FC Chelsea auf Trainersuche:Abramowitsch droht und träumt

Allein in den vergangenen vier Jahren hat der FC Chelsea 77 Millionen Euro für die Verpflichtung und Entlassung von Trainern ausgegeben, die Gehälter nicht inbegriffen. Nun droht Klubchef Roman Abramowitsch auch Spielern mit Rauswurf - und will offenbar Pep Guardiola oder José Mourinho verpflichten.

Raphael Honigstein

André Villas-Boas fand nach dem erbärmlichen 0:1 bei West Bromwich Albion am Samstagabend, dass es in dieser schweren Krise nicht damit getan war, die Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Der 34-Jährige drehte die Sache um, wie schon öfter - und übernachtete auf dem Trainingsgelände in Cobham.

Multimilliardär Abramowitsch gewinnt gegen Zeitung

Roman Abramowitsch träumt von einem "blauen Barcelona" - und will offenbar Pep Guardiola verpflichten.

(Foto: dpa)

So konnte er schon früh am Sonntag sehen, wie Chelsea-Eigentümer Roman Abramowitsch mitsamt einer stattlichen Entourage von Bodyguards eintraf. Die Anwesenheit von Eugene Tenenbaum, dem Mann fürs Grobe in der Chefetage des Londoner Fußball-Erst- ligisten, nahm den Ausgang der Unterredung vorweg. Nach 256 Tagen im Amt war das Projekt "AVB" offiziell beendet.

"Wir bedauern, dass die Beziehung so früh in die Brüche ging", ließ der Verein süß-säuerlich verlauten. Die Demission des Portugiesen Villas-Boas hatte sich spätestens seit dem 1:3 im Champions-League-Achtelfinale gegen Neapel angekündigt, doch man war davon ausgegangen, dass der junge Trainer zumindest bis zum Rückspiel versuchen dürfe, die statistisch schlechteste Saison der Blauen seit der Übernahme durch Milliardär Abramowitsch 2003 zu retten.

Das 0:1 bei West Brom jedoch brachte beim Tabellenfünften, der nun drei Punkte Rückstand auf den Vierten Arsenal hat, die Qualifikation für Europas Königsklasse so stark in Gefahr, dass der Oligarch aus Russland intervenierte. Man traute dem sich zunehmend in Trainerkauderwelsch flüchtenden Villas-Boas nicht mehr zu, jene "300-prozentige Verbesserung der Leistung" zu bewirken, die er am Samstag für notwendig befunden hatte.

Abramowitsch forderte im Anschluss die seit Wochen unmotiviert wirkende Elf auf, schleunigst die Einstellung zu überdenken, er drohte einigen Stammspielern indirekt mit dem Rauswurf am Saisonende. Die jüngsten Auftritte von Chelsea hatten einen Hauch von Dienstverweigerung verströmt, für viele Beobachter gilt die Gruppe seit dem Abschied der Überfigur José Mourinho sogar als untrainierbar.

Mit Villas-Boas ging der fünfte Coach seit Herbst 2007. Allein in den vergangenen vier Jahren wurden an der Stamford Bridge 77 Millionen Euro für die Verpflichtung und Entlassung von Übungsleitern ausgegeben, die Gehälter gar nicht inbegriffen.

Der Traum vom "blauen Barcelona"

Die Macht der Kabine, in der sich bis auf Kapitän John Terry und eine kleine portugiesische Gruppe alle wichtigen Leute gegen ihn positioniert hatten, war letztlich zu groß für den relativ unerfahrenen Villas-Boas, der überfordert war mit der komplexen Fülle der Job-Anforderungen: bitteschön ein Umbruch, aber mit Titeln und schönem Fußball!

Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die Schuld an der Malaise allein in einer Verschwörung der Platzhirsche zu suchen. Im auch für Nahestehende kaum zu durchschauenden System Abramowitsch klafft von dem geduldsarmen Russen abwärts ein derartiges Kontrollvakuum, dass die wichtigsten Spieler zwangsläufig zu gefühlten Funktionären avancieren. "Die Aufmüpfigkeit der Profis ist nur das Symptom eines Konstrukts, in dem der Trainer der austauschbarste Mann ist, nicht der wichtigste", erkannte die Times.

Villas-Boas' überambitionierter Reformkurs war womöglich schon im Sommer zum Scheitern verurteilt, als er es versäumte, auf eine nachhaltige Verstärkung des Kaders zu bestehen. So musste er die einst von Mourinho konzipierte, am Verschleiß der wichtigsten Teilchen leidende Ergebnismaschine bei laufendem Betrieb umbauen - ein Ding der Unmöglichkeit.

Zudem fehlte es dem hoch- talentierten Jungtrainer an Moderationskunst. Den Mangel an natürlicher Autorität kaschierte er oft mit überharten Entscheidungen, denen Arroganz anhaftete. Gleichaltrige Spieler wie Didier Drogba oder Frank Lampard fühlten sich von seinen Wechselmanövern vor den Kopf gestoßen.

Wie die Daily Mail berichtete, fanden es die Spieler irritierend, dass er von einem Balkon aus persönlich überwachte, dass sie pünktlich zum Training vorfuhren; darüberhinaus traf im Team der rigorose Umgang mit Nicolas Anelka und Alex, die der Coach vor ihren Transfers im Januar vom Trainingsbetrieb und gar von der Weihnachtsfeier ausgeschlossen hatte, auf großes Unverständnis.

Den Traum vom "blauen Barcelona", den Villas-Boas erfüllen sollte, hat Abramowitsch nicht aufgegeben. Pep Guardiola, der Trainer des katalanischen Originals, gilt als Wunschkandidat für die nächste Spielzeit, aber auch Mourinho ist wieder in West-London im Gespräch. Bis Mai soll Villas-Boas' Assistent, der Schweizer Roberto di Matteo, die Geschicke leiten. Ob unter dem 41-Jährigen der große Kabinenfrieden ausbricht, ist aber zweifelhaft. Der ehemalige Chelsea-Profi sei bei den Kickern ähnlich unbeliebt wie der Vorgänger, kolportierte der Boulevard.

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