Süddeutsche Zeitung

Timo Werner:Eine vieldeutige Absage

Vor einem Jahr wollte Timo Werner unbedingt zum FC Bayern, nun ausdrücklich nicht mehr. Die Personalie weist tief hinein ins Innenleben des Vereins.

Von Christof Kneer

Vor genau einem Jahr, am ersten Mai-Wochenende 2019, hat Timo Werner ein Tor geschossen, das aussah wie ein Tor von Gerd Müller. Es war nur ein 1:0 gegen Freiburg, aber wer Sinn für Verwandtschaftsverhältnisse hat, konnte die Ähnlichkeit unmöglich übersehen. Das Tor - in den Raum sprinten, bremsen, den Ball zurücklegen, drehen, schießen - war ein kleiner Adoptivbruder jenes legendären Treffers, den Gerd Müller im WM-Finale 1974 erzielt hatte. Im Fußball stößt man immer mal auf Bilder, die man irgendwo schon mal gesehen hat, aber Timo Werners Gerd-Müller-Imitat war mehr als nur Folklore.

Das Tor wirkte wie eine offizielle Beglaubigung: Hiermit wird dem Lizenzspieler Werner amtlicherseits bestätigt, dass er zum Führen eines FC-Bayern-Mitgliedsausweises berechtigt ist. Wie gesagt: Ein Jahr ist das her, aber auf die Ausstellung des Ausweises wartet der Lizenzspieler Werner immer noch. Und wenn man seine jüngsten Aussagen sieht, hat er auf diesen Ausweis vielleicht gar keinen Bock mehr.

Es gab schon viele Transfers zum FC Bayern, die sich ewig hingezogen haben, bei Robert Lewandowski etwa hat es vom ersten Gerücht bis zum endgültigen Transfer mehrere Jahrzehnte gedauert (vielleicht waren es auch nur Jahre). Der Werner-Transfer von Leipzig nach München schien sich zum Adoptivbruder des Lewandowski-Transfers zu entwickeln, es gab Komplimente, es gab Gespräche und Verhandlungen, zwischendurch gab es auch Stillstand und ein paar Irritationen. Aber war das bei Lewandowski nicht auch so?

Der FC Bayern sei "ein toller Verein, da brauchen wir nicht drüber zu reden", hat Werner, 24, nun am Wochenende der Bild-Zeitung gesagt, "aber falls ein Wechsel irgendwann einmal ein Thema werden sollte, würde mich eher der Schritt ins Ausland reizen als ein Wechsel zu Bayern".

Ein deutscher Fußballprofi, der den Bayern absagt? Man wusste bislang gar nicht, dass die Statuten so etwas zulassen.

Die Werner-Geschichte ist kompliziert, und sie wird noch komplizierter durch einen Transfermarkt, von dem keiner weiß, wie er im Corona-Sommer aussehen wird. Entsprechend widersprüchlich werden in der Branche die Motive für Werners Wortmeldung wahrgenommen. Sprechen aus Werner vor allem Trotz und Ärger, weil es ihn nervt, dass er von den Bayern zuletzt nicht mehr viel gehört hat? Ist es Verzweiflung, weil er am liebsten eben doch nach München ginge? Ist es ein Signal an seinen Arbeitgeber RB Leipzig, dass er bereit wäre zu bleiben und seine angebliche 60-Millionen-Ausstiegsklausel verstreichen zu lassen?

Oder ist es das pralle Selbstbewusstsein, weil er weiß, dass der FC Liverpool und der FC Chelsea an ihm interessiert sind? Ein Insider spricht von "einer hohen Wahrscheinlichkeit für einen Transfer nach England"; Jürgen Klopps Liverpool soll Werner ein Angebot vorgelegt haben.

Die Werner-Geschichte hat mehrere Erzählebenen, es geht dabei nicht nur um die neuen Muster des Corona-Transfermarkts oder die Zukunft des immer noch aussichtsreichsten deutschen Mittelstürmers. Es geht auch immer um den FC Bayern.

Die Personalie Werner weist tief hinein ins Innenleben dieses kolossalen Vereins. So wäre es etwa falsch zu behaupten, der FC Bayern wolle Werner ja eh' nicht verpflichten, und der Stürmer sei den Münchnern mit seiner Absage nur zuvorgekommen. Der eine FC Bayern ist manchmal recht schwer zu erkennen. Vom Sportdirektor Hasan Salihamidzic etwa ist bekannt, dass er den Konterstürmer Werner kritisch sieht, er zweifelt daran, dass sich dieser Großraumsprinter auch in jenen kleinen Räumen auskennt, die man als Bayernstürmer meist nur angeboten bekommt - eine ebenso legitime Meinung wie die des Trainers Hansi Flick, der als Werner-Fan gilt.

Flick interessiert gar nicht so sehr, ob Werner das alles jetzt schon kann. Flick sieht das Potenzial, das in Werner steckt, er sieht, dass dieser Spieler immer torgefährlich und fast nie verletzt ist, und er würde gerne einen Bayernstürmer aus ihm formen, der erst mal neben oder hinter Lewandowski stürmt und irgendwann den Staffelstab im Sturmzentrum übernehmen kann.

Man kann diesen manchmal zweigeteilten FC Bayern durchaus auch aus Werners Interview herauslesen. Flick habe "bewiesen, dass er ein richtig guter Cheftrainer ist", sagt Werner an einer Stelle demonstrativ; an einer anderen sagt er, dass bei einem Wechsel "die gegenseitige Wertschätzung maximal da sein müsste". Was sie in München - Zielrichtung Salihamidzic - offenkundig nicht ist: Vor einem Jahr fühlte sich der sensible Werner von den Bayern fast schon verpflichtet, aber dann fühlte er sich immer mehr hingehalten. Er kam sich vor wie ein Stürmer, der absprachegemäß in die Lücke gesprintet ist und auf den Steilpass wartet, der einfach nicht kommt.

Wenn es nach Flick geht, hätten die Bayern auch jetzt noch eine Planstelle für Werner frei, aber der Trainer hat inzwischen damit begonnen, sich mit einem viel wahrscheinlicheren Szenario anzufreunden: mit jenem, dass die Bayern ihre Anstrengungen auf Leroy Sané konzentrieren.

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SZ vom 04.05.2020/ska
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