damals schon ab, dass Lampard die große Idee nicht werde realisieren können. Permanente Rochaden ließen nie erkennen, mit welchen Spielern er welche Art von Fußball spielen lassen wollte.

Das Problem wurde im Sommer schließlich offenkundig, nachdem sich der Verein teuer und prominent verstärkte. Mit der Erwartungshaltung und der Kaderführung wirkte Lampard überfordert. Am Ende scheiterte er auch an den deutschen Nationalspielern: Für die Bundesliga-Abenteurer Werner, 24, und Havertz, 21, fand Lampard bis heute keine stabile Position und Verwendung auf dem Platz. Und den altgedienten Rüdiger, 27, versetzte er zusammen mit weiteren Wortführern zu Saisonbeginn ins zweite Glied, was die Hierarchie in der Mannschaft zerstörte. Man darf nun höchst gespannt sein, was Tuchel mit seinen Landsleuten in London so alles vor hat.

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