Champions League:Bayern taut auf im Lametta-Regen

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Thiago (li.) und Joshua Kimmich: Losgelöst in Lissabon (Foto: Panoramic / POOL / UEFA)

Joshua Kimmich packt die Trommel aus, Serge Gnabry tanzt: Ganz oben angekommen feiern die dauerfokussierten Bayern so, wie es ihrer Jugend entspricht. Thiago will gar nicht mehr gehen - seine Zukunft ist offen.

Von Philipp Selldorf, Lissabon

Halb zwölf Ortszeit im Estádio da Luz, dem Stadion des Lichts: Die Bühne hatte sich längst und scheinbar endgültig geleert, da betraten doch noch einmal drei Bayern-Gestalten den Rasen. Sie sahen aus wie Gaukler aus der Komödie. Der eine, Joshua Kimmich, kam in Adiletten und hatte sich eine Trommel umgehängt, auf die er ohne Rhythmus-Anspruch eindrosch, um dazu den Kurvenslogan "Super-Bayern" zu grölen; der zweite, Serge Gnabry, trug ein Sonnenhütchen auf dem Kopf und eine Sektflasche in der Hand; der dritte, David Alaba, folgte weitgehend entkleidet hinterdrein.

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Ihr Weg hatte ein Ziel: Sie steuerten auf den Mittelkreis zu, den eine dicke Schicht Lametta aus der Uefa-Kanone deckte. Jahr für Jahr schießt sie aufs Neue zu "We are the Champions" farbige Schnipsel in den Abendhimmel. Hier handelte es sich eindeutig um rotes statt um blaues Lametta, das blaue, das für die Farben von Paris Saint-Germain bestimmt war, blieb in der Requisite. Der französische Spitzenklub, das war ja nun in der ganzen Welt bekannt, hatte das Endspiel des Champions-League-Finalturniers gegen den FC Bayern 0:1 verloren.

Kimmich, Gnabry und Alaba also ließen sich, als hätten sie sich genau hier verabredet, am Anstoßpunkt nieder, und nachdem sie ein paar Minuten dort gesessen hatten, kam noch ein vierter Bayern-Mann aus der Kulisse. Hansi Flick, keine Sekt-, sondern eine Bierflasche in der Hand, näherte sich zügig wie jemand, der etwas zu spät zum Termin erscheint. Dann setzte auch er sich auf den Rasen. Wenn es noch irgendwelche Zweifel an Flicks Führungsstil gab, dürften sie nun ausgeräumt sein.

Einen Augenblick später machte der Bühnenmeister im "Stadion des Lichts" das Licht aus, und das Quartett saß im Dunkeln. Der Vorhang war gefallen.

Vom Stadionrasen zogen die Bayern zur Pokalparty in ihr Hotel-Quartier am grünen Rand der Küstenstadt Cascais um, wo sie während der Tage des Europacups sehr angenehm untergebracht waren. "Das Hotel war einfach eine Wohlfühloase", lobte Flick das Feldlager kaum weniger ausdrücklich als den wie üblich überragenden Torwart Manuel Neuer oder den Finaltorschützen Kingsley Coman, den der Trainer punktgenau in die Startelf rotiert hatte. Auch in dieser Sache, so muss man sagen, hatten die Münchner alles richtig gemacht. Die Delegationen von Atlético Madrid und FC Barcelona etwa hatten in Hochhaushotels mitten in der Stadt eingecheckt, sechsspurige Avenidas, Autos und Krach vor der Tür. Aber Atlético und Barça waren ja dann auch schnell wieder zu Hause.

Der FC Bayern aber blieb bis zum Schluss. Am längsten von allen schien - bevor die Nachhut um den Trommler Kimmich anrückte - der Mittelfeldspieler Thiago bleiben zu wollen. Er mochte sich gar nicht trennen von diesem Ort, sein Festhalten hatte etwas Sentimentales. Thiago hat sich ja nach sieben Jahren in München offenbar dazu entschieden, die Karriere nach England zu verlegen, der FC Liverpool will ihn haben und auch eine gute Ablöse bezahlen (die den Bayern aber noch nicht gut genug ist).

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Oder überlegt es sich Thiago noch mal anders, da er es im Finale manchem seiner ständigen Kritiker gezeigt hat? Er war einer der besten Bayern an diesem Abend, spielerisch der Anführer der Mannschaft, die nach Aussage von Thomas Müller gar nicht mal ihr bestes Spiel gemacht hatte - und sich trotzdem den Sieg verdiente, weil sie es schaffte, dem versierten Gegner den großen Auftritt zu verderben. Neymar und Kylian Mbappé waren nicht die erwarteten Protagonisten des Abends. "Wir hatten ein Gefühl der Unschlagbarkeit", sagte Joshua Kimmich. Dieses Gefühl hat die Bayern von Anfang an durch das Turnier getragen.

In diesem intensiven, immer knisternden und knallengen Finalduell gab es keine Flut an Torszenen, aber auch keinerlei Langeweile. Die jeweils ein paar Dutzend Köpfe zählenden Delegationen der beiden Klubs ließen sich mitreißen, rufend, grölend, klatschend nahmen sie Anteil, es war nicht so laut wie in einem Haus mit Zigtausenden Fans, aber ein Geisterspiel war dieses Finale bestimmt nicht. Rüde ging es manchmal zu, der Pariser Spielmacher Neymar musste von den Bayern einiges einstecken, einmal sogar eine Art Vergeltungsfoul, bei dem Gnabry die fällige gelbe Karte wohl vorher schon verbucht hatte.

Gnabry und Neymar reichten sich trotzdem danach die Hand, und es gab nach dem Abpfiff keine bösen Blicke und kein böses Blut, sondern viel Sportlichkeit auf beiden Seiten. Neymar heulte, die Bayern - Flick vorneweg - trösteten. Thomas Tuchel kam nach der Pokalvergabe extra noch mal vorbei, um zu gratulieren, was ihn an seinen Krücken einige Zeit und Mühe kostete. Manuel Neuer unterhielt sich lange mit ihm. Aber der Torwart hat seinen Vertrag ja kürzlich erst verlängert. Es wird keine Abwerbung geben, es muss für Neuer und die Bayern ja immer weitergehen.

Der Trainer Flick hat seine eigene Methode, um mit diesem unerbittlichen Gebot umzugehen. Gefragt, welche Ziele ihm denn jetzt blieben, nachdem er innerhalb einer Dreiviertel-Saison alle relevanten Titel gewonnen hat, lächelte er bloß verständnisvoll und gab sinngemäß zu Protokoll, er werde jetzt 14 Tage "durchschnaufen" und danach wieder pünktlich zur Arbeit erscheinen. "Alles, was in Zukunft ist, das ist jetzt erst mal hintangestellt", sagte er. Aber es ist schon klar, was passieren wird: Mit dem DFB-Pokal geht's am 11. September in Düren beim 1. FC los, dann erstes Bundesligaspiel der Saison gegen Schalke 04 und das Supercup-Finale gegen den Europa-League-Gewinner FC Sevilla - und natürlich muss man jedes Spiel mindestens gewinnen, wie Flicks Bayern es in diesem Jahr bis auf ein vereinzeltes 0:0 im Februar gegen Leipzig nicht anders kennen.

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Diese Mannschaft kann einem unheimlich werden, nach dem monumentalen 8:2 gegen Barcelona schüttelten sich alle Mann knapp die Hände und gingen dann zügig zum nächsten Punkt der Turnierordnung über. Oliver Kahn, der angehende Vorstandschef, musste versichern: Doch, doch, "die Jungs können schon auch feiern", ganz so schlimm sei es nun auch nicht. In Lissabon war es jetzt so weit. Die dauerfokussierten Hochleistungsbayern benahmen sich jetzt endlich so, wie es ihrer Jugend entsprach. Auf dem Feld entfaltete sich ein Breitwand-Panorama der Glückseligkeit.

Während der Uefa-DJ in Überlautstärke einen Hit nach dem anderen hören ließ, die Pariser Profis Thilo Kehrer, Marco Verratti und Mbappé deprimiert vor sich hin meditierten und ihr Kollege Marquinhos in einem höchst verzeihlichen Zerstörungsdrang ein paar Gegenstände durch die Landschaft trat, starteten die Münchner Spieler und die Stabsmitglieder eine weltvergessene Feier, die kein Publikum zur Animation benötigte. Das Stadion bebte selbst ohne prallvolle Tribünen. Bald gesellten sich dann auch Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß dazu, die alten Vereinsfürsten, die in Sachen Vereinspolitik zuletzt offenkundig so vieles voneinander getrennt hatte, dass ihr Verhältnis etwa dem von Nord- und Südpol zu entsprechen schien.

Jetzt standen sie friedlich zusammen und genossen die Szenerie und die Tänze der Spieler mit dem Silberpokal. Der Hüne Niklas Süle - unvermittelt früh für den muskelverletzten Jérôme Boateng eingewechselt, reich belohnt am Ende einer Saison, die mit einem Kreuzbandriss begann - griff sich derweil den Trainer Flick und warf ihn mühelos in den Himmel, und genau in diesem Moment kam "Halleluja" aus den Boxen. Das richtige Lied zur richtigen Stunde.

© SZ vom 25.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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