Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Wille und Weg

"Wir haben eine überragende Stimmung", sagt Trainer Jupp Heynckes: Vor dem Halbfinale gegen den Champions-League-Sieger setzen die Münchner auf die Kraft des Kollektivs.

Der Mann, der bei Real Madrid eine 32 Jahre lang tickende Uhr auf null stellte, der den Klub damit in die Gegenwart katapultierte - er blickt nicht zurück. Habe er noch nie gemacht, sagt Jupp Heynckes, der heutige Trainer des FC Bayern, als er am Dienstagmittag in der Münchner Arena vor die Presse tritt. Die Uhr war jene, die 1966 angefangen hatte zu ticken, als Real Madrid den sechsten Henkeltopf seiner Geschichte abräumte: tick, tack, tick, tack, bis ebendieser Heynckes 1998 beim Finale von Amsterdam gegen Juventus Turin (übrigens mit dem heutigen Real-Trainer Zinédine Zidane als Spielgestalter), eine neue Ära begründete. Fünf weitere Champions-League-Trophäen hat sich Real seit damals in die Vitrinen stellen können. Und doch kommt er nicht umhin zurückzublicken. Weil die Erfahrung - seine Erfahrung - eine Rolle spielen wird, wenn er am Mittwoch wieder auf Zidane treffen wird, der nun Trainer bei Real Madrid ist. Im Halbfinale der Champions League. "Es gibt keinen Favoriten", sagte Heynckes vor dem letzten Champions-League-Heimspiel seiner Karriere. Doch in Wahrheit wirkt er wie einer, der den Finaleinzug in sich zu tragen scheint.

Natürlich ließe sich die Zuversicht, die er verströmt (und nicht etwa plakativ ausspricht), auf eine Statistik reduzieren. Diese besagt, dass er jedes Mal, wenn er als Trainer in der Champions League antrat, auch das Finale erreicht hat: Nach 1998 auch noch 2012 (Niederlage mit dem FC Bayern daheim gegen den FC Chelsea) und 2013 (Sieg gegen Borussia Dortmund). Sein Optimismus aber nährt sich aus etwas völlig anderem. Aus seinem Blick zurück, der ihn Folgendes lehrt: "Sie können keine Champions League kaufen. Die Champions League gewinnt die Mannschaft, die am homogensten ist und den optimalen Fußball spielt. Eine Mannschaft muss sich zwischenmenschlich verstehen, sich respektieren." Das sei schon 1998 so gewesen, als im Kader von Real Madrid "der unbedingte Wille" zu spüren war, "die Champions League zu gewinnen". 2013 wiederum hätten seine Sensoren etwas Ähnliches wahrgenommen wie 1998 bei Real - oder jetzt bei den Bayern: "Wir haben eine überragende Stimmung und Atmosphäre in der Mannschaft. Nur so kann man Erfolg haben. Auch den ganz großen."

Diesen ganz großen Erfolg, den Einzug ins Finale von Kiew (26. Mai), hält er für möglich. "Wille kann Berge versetzen", sagt er. Das steht dem objektiven Tatbestand entgegen, dass Real Madrid mit den Koryphäen angerückt ist, die Europas begehrteste kontinentale Trophäe zuletzt zweimal hintereinander gewinnen konnten. Koryphäen wie Cristiano Ronaldo.

Fünfzehn Tore hat der Portugiese in zehn Champions-League-Begegnungen der laufenden Saison erzielt, und das verlangt auch Heynckes größten Respekt ab. Ronaldo habe "eine bisher einzigartige Karriere", sagt Heynckes. Ein Schmunzeln konnte er sich dennoch nicht verkneifen, als er gefragt wurde, ob Ronaldo ihm Angst einflöße. "Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben mit Robert Lewandowski einen Spieler, der in dieser Saison schon 39 Pflichtspieltore erzielt hat. Ich könnte also genauso gut fragen: Wer schaltet (bei Real) Lewandowski aus?", sagte Heynckes.

Er sprach damit eine dieser scheinbar nebensächlichen Bemerkungen aus, mit denen er Reize zu setzen weiß. Der einstige Real-Stürmer Pedja Mijatovic erzählt noch immer davon, wie Heynckes ihn mit Selbstvertrauen vollpumpte - und letztlich 1998 zum Siegtor gegen Juventus trieb. Der Fußball, so sagte es Heynckes, habe sich seit seinem zwischenzeitlichen Rücktritt 2013, erst recht also seit 1998, verändert. Eines aber sei gleich: dass es neben dem "Fußball-Know-how" und der Fachkompetenz darum geht, Teams wachsen zu lassen. "Es sind Menschen, die auf dem Trainingsplatz und auf dem Spielfeld stehen, Menschen mit unterschiedlichen Charakteren und unterschiedlichen Empfindungen."

Solche Qualitäten scheint er auch bei Zidane zu sehen. Er habe ihn schon bewundert, als er noch Spieler war, nun stellte Heynckes den Franzosen in eine Reihe mit "großen Trainerkollegen" wie Sacchi, Cruyff, Lippi, Happel oder Weisweiler. Es imponiere ihm, "wie unaufgeregt" Zidane am Spielfeldrand stehe "und sich nicht für die Öffentlichkeit oder die Kameras produziert". Zidane sei "sicher ein Vorzeigetrainer" geworden. Heynckes will ihm trotzdem wehtun, ihm einen dritten deutschen Stachel ins Fleisch rammen. Zidane hat 1996 mit Girondins Bordeaux das Uefa-Cup-Finale gegen Bayern, 1998 das erwähnte Champions-League-Finale gegen Heynckes - und 1997 ein weiteres Königsklassenendspiel verloren, mit Juve gegen Borussia Dortmund. In München.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3956845
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.04.2018 / SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.