FC Bayern:"Wir sind nicht mehr die stärkste Mannschaft in Deutschland"

Hertha BSC - Bayern München

Der FC Bayern um Thomas Müller verspielt zum zweiten Mal in Folge in der Bundesliga eine 2:0-Führung.

(Foto: dpa)

Von David Joram, Berlin

Genki Haraguchi, Herthas schmächtiger Japaner, wirkte zufrieden. Dass sein Mitspieler Salomon Kalou ihn mithilfe einer Wasserflasche bespritzte, konnte daran nichts ändern. Den Journalisten der japanischen Medienhäuser berichtete Haraguchi ausführlich, wie das wirklich war in jener 51. Minute. Als er sich den Ball geschnappt hatte, frech wie Neymar an diversen Bayern vorbeigedribbelt war, darunter die Weltmeister Boateng und Hummels, und den Ball auf den dankbaren Abnehmer Duda gechippt hatte.

Was die 71 212 Zuschauer im nicht ausverkauften Berliner Olympiastadion wie einen leichtfüßigen Slalomlauf vorbei an roten Leibchenträgern wahrgenommen hatten, beschrieb Haraguchi wie folgt: "Ich habe die nötige Ruhe gehabt, um kurz zu überlegen, ob ich am Schluss selbst schieße oder querlege, bevor Hummels kam. Dann habe ich mich für einen Pass auf Duda entschieden." Es war die Wegbeschreibung zum 1:2. Fünf Minuten später traf der spritzige Kalou sogar zum 2:2-Endstand.

Eine 2:0-Führung an zwei darauffolgenden Spieltagen zu vergeben, hatte der FC Bayern in seiner ruhmreichen Bundesliga-Historie noch nicht fertiggebracht. Vladimir Darida, ein fast ebenso wuseliger Herthaner wie Haraguchi und Kalou, ergänzte später: "Nach dem 2:2 war alles möglich, für Bayern genauso wie für uns."

Östersund rettet ein 1:0 gegen Hertha ins Ziel. Und der FC Bayern?

Zur Beruhigung an der Säbener Straße trägt diese Antwort kaum bei, sie wirft vielmehr ein paar Fragen auf, etwa: Warum schafft es ein schwedischer Klub namens Östersunds FK gegen Hertha BSC, ein 1:0 ins Ziel zu retten - während dem deutschen Rekordmeister nicht mal ein 2:0-Vorsprung reicht?

Das 2:2 nach 2:0-Führung gegen Wolfsburg durfte, wenigstens mit viel Wohlwollen, noch als Betriebsunfall gewertet werden. Die so gar nicht magische 0:3-Nacht von Paris konnte, wer wollte, auf den anschließend gefeuerten Trainer Carlo Ancelotti abwälzen (keine Taktik, kommt nicht mit vielen wichtigen Spielern klar, lässt sie deshalb ganz draußen).

Nun ist Ancelottis Trainer-Zeit beim FC Bayern Geschichte, Ribéry, Robben, Boateng und Hummels stehen wieder von Beginn an auf dem Platz - und trotzdem hadern schon Angehörige des Tabellenzehnten über ein 2:2 gegen Bayern. Was das Selbstverständnis des Rekordmeisters angeht, kommt das einem Erdrutsch nach CSU-Art gleich; nur ist der Verantwortliche, Ancelotti, halt schon entlassen worden. Mats Hummels kommentierte die überraschende Demission des Italieners so: "Ob's schnell war oder nicht, das ist die Frage."

Hatte Ancelotti die Bayern-Kicker also schon derart demobilisiert, dass die Schäden in dieser Runde irreparabel sind? Das legt die Hummels-Aussage nahe.

Oder liegen die Probleme doch tiefer, sind sie mehr struktureller denn personeller Art? Wer jedenfalls glaubte, dass der Rauswurf des Italieners, der immerhin so illustre Klubs wie den AC Mailand oder Real Madrid zum Gewinn der Champions League lotste, neue Kräfte freisetzen würde, irrte offenbar. Die Kombinationen in Berlin lahmten, alles schien erwartbar, die Individualisten mit Genehmigung für Überraschendes wie Thomas Müller oder Arjen Robben wirkten bemüht, mehr nicht. "Von unserer Seite bin ich überhaupt nicht zufrieden", diktierte Sportdirektor Hasan Salihamidzic in die Blöcke. Die Spieler hatten sich da längst in die Kabinen verzogen.

Hinzu kam dann auch noch eine wohl schwerere Verletzung von Franck Ribéry. Er war in der 61. Minute bei einem Ausfallschritt auf den Ball getreten und musste ausgewechselt werden. Nach Informationen des TV-Senders Sky zog er sich einen Außenbandriss im linken Knie zu, er würde demnach zwei bis drei Monate ausfallen.

Als der Bayern-Kapitän Thomas Müller um 18.10 Uhr dann in jene Mixed-Zone zurückkehrte, die er nach Abpfiff noch wortlos durchschritten hatte, wurde er gefragt, was dem Team denn fehle. "Das sind viele Dinge, das sind viele kleine Dinge, das sind ein paar größere Dinge", war die Antwort. Bis zum 2:0 sei der Plan aufgegangen, "nur was danach passiert ist, das war nicht geplant". Gemeint waren die Tore durch Duda und Kalou, nachdem zuvor Hummels (10.) und Lewandowski (49.) getroffen hatten. "Einerseits machen wir individuell ein paar Fehler, andererseits haben wir dann auch nicht die Ruhe und Gelassenheit, sondern sind im falschen Moment ein bisschen forsch drauf gestürmt und öffnen so die Räume", analysierte Müller. Sprach er da vom FC Bayern? Oder von einem Bezirksliga-Aufsteiger?

Interimscoach Willy Sagnol stellte fest: "Wir sind nicht mehr die stärkste Mannschaft in Deutschland." Ob der FC Bayern das in dieser Saison noch werden kann, ist die spannende Frage. Thomas Müller nahm die Teamkollegen in die Pflicht: "Man kann nicht einfach sagen, Carlo Ancelotti hat was falsch gemacht, und alle anderen sind fein raus." Jetzt müsse jeder vor der eigenen Haustüre kehren. Wie gründlich gereinigt wurde, wird nach der Länderspielpause deutlich. Beim Gegner SC Freiburg stürmt der Oberbayer Florian Niederlechner. Falls der genauso ungehindert durch die Münchner Abwehr slalomiert wie Genki Haraguchi, sitzt der Dreck womöglich tiefer als bislang angenommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: