Antonio Rüdiger beim FC Chelsea:Auftritt einer Leitfigur

ChelseaÕs Antonio Rudiger celebrate after the UEFA Champions League match at Stamford Bridge, London. Picture date: 9th; Antonio Rüdiger, FC Chelsea

Ist beim FC Chelsea enorm gereift: Antonio Rüdiger.

(Foto: imago images/Sportimage)

Von Sven Haist, London

Antonio Rüdiger kämpfte mit den Tränen. Der deutsche Nationalverteidiger hatte mit dem FC Chelsea am Samstagmittag 2:1 gegen Tottenham gewonnen, er selbst hatte die Partie mit einem Eigentor kurz vor Schluss noch einmal spannend gemacht, aber beides war ihm jetzt egal, die Freude über den Sieg genauso wie der Ärger über sein Missgeschick. Er war enttäuscht und verzweifelt, weil er ausgebuht worden war, wieder einmal. "Der Rassismus hat gewonnen", sagte er im Sky-Sport-Interview. "Das zeigt sich daran, dass diese Leute gewonnen haben, weil sie wieder ins Stadion gehen können." Diejenigen, die mit rassistischen Äußerungen auffallen, "werden nicht bestraft, und am Ende des Tages bin ich der Buhmann". Er fühle sich alleine gelassen, sagte Rüdiger.

Am Donnerstag erst ist Rüdiger Vater geworden, am Samstag war er auch deswegen nachdenklich. "Es ist eine Katastrophe." So wie die Gesellschaft zurzeit aufgestellt sei, "wird am Ende des Tages höchstwahrscheinlich auch mein Kind darunter leiden. Wenn nicht gehandelt wird, wenn die kleinen Kinder keine gute Ausbildung, keine gute Bildung, keine gute Erziehung von zu Hause bekommen, dann haben wir verloren. So ehrlich müssen wir sein".

Eines versprach der Innenverteidiger und Jungvater: "Es ist nicht so, dass ich aufgebe oder meine Stimme nicht mehr erhebe. Ich werde immer meine Stimme erheben, aber in dieser Hinsicht bin ich alleine."

Es war ein mutiger und wichtiger Auftritt von Antonio Rüdiger, 26, am Samstagnachmittag. Es war ein Auftritt, der zeigte, wie sehr er selbst als Mensch gereift ist, dass er sich nicht scheut, seine Meinung zu sagen, gegen alle Widerstände. Es war der Auftritt einer Leitfigur.

Horst Hrubesch glaubt, dass Rüdiger in jeder Mannschaft der Welt spielen könne

An diesem Dienstag empfängt der FC Chelsea im Hinspiel im Achtelfinale der Champions League den FC Bayern, Rüdiger ist dabei eine der Stützen seiner Mannschaft. Zweieinhalb Jahre nach seinem Wechsel vom AS Rom ist er endgültig in der Riege der großen, starken Jungs der Premier League angekommen. Das zeigt sich an seinen Interviews, es zeigt sich aber auch an seinen sportlichen Leistungen. Anfang Februar zum Beispiel hatte er in seinem 100. Spiel für Chelsea doppelt gegen Leicester getroffen, das erinnerte an den früheren Abwehrrecken John Terry, den langjährigen Klubkapitän, dem 2013 zuletzt als Innenverteidiger zwei Tore in einem Spiel für die Blues gelangen.

Nach dem Weggang des Abwehrchefs David Luiz zum Stadtrivalen FC Arsenal im vorigen Sommer ist Rüdiger unter dem neuen Trainer Frank Lampard zum schlagenden Herz und unumstrittenen Anführer der Londoner geworden, fast so wie einst John Terry. Seine Ausstrahlung auf dem Platz bietet seinen unerfahrenen Mitspielern die Möglichkeit, sich an ihn anzulehnen. "Toni bringt Aggressivität und Präsenz in alles, was er tut. Das hilft uns, weil wir viele junge Spieler haben", sagt Lampard. Durch die von der Fifa für diese Saison verhängte Transfersperre wegen Verstößen gegen die Regeln zur Verpflichtung Minderjähriger muss Chelsea vorwiegend auf eigene Talente setzen.

Wie Horst Hrubesch die Entwicklung von Rüdiger beeinflusst hat

Nach achtmonatiger Verletzungspause, in der Rüdiger wegen einer Meniskus- und Leistenoperation auch den Europa-League-Sieg seines FC Chelsea verpasste, kehrte der deutsche Nationalspieler im Dezember wieder in den geregelten Spielbetrieb zurück. Und er hat seitdem kontinuierlich seine Form gesteigert, pünktlich zum Duell mit dem FC Bayern.

Um zu verstehen, wie sich Rüdiger nach seinem Weggang vom VfB Stuttgart im Sommer 2015 über Rom und Chelsea von einem begabten, aber unreifen Talent zum wichtigsten deutschen Zentralverteidiger entwickelt hat (zumindest in Abwesenheit des am Kreuzband verletzten Niklas Süle), führt kein Weg an Horst Hrubesch vorbei. Hrubesch hat als DFB-Junioren-Auswahltrainer die Karriere von Rüdiger in jungen Jahren maßgeblich gefördert. Rüdiger, sagt Hrubesch am Telefon, sei vor allem immer hoch motiviert gewesen. "Ich mag solche Typen, aber ich musste ihn gleichzeitig auch bremsen und schauen, dass die Mannschaft ihn ebenso akzeptiert. Das war nicht einfach; ein paar Mal sind wir auch aneinander gerasselt", erzählt Hrubesch: "Aber jeder hat gesehen, dass er immer alles gibt für sein Team, für jeden läuft und kämpft. In dieser Hinsicht war er ein Vorbild."

"Anfangs war Toni schon fast ein Pulverfass", sagt Hrubesch

Schon früh war bei Rüdiger zu erkennen, über welche athletischen Fähigkeiten er verfügt. Neben seiner Sprungkraft und Zweikampfstärke besitzt er trotz einer Größe von 190 Zentimetern eine enorme Grundschnelligkeit. Gearbeitet hat Hrubesch aber mit Hilfe eines Psychologen am Temperament und an der Disziplin. "Anfangs war Toni schon fast ein Pulverfass." Er habe überhaupt nicht verlieren können. "Auf der anderen Seite hatte er in gewissen Phasen den Hang zur Überheblichkeit, woran wir arbeiten mussten."

Als 20-Jähriger sah Rüdiger in Stuttgart in fünf Monaten zweimal Rot wegen Tätlichkeiten, er wurde insgesamt für sechs Spiele gesperrt. Diese Unbeherrschtheit hat er in den Griff bekommen, in der englischen Liga hat er sich bislang nichts zuschulden kommen lassen. Er ist gewachsen, als Spieler und als Mensch. Schon lange nimmt er eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Rassismus ein, er unterstützt soziale Projekte in Sierra Leone, dem Herkunftsland seiner Mutter. Hrubesch sagt: "Seine Art mit Menschen umzugehen, ist einfach gut. Sein Lachen macht etwas her, er ist ein Blickfang, der mit offenen Augen durch die Welt geht. Aus meiner Sicht kann er mittlerweile in jeder Mannschaft der Welt spielen." Jetzt spielt er aber erst mal gegen den FC Bayern.

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