FC Bayern:Warum die Bayern ihre Statik verloren haben

  • Die Verletzung von Bayerns Robert Lewandowski schwächt nicht nur den Stürmer, sondern auch das System.
  • Ohne den fitten Angreifer kommt die Statik des Bayern-Spiels aus dem Gleichgewicht.
  • Auch das Fehlen von Manuel Neuer macht sich bei den Mitspielern bemerkbar.

Von Ralf Wiegand

Die kleinen Stehleitern, die inzwischen bei Sportereignissen zur Grundausstattung von Tonleuten in Fernsehteams gehören, waren längst eingeklappt. Niemand erwartete noch jemanden, der sich jetzt, kurz vor Mitternacht, hinstellen und irgendetwas erklären würde, wofür man ihm von einer Stehleiter aus einen Mikrofonstängel vor die Nase schieben müsste, über all die Köpfe der Reporter hinweg, die an einem solch bedeutenden Abend im Bauch der Münchner Arena auf Stimmenfang gehen. Jérôme Boateng war in seiner boatenghaften Schlaksigkeit als erster gruß- und wortlos nach draußen geschlendert, Joshua Kimmich eher davongestapft; Philipp Lahm hatte sein schmuckloses Karriereende bereits aus rot umrandeten Augen bedauert und Arjen Robben in seiner robbenhaften Galligkeit ein "selbst schuld" rausgerotzt. Robert Lewandowski, so nahmen diejenigen an, die von einem Nebenausgang in die Münchner Nacht zu wissen glauben, habe wohl diesen Nebenausgang genommen. Schluss für heute. Feierabend.

Und dann stand er plötzlich doch da, Stehleitern klappten auf, an Selfiesticks montierte, auf Aufnahme gestellte Smartphones wuchsen ihm über das Absperrgitter entgegen, Kameras zoomten in das irgendwie sehr schmale Gesicht des Polen und stellten auf die müden Augen scharf. Wüsste man nicht, dass es nur die rechte Schulter ist, die ihm weh tut, man würde sich größere Sorgen machen um Robert Lewandowski. Vor dreieinhalb Wochen noch fiel ihm außer einem dankbaren Dauerlächeln kaum selbst noch etwas ein, womit er seine traumwandlerische Treffsicherheit begründen konnte. Er war das, was der Sport einen strahlenden Helden nennt, ein Killer in der Verkleidung eines Schwiegersohns. "Ein Schuss, ein Tor, die Bayern!" skandieren die Münchner Fans mit Inbrunst, das ist ein Gassenhauer aus den unschuldigeren Tagen der Schlachtrufe - und die Lewandowski-Formel in Kurzform. Ein Schuss, ein Tor, der Robert!

Seit der vorletzten Begegnung mit dem Dortmunder Torwart Roman Bürki in der 68. Minute des Bundesligaspiels zwischen den Münchnern und dem BVB am 8. April, einem Samstagabend, ist Lewandowski, 28, aber nicht mehr derselbe. "Es wird langsam wieder gut", sagte er am Mittwoch, sehr leise sagte er das, während über der rechten Schulter wie ein Ausgleichsgewicht seine Sporttasche hing. Auf diese Schulter war er nach einem Foul des Dortmunder Keepers gestürzt, er hatte noch den Elfmeter selbst verwandelt und war kurz darauf ausgewechselt worden. Und mit ihm, wie man erst heute weiß, auch der Erfolg. Die Verletzung, sagte Lewandowski nun, "kam in keinem guten Moment".

Es gibt zwei Dinge, die in der Spielidee des Bayern-Trainers Carlo Ancelotti auf keinen Fall passieren durften: dass sich Manuel Neuer und Robert Lewandowski verletzen. Die anderen neun Spieler dazwischen genießen eine Art zauberhaften Schutz, wenn sie vom Hexer im Tor und vom Magier im Sturm behütet werden. Lewandowski verarbeitet vorne einfach jeden noch so riskant gespielten Ball, und hinten gibt der Torwart allen Verteidigern die persönliche Sicherheit, dass nicht jeder seiner Fehler tödlich sein muss. Das befreit. Sven Ulreich, Neuers Stellvertreter, kann man nicht viel vorwerfen gegen Mainz (2:2) oder jetzt gegen Dortmund, aber diese Selbstverständlichkeit, mit der Neuer wie ein Feldspieler als Anspielstation operiert, kann er gar nicht haben.

Für Lewandowski heißt es: Stürze vermeiden, Zähne zusammenbeißen

Und Robert Lewandowski, der in Bundesliga, Pokal und Champions League 39 Tore geschossen hat in dieser Saison, bestimmt die ganze Statik des Bayernspiels. Steht er nicht stabil, wie derzeit mit verletzter Schulter, muss er Zweikämpfen ausweichen, Stürze vermeiden und bei jedem Sprint die Zähne zusammenbeißen - dann taumelt die ganze Elf.

Lewandowski sagte, er glaube, es wäre schon gegen Madrid anders gelaufen, wenn er im Hinspiel hätte mitwirken können: "Wir wären dann in einer anderen Position." Er führte das nicht weiter aus, aber dann hätte vielleicht er den Elfmeter verwandeln können, den Arturo Vidal in eine Umlaufbahn schoss, in der er heute wahrscheinlich den "Stern des Südens" als Planet der Finsternis umkreist. Für einen Elfmeter reicht es bei Lewandowski auch noch mit kaputter Schulter, wie im Rückspiel von Madrid; aber im Hochgeschwindigkeitsspiel vom Mittwochabend gab es diese Möglichkeit nicht für den leidenden Lewandowski. Drei große Chancen hatte er, dreimal scheiterte er: an der fehlenden Handlungsschnelligkeit, an der eingeschränkten Sprintfähigkeit, an der Balance, weswegen ihm der Ball versprang. Plötzlich ist diese Saison für die Bayern, sagte Robert Lewandowski, "nicht optimal. Mal sehen, was kommt".

Und dann war endlich Feierabend.

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