Süddeutsche Zeitung

FC Bayern schlägt Wolfsburg:Schmerzhafte Rückkehr nach München für Niko Kovac

20 herausragende Minuten genügen dem FC Bayern, um gegen überforderte Wolfsburger ein standesgemäßes 2:0 zu erzwingen. Jamal Musiala überragt mal wieder - und Thomas Müller gelingt die Revanche gegen seinen Ex-Trainer.

Aus dem Stadion von Philipp Schneider

Niko Kovac erhob sich von der Bank, doch ehe er zur Halbzeit im Untergrund verschwinden durfte, der sich in der Münchner Fußballarena immer unter einer Art Falltür befindet, die sich nach 45 Minuten auf magische Weise zu heben scheint, da liefen ein paar alte Bekannte an ihm vorbei. Serge Gnabry, Joshua Kimmich, Manuel Neuer, und ja, auch Thomas Müller. Ob Kovac in diesem Moment noch mal an sein Gleichnis von der Autobahn in den Sinn stieg? Kurz vor seiner Entlassung als Trainer bei den Bayern an einem Herbsttag vor drei Jahren hatte Kovac gesagt: "Man kann nicht versuchen, 200 Kilometer pro Stunde auf der Autobahn zu fahren, wenn man nur 100 schafft. Man muss das anpassen, was man hat. Wir haben andere Spielertypen."

Diese schon damals bemerkenswerte Rennfahrertheorie von Kovac wurde sehr bald einem knüppelharten Faktencheck unterzogen, als sein Nachfolger Hansi Flick mit den exakt gleichen Autos neue Geschwindigkeitsrekorde aufstellte und mit ihnen in nur wenigen Monaten zum Titel-Triple rauschte.

Aber nun? Nochmal zwei Jahre später? An diesem schwülen Augustabend in der ihm so gut bekannten Arena in Fröttmaning? Da sah man der ernsten Miene des Wolfsburger Trainers an, dass er wohl gerne ein paar Knöllchen verteilt hätte wegen Geschwindigkeitsübertretung. Was nicht infrage kam. Denn Kovac hatte ja erlebt, wie Flicks Nachfolger Julian Nagelsmann nach 20 Minuten hartnäckigem Widerstand des VfL ganz plötzlich sämtliche rot umrandeten Schilder mit schwarzen Ziffern abmontiert und damit ein anarchisches Verkehrsaufkommen generiert hatte, dass den Besuchern regelrecht schwindelig wurde.

Vor dem Anpfiff gibt es eine Schweigeminute für den verstorbenen früheren Vereinspräsidenten Willi O. Hoffmann

0:2 lagen Kovac und der VfL zur Halbzeit erst zurück, das entsprach auch dem späteren Endstand. Aber ihr Matchplan, den feinen Füßen der Münchner mit viel Härte und mutiger Resistance zu begegnen, war schon reif für den Papierkorb, als Kovac zum ersten Mal im Erdboden verschwand. Danach leisteten die Gäste keinen nennenswerten Widerstand mehr.

Kovac sah bei seiner Rückkehr nach Fröttmaning auch ein paar Flitzer, die er als Bayern-Verantwortlicher noch nicht im Fuhrpark hatte: Sadio Mané und den am Sonntag im bereits dritten Spiel nacheinander überragenden Jamal Musiala etwa. Zur Wahrheit gehörte aber auch, dass er einen besonders hübsch geformten Boliden nicht mehr erspähen konnte, weil er schlicht nicht mehr da war: Robert Lewandowski. Aber Kovac wird auch nicht entgangen sein, dass immer mal wieder ein hinreißender Oldtimer an seinem Trainer-Karree vorbeirauschte, über den Kovac damals gesagt hatte, "wenn Not am Mann sein sollte" komme dieser Thomas Müller durchaus auf ein paar Einsatzminuten. Eben dieser Müller nahm nun Revanche, bereitete das erste Tor vor, und das zweite besorgte er gleich selbst.

Nach dem furiosen 6:1 gegen Frankfurt am ersten Spieltag fand Nagelsmann offenbar, es sei ein fairer Zug, seinem Gegner schon vor dem Spiel die Aufstellung mitzuteilen. Wie in der Pressekonferenz angekündigt, nahm er keine Änderung an seinem personellen Gerüst vor. Und so sollte dieselbe Elf, die Frankfurt 6:1 überrollt hatte, nun den VfL Wolfsburg zermalmen. So der Plan. Aber das Einzige, was zunächst so lief wie gedacht, das waren vor dem Anpfiff eine Schweigeminute und eine hübsche Choreografie in der Südkurve, in Erinnerung an den kürzlich verstorbenen Vereinspräsidenten Willi O. Hoffmann: "Der letzte Champagner geht auf dich - Ruhe in Frieden, Präsident"

Das Spiel an sich begann mit einem leicht konfusen Vortrag der Bayern. Musiala spielte weit vorne eine Hacke ins Nirgendwo. Weit hinten wiederum ließ sich Benjamin Pavard in der Gegenbewegung verladen - die anschließende Großchance klärte Alphonso Davies haarscharf an den eigenen Pfosten.

Was die Bayern nur kurz irritierte, das waren hart gegen den Ball ackernde Wolfsburger. Frühes Stören, harte Tritte, so sah es aus, das Konzept von Kovac. Darauf hatte Nagelsmann seine Spieler allerdings vorbereitet. Er erwarte von den Wolfsburgern keinen Kampf mit offenem Visier- aber auch nicht einen mit "vakuumverpackten Helm".

13 Minuten mussten die Bayern auf die erste Chance warten. Und als es so weit war, da köpfelte der Verteidiger Pavard einen Eckball des Mittelfeldspielers Kimmich auf die Latte. Nach 20 Minuten kamen die Wolfsburger noch mit einem Schrecken davon, als die Bayern die Ouvertüre ihres gefürchteten Passspiels aufführten. Ein weiter Pass von Upamecano fand Musiala, der leitete blitzschnell weiter auf Müller, der auf Gnabry - und am langen Pfosten hielt Mané seinen Fuß in den Pass. Allerdings war es Abseits.

Alphonso Davies leitet beide Tore ein

Nagelsmann ließ nun Davies auf der linken Seite weiter nach vorne rücken - und 14 Minuten nach der Generalprobe zeigten die Bayern ihr erstes regelkonformes Husarenstück, an dem fast genauso viele Füße beteiligt waren wie zuvor. Umringt von zahlreichen Wolfsburgern tänzelte Davies seelenruhig mit dem Ball am Fuß durchs Mittelfeld - und dann ging es schnell. Pass auf Müller, Pass auf Musiala. Und der 19-Jährige vollstreckte, hart und platziert - sein viertes Tor im dritten Pflichtspiel der Saison (33. Minute).

Eine halbe Stunde lang hatte Kovacs Plan funktioniert. Zumindest derart, dass er das Wolfsburger Unheil verzögerte. Nun aber drangen von allen Seiten mit Ausnahme der Torauslinie Pfeile in den Strafraum der Gäste ein - und flogen scharfe Bälle auf das Tor von Koen Casteels - abgefeuert von Pavard, Kimmich, Gnabry, Musiala, Sabitzer. Casteels hielt gut, aber zaubern kann er auch nicht. Denn irgendwann zog Alphonso Davies einen Spurt auf der linken Seite durch, sein Gegenspieler Ridle Baku grätschte ins Leere - und Davies legte mit viel Übersicht zurück. Von der Strafraumgrenze schoss Kimmich - und Müller streckte auf Müllerart sein Bein, um die Flugbahn des Geschosses auf unwiderstehliche Weise zu ändern (43.).

Nach der Pause blieb Gnabry, das bislang am wenigsten auffällige Glied der Offensivreihe, auf der Bank. Für ihn kam ein Nationalspieler, der in jeder anderen Bundesliga-Mannschaft gesetzt wäre: Leroy Sané. Der 26-Jährige war es auch, der nach Doppelpass mit dem stets anspielbereiten Musiala bald nach dem Wiederanpfiff dafür sorgte, dass Casteels nicht schläfrig wurde. Und Musiala war es, der zu zaubern begann. Mit der Hacke spielte er Doppelpass mit Pavard, der flankte blitzsauber an den langen Pfosten - wo es Manés Geheimnis blieb, wie er diese Gelegenheit neben das Tor köpfeln konnte.

Als es Mané kurz darauf besser machte und traf, da musste der Videoschiedsrichter in einer längeren Spielunterbrechung gleich zwei knifflige Fragen klären: War der Ball hinter der Linie, bevor ihn Casteels klärte? Und hatte Müller als Vorlagengeber nicht im Abseits gestanden? Nun, der Ball war drin, aber Müller im Abseits. Nagelsmann nahm Mané danach aus dem Spiel und gab dem 17-jährigen Mathys Tel die Chance, sich ein wenig weiterzuentwickeln. Und Musiala durfte das Spielfeld vorzeitig verlassen, um sich als überragender Akteur der Partie die wohlverdienten Ovationen des Münchner Publikums anzuhören.

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