Süddeutsche Zeitung

FC Bayern - VfL Wolfsburg:Wie Freaks auf der Spielekonsole

Erst verblüffend dominant, dann verblüffend anfällig: Zum Saisonauftakt zeigt der FC Bayern beim 2:1 gegen Wolfsburg mehrere Gesichter - und gewinnt erst in der Nachspielzeit durch das Tor eines Nationalspielers.

Andreas Burkert

Nachspielzeit, zwei Minuten noch, das hat der Stadionsprecher soeben verkündet. Es steht 1:1 zwischen dem FC Bayern und Wolfsburg, ein Fehlstart droht den Münchnern, denn nichts anderes als einen Durchmarsch erwarten ja diesmal alle in Deutschland vom Double-Sieger des Vorjahres, der sein Glück gefunden zu haben scheint mit dem kauzigen Fußballdozenten Louis van Gaal und dessen Profis die WM mit geprägt haben.

Zwei letzte Minuten, diese Ansage klang schon vor van Gaal häufig wie eine Bedrohung für den Gegner, und wer von den Wolfsburgern noch nie etwas vom Bayern-Dusel gehört hatte, der neue Coach Steve McClaren zum Beispiel, der ist seit Freitagabend schlauer: Nachspielzeit also, Ribéry flankt, alle schauen zu, nur nicht Schweinsteiger, der deutsche WM-Held, er steht am hinteren Pfosten. Er hält den Fuß hin, das 2:1, die Münchner Arena lärmt und brodelt. Schluss.

"Ich bin zufrieden mit dem Resultat", sagte van Gaal später, "aber am Anfang der zweiten Halbzeit haben wir unglaublich viele Fehler im Aufbau gemacht. Doch danach haben wir wieder alles versucht, noch ein Tor zu schießen - das ist auch eine Qualität unserer Mannschaft." Während bei den Bayern der Innenverteidiger Demichelis mit seiner Weigerung, Reservist zu sein, für einen Eklat sorgte, traf die Wolfsburger der Verlust eines WM-Abwehrspielers nicht ganz unerwartet. Arne Friedrich erschien zwar lange vor den Kollegen im Innenraum, allerdings legte er seinen Trainingsanzug nicht mehr ab - wegen Rückenproblemen wurde nichts aus dem Debüt des Zugangs aus Berlin. VfL-Trainer Steve McClaren musste zudem kurzfristig auf Hasebe verzichten (Wade), ebenso unerwartet fehlten in seiner Startelf die für formschwach erklärten Grafite und Misimovic, der Spielmacher.

Van Gaal hatte dagegen die erwartete Formation aufgeboten, also mit Ribéry links und Müller anstelle des Patienten Robben rechts im offensiven Mittelfeld. Hinter Klose, der einzigen Spitze, gab Kroos nach seinem Ausbildungsjahr in Leverkusen in zentraler Position sein Comeback, und welchen Stellenwert der Trainer dem 20-Jährigen einräumt, war schon nach einer Minute zu sehen: Nach einem Foul an Ribéry legte sich eben nicht der Franzose den Ball zur Hereingabe aus aussichtsreicher Position zurecht, sondern Kroos, der jugendliche Meister am ruhenden Spielgerät.

Müllers neue Ebene

Der Freistoß, das versteht sich, der brachte nichts ein, aber Toni Kroos rechtfertigte schon bald darauf seine Nominierung. Denn wie er im Zusammenspiel mit dem bayerischen Phänomen Thomas Müller dessen zauberhaftes 1:0 herausspielte, zeugte von bewundernswerter Leichtigkeit. Müller erhielt in halbrechter Position den Ball, lupfte zurück auf Kroos und machte sich mit Siebenmeilenschritten auf in die Spitze - wo ihn Kroos natürlich zentimetergenau mit einem weiteren Lupfer bediente. Müller, 20, hat sich in seiner ersten Saison als Instinktfußballer erwiesen, doch was er dann mit Kroos' Anspiel anstellte, hob sein beachtliches Frühwerk auf eine neue Ebene: Auf dem Spann jonglierte er sich den Ball in den eigenen Lauf, und als die Kugel wieder den Rasen berührte - trat sie Müller bereits mit links ins rechte Eck (9.).

So ein Tor bekommen sonst nur PC-Freaks auf der Spielekonsole hin.

Damit hatte der FC Bayern die Zuschauer der angeblich fast 200 angeschlossenen TV-Stationen ziemlich spektakulär begrüßt, und auch McClaren wusste gleich, welche Gemeinheit ihm der Spielplan bei seinem Deutschlanddebüt präsentierte. Im weißen Polohemd stand er zeternd draußen in der Coachingzone und bildete sich offenbar tatsächlich ein, seine Leute würden ihn hören. Als handele es sich um eine Taktikeinheit auf ein Tor gegen die eigenen Junioren, kontrollierten die Münchner bis zur Pause Ball, Raum und den Gegner. Ribéry gab mit seiner Spritzigkeit wie zu besseren Zeiten den unwiderstehlichen Hasardeur, der es notfalls auch mit drei Gegenspielern aufnimmt. Und in der Mitte regierte Schweinsteiger, wer sonst.

Misimovic sorgt für Druck

Das einzige Manko des Münchner Auftritts war eine gewisse Verspieltheit, die einem 2:0 im Weg stand, etwa bei Müller verzogener Direktabnahme (25.) oder Contentos fadem Flachschuss aus zehn Metern (41.). Dummerweise ergeben zudem im Fußball weder drei Ecken noch 70 Prozent Ballbesitz einen Treffer, weshalb Wolfsburg trotz null Torchancen und naiver Gegenwehr im Spiel blieb. Und darauf wird nun wohl auch die Münchner Konkurrenz weitere 33 Spieltage bauen - dass sogar van Gaals Bayern Schwächen zeigen.

Als Schwachstelle hatten die Gäste in der Kabine offenbar Contento ausgemacht, über dessen Flanke der nun doch gebrachte Regisseur Misimovic plötzlich viel Betrieb entwickelte. Manzukic' Pfostenschuss (47.) beendete die norddeutsche Zurückhaltung, Dzeko (48.) und Misimovic - nach einem Abspielfehler von Butt (54.) - standen vor dem Ausgleich. Den erzielte Torjäger Dzeko dann nur eine Minute später, nach einer Misimovic-Ecke ließ Van Buyten den Bosnier zum Kopfball ziehen. Ein kurzer Blick ins Fernsehzimmer der Familie Demichelis wäre jetzt inressant gewesen.

Doch im Brennpunkt blieb zunächst Butt, auch weil nicht nur van Bommels Fehlerquote im Aufbau stieg und Ribérys Kraftwerte sanken - ebenso sein Wille, Contento im Rückwärtsgang zu assistieren. Doch für vorne reichte es noch ein letztes Mal, Ribéry bediente Schweinsteiger, und das reichte.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2010
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