FC Chelsea: Fernando Torres:Panik auf der Insel

Die Millionen des FC Chelsea für Fernando Torres bescheren der Premier League einen extremen Winterschlussverkauf. Vor allem der Preis für Torres' Nachfolger beim FC Liverpool ist schwer zu begreifen.

Raphael Honigstein

Junge Halbgötter in Helikoptern, Privatjets, Limousinen; auf der Jagd nach unermesslichen Reichtümern; im unerbittlichen Wettlauf gegen die Zeit. "Der letzte Januar-Tag", das wäre in der Kinofassung eine dieser bombastischen, gänzlich unplausiblen und äußerst ermüdenden Jerry-Bruckheimer-Kino-Produktionen ("Pearl Harbor, Armageddon") gewesen. Als Echtzeit-Dokumentation im englischen Sportfernsehen erwies sich die rasante Geschichte aber als unwiderstehlich.

Millionen-Transfers zwischen Tür und Angel kurz vor Ablauf der Transferperiode haben auf der Insel Tradition. Die verkaufenden Klubs pokern gerne bis zur letzten Minute, um ihre Ware für einen maximalen, oft völlig überteuerten Preis loszuschlagen. An diesem Montag, den 31. Januar, kannte der Wahnsinn des Winterschlussverkaufs jedoch weder Methode noch Grenzen.

Spätestens als der FC Liverpool am späten Nachmittag 41 Millionen Euro für den Jung-Nationalstürmer Andy Carroll (22 Jahre, 19Premier-League-Spiele für Newcastle United, elf Tore) hinlegte, war aus dem "Manic Monday" (Daily Telegraph) der "Panic Monday" (Times) geworden. Der Montag der Panik.

Die Angst kann nirgends größer als an der Stamford Bridge gewesen sein. Der Eigentümer des FC Chelsea, Roman Abramowitsch, kippte dort binnen 24 Stunden seinen zweijährigen Sparkurs und gab 85 Millionen Euro für den spanischen Mittelstürmer Fernando Torres (26, FC Liverpool) und den brasilianischen Innenverteidiger David Luiz (23, Benfica Lissabon) aus.

Die Summe entspricht dem Gesamtpreis aller Transfers der Blauen seit dem Weggang des Trainers José Mourinho im September 2007. Sie verdeutlicht zudem, wie sehr sich der russische Rohstoffmilliardär um die Qualifikation für die Champions League sorgt. Chelsea, englischer Double-Gewinner im Vorjahr, ist hinter Manchester United, dem FC Arsenal und Manchester City nur Vierter der Tabelle.

Luiz war der Wunschspieler von Trainer Carlo Ancelotti, Torres wurde am Italiener vorbei verpflichtet. Abramowitsch hatte den Weltmeister schon im Sommer erfolglos umworben. Vor dem Wochenende ließ "El Niño" (der Junge) über seinen Berater ausrichten, dass er einem Wechsel doch nicht abgeneigt sei. "Das ist ein großer Schritt nach vorne für mich, Chelsea ist ein absoluter Top-Klub", sagte Torres nach seinem 59-Millionen-Transfer, der ihn zum teuersten Spieler in Englands Fußball-Historie macht.

Wie der Abramowitsch-Verein nach dieser Kauforgie die demnächst in Kraft tretenden "Financial Fairplay"-Auflagen des europäischen Verbandes Uefa erfüllen will, ist ein Rätsel. Chelsea scheiterte am Montag mit dem Versuch, im allgemeinen Wechseltrubel äußerst schlechte Nachrichten zu begraben: In der Spielzeit 2009/10 hat man trotz großer Zurückhaltung auf dem Transfermarkt 83 Millionen Euro Verlust gemacht. "Wir bewegen uns in die richtige Richtung", lautet dennoch das eigenwillige Fazit von Geschäftsführer Ron Gourlay.

"Ich wollte nicht wechseln"

Die neuen Eigentümer vom FC Liverpool, die amerikanische Fenway Sports Group, wollten die Reds eigentlich mit einer streng wissenschaftlichen, vom American Football adaptierten Einkaufspolitik wieder in der Spitze etablieren.

Unter dem Einfluss von Interimstrainer Kenny Dalglish, der bis zum Ende der Saison Erfolge vorweisen will, wurde ein Großteil der Chelsea-Millionen jedoch sofort zu Newcastle United weitergereicht. "Ich wollte nicht wechseln, aber man hat mich dazu gedrängt", sagte Andy Carroll, der an der Anfield Road neben dem am Freitag für 26,5 Millionen Euro verpflichteten Uruguayer Luis Suárez (Ajax Amsterdam) stürmen soll.

Der bullige Torjäger hat ohne Frage Potential. Sein unseriöses Freizeitverhalten, ein Verfahren wegen Körperverletzung und das völlige Desinteresse an ihm auf dem europäischen Markt machen den gezahlten Preis allerdings schwer begreiflich. Er ist nun der teuerste englische Spieler.

Während sich Manchester United, Arsenal und Manchester City am Ende der Transferperiode gemütlich zurücklehnten, machte sich Tottenham Hotspur scheinbar nach dem Magath'schen Zufallsprinzip an die verspätete Arbeit: Abgegeben wurden Offerten für Phil Neville (Everton), Charlie Adam (Blackpool), Diego Forlán, Sergio Agüro (beide Atletico Madrid), Luís Fabiano (Sevilla) und Guiseppe Rossi (Villarreal) - der Klub wurde aber überall abgewiesen.

Insgesamt wurden im Januar mehr als 220 Millionen Euro umgesetzt, so richtig zugegriffen aber hat in dieser wohl verrücktesten Phase der englischen Transfergeschichte nur der FC Chelsea. Und wie es der Spielplan will, empfängt Torres gleich am Sonntag seinen einstigen Klub an der Stamford Bridge.

Jenen Klub, für den er seit 2007 in 142 Spielen 81-mal getroffen hat. Kollege Carroll ist dagegen unpässlich. Er laboriert nach einem spätnächtlichen Sturz von einem Casino-Bar-Hocker noch an einer Oberschenkelverletzung.

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