Süddeutsche Zeitung

Transfers beim FC Bayern:Alles, was rechts ist

Noussair Mazraoui soll beim FC Bayern eine Lücke schließen, die seit Philipp Lahms Abschied offen ist. Die Rechtsverteidiger-Position hat im Klub seither eine gewisse innenpolitische Wucht entfaltet.

Von Christof Kneer

Es ist eine alte Weisheit, dass große Leute nur dann wirklich groß sind, wenn sie in der Lage sind, ihr eigenes Ende zu bedenken. Wenn ihnen bewusst ist, dass sie ihre Aufgabe irgendwann in andere Hände geben müssen, in möglichst fähige Hände, die sie am besten schon mit aussuchen. Man muss also klar sagen, dass der große Fußballer Philipp Lahm doch nicht so groß gewesen sein kann. Als er im Frühjahr 2017 beschloss, seine Aufgabe künftig in andere Füße zu geben, hat er es mit diesem Beschluss bewenden lassen. Welche Füße ihm nachfolgen könnten, hat er seinem überrumpelten Arbeitgeber nicht gesagt, aber zum Glück hat es dann nur fünf Jahre gedauert, bis der FC Bayern einen neuen Rechtsverteidiger gefunden hat.

Wahrscheinlich war Philipp Lahm also doch ziemlich groß. Zumindest war er auf seiner Position so stilbildend, dass die Münchner schnell gemerkt haben: Es bringt nichts, einen neuen Lahm zu suchen. Sehr gute Nachfolge-Kandidaten gab es nicht, und gute wie der Brasilianer Danilo oder der Italiener Matteo Darmian waren sagenhaft überteuert. Also haben die Bayern erstmal den gebürtigen Mittelfeldspieler Joshua Kimmich dort hinten spielen lassen und später den gebürtigen Innenverteidiger Benjamin Pavard.

Als die Münchner nun in dieser Woche die Verpflichtung ihres neuen Rechtsverteidigers Noussair Mazraoui von Ajax Amsterdam bekanntgaben, hat der Sportvorstand des FC Bayern einen wahren Satz gesagt. Der FC Bayern wisse, "wie schwer der Rechtsverteidiger-Markt ist", sagte Hasan Salihamidzic und fasste damit die vergangenen Jahre bündig zusammen. Er hätte auch sagen können: Einen Rechtsverteidiger-Markt gibt es eigentlich gar nicht.

Die Halbfeldflanken von Willy Sagnol haben dem FC Bayern mal eine deutsche Meisterschaft beschert

Selbst die abgebrühtesten Transfermarkt-Scanner können dieses Rätsel zwar erkennen, aber nicht erklären. Experten vermuten, dass die besten Rechtsfüße schon in der Jugend ins zentrale Mittelfeld gesteckt würden, und hinten rechts spielt dann, was übrig bleibt.

Mazraoui, 24, sei "der Typ Spieler, der von ganz Europa gesucht wurde", sagte Salihamidzic noch, auch das wohl ein sehr wahrer Satz. Der Marokkaner gilt als schneller, vorwärts drängender Außenbahnspieler, der das defensive Profil der Rolle dabei aber nicht ignoriert. Besonders attraktiv wird der Spieler aber dadurch, dass er zwar nicht nichts kostet, aber wegen eines auslaufenden Vertrages zumindest keine Ablösesumme. Der Trainer Julian Nagelsmann kann nun mit etwas besserem Gewissen die von ihm verehrte Dreierabwehrkette in Auftrag geben, für die er sich im Klub zuletzt immer wieder rechtfertigen musste. Für Dreierketten brauchen Trainer auf den Außenpositionen ja doppelt begabte Spieler: Sie müssen klassisch verteidigen können, um die Dreier- im Zweifel zur Fünferkette zu verbreitern; sie müssen aber auch die Flanke hinaufstürmen und ein Sprint- oder Dribbelduell für sich entscheiden können.

Alphonso Davies kann das, aber der spielt links. Auf der rechten Seite konnten Nagelsmanns Spieler bisher nur das eine (Pavard, verteidigen) oder das andere (Gnabry, stürmen). Noussair Mazraoui trauen die Bayern zu, dass er beides beherrscht, den Pavard- und den Gnabry-Part.

Bis zu Philipp Lahms Abschied hat sich der FC Bayern auf seine Rechtsverteidiger meistens verlassen können, angefangen ganz früher bei Werner Olk bis hin zu Stefan Reuter oder dem Brasilianer Jorginho, der spektakulär verlässlich war, auch wenn ihn der Trainer Franz Beckenbauer am Spielfeldrand mal vernehmlich schmähte ("bist a Brasilianer oder hast an Holzfuß?"). Eine ganze Meisterschaft sicherte dem FC Bayern sogar mal der Rechtsverteidiger Willy Sagnol, und zwar dadurch, dass er ununterbrochen Halbfeldflanken auf den Kopf von Michael Ballack schaufelte.

Der Konflikt zwischen Salihamidzic und dem Ex-Trainer Flick entzündete sich an der Rechtsverteidiger-Position

Aber erst nach Lahms Abschied ist den Bayern so richtig aufgefallen, dass Außenverteidiger keine Randfiguren sind, nur weil sie am Rand spielen. Die Außenverteidiger-Position hat beim FC Bayern in den vergangenen Jahren eine gewisse innenpolitische Wucht entfaltet, es war die Rolle, um die immer ein bisschen gestritten wurde. Die Verantwortlichen hat es genervt, wenn Öffentlichkeit und Medien eine gewisse Vakanz auf den defensiven Seiten und deshalb eine gewisse Unausgewogenheit des Kaders diagnostizierten. Das gipfelte in jenem verächtlichen "Bernat!"-Ausruf von Uli Hoeneß, der übersetzt so viel bedeutete wie: Was stellt ihr Reporter euch so an, wir reden hier doch nur über einen Außenverteidiger!

Auch der Konflikt zwischen dem Sportchef Salihamidzic und dem ehemaligen Trainer Hansi Flick entzündete sich rechts hinten: Als Flick im Januar 2020 öffentlich neue Spieler forderte, ging es ihm vor allem um einen Rechtsverteidiger - den brauchte er, um Kimmich dauerhaft in die Zentrale umziehen zu lassen. Von Salihamidzic bekam Flick aber nur den Spanier Alvaro Odriozola genehmigt, den er ebenso wenig für brauchbar hielt wie den Senegalesen Bouna Sarr, für den auch Nachfolger Nagelsmann kaum Verwendung findet.

Hasan Salihamidzic hat früher auch mal rechts hinten gespielt, und nun hofft der zuletzt umstrittene Sportchef, dass er genau dort eine Lösung gefunden hat, die seinen Ruf als Kaderplaner wieder etwas befestigen kann. Auf Noussair Mazraoui sind sie erkennbar stolz in München, und das soll ja erst der Anfang sein. Ein Innenverteidiger soll ebenso noch verpflichtet werden wie ein zentraler Mittelfeldspieler, dessen Name immerhin schon bekannt ist: Ryan Gravenberch, 19, ist bei Ajax Amsterdam ein Klubkollege von Nousair Mazraoui.

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