Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Thiago dankt

Von Claudio Catuogno

In der 35. Minute hatte Thiago Alcántara schon vom Feld gemusst, Schmerzen im Fuß, und natürlich war der Ersatzstürmer Sandro Wagner hinterher genau der richtige Gesprächspartner für die Frage, ob die Saison denn nun gelaufen sei für den spanischen Nationalspieler. Weil Wagner nämlich für alles der richtige Gesprächspartner ist, was irgendwie nach Gagpotenzial riecht. Thiago also?

"Da müssen Sie Doktor Müller-Wohlfahrt fragen, meinen Kollegen", antwortete Wagner an jenem überwiegend beschwingten Abend vor drei Wochen in Istanbul, als der FC Bayern mit einem 3:1 im Rückspiel gegen Besiktas das Viertelfinale der Champions League erreichte. "Ich bin Internist, er ist Orthopäde. Er kennt sich da besser aus."

Immer anspielbar, aber ohne die großen Geistesblitze

An die Episode hat man noch mal erinnern müssen, als nun am Dienstagabend in Sevilla die Aufstellung des FC Bayern verlesen wurde. Wenn einem Fußballer im März der Fuß wehtut, ist es ja oft so: Bald darauf ist schon Mai, und die Höhepunkte der Saison fanden ohne ihn statt. Aber im Fall von Thiago hat der Bayern-Arzt bald darauf Entwarnung gegeben, also der Orthopäde, nicht der Internist: "Lediglich eine Zerrung der Sehnenplatte im Bereich der linken Fußsohle" hatte Thiago sich in Istanbul zugezogen.

Die Länderspiele der Spanier gegen Deutschland (1:1) und Argentinien (6:1) hat er schon wieder mit schmerzfreiem Fuß durchgestanden, in letzterem hat er ein Tor erzielt. Und nun stand er also auch gegen Sevilla in der Startelf des Bayern-Trainers Jupp Heynckes. Was keine Riesenüberraschung war, Thiagos Qualitäten als Bällestreichler und -verteiler im Mittelfeld sind ja bekannt, seit der ehemalige Coach Pep Guardiola dessen Verpflichtung einst mit dem Bonmot verfügte, er wolle "Thiago oder nix". Aber eine kleine Überraschung war es doch, wenn man bedenkt, wen Heynckes dafür (zunächst) draußen ließ: James Rodríguez, trotz dessen Galavorstellung beim 6:0 gegen Dortmund. Und, nicht zu vergessen: Arien Robben. Und der ist ja immer gleich ewig sauer, wenn er mal nicht spielt.

Warum Thiago? Man muss wahrscheinlich ein bisschen etwas über Jupp Heynckes' Idee von Menschenführung wissen, um das zu beantworten. Für Heynckes ist es schon oft ein wichtiges Kriterium gewesen, dass Spieler besonders gerne gegen Mannschaften aus ihrem Heimatland spielen, unter anderem, weil sie dann dort im Fernsehen zu sehen sind. Das allein mag noch kein Grund sein für einen Startelfeinsatz - aber Heynckes ist eben auch überzeugt davon, dass Spieler, die diese Freude von ihrem Trainer gewährt bekommen, im Gegenzug eine besondere Leistung bringen. Zuckerl und Gegenzuckerl, mal vereinfacht ausgedrückt.

Thiago köpfelt das Siegtor

Immer klappt das nicht. Als zum Beispiel klar war, dass der Linksverteidiger David Alaba mit Rückenbeschwerden ausfallen würde, da nominierte Heynckes ebenfalls einen Spanier für die Position, Juan Bernat. Der war bisher kein Faktor gewesen in dieser Saison, anfangs verletzt, dann nur sieben Einsätze in der Liga, noch keiner in der Champions League. Und nun war Bernat sichtbar überfordert, Schwächen im Stellungsspiel, oft zu weit weg vom Gegner - und als in der 32. Minute Pablo Sarabia die Führung für Sevilla erzielte, da war Bernat zwar ganz in der Nähe, aber vor allem, um ein Handspiel zu reklamieren, das es nicht gab. Heynckes hat da schnell reagiert, zur Pause brachte er den Brasilianer Rafinha, der zwar lieber rechts spielt als links, aber links mehr Stabilität ins Spiel brachte als Bernat.

Aber Thiago schuftete sich ebenso in die Partie wie der dritte bayerische Spanier: Javi Martínez, der anfangs auf der Sechserposition ein paar Lücken zu viel klaffen ließ, später dann nicht mehr. Thiago: immer anspielbar, aber ohne die großen Geistesblitze. In der 60. Minute versuchte er es mit einem Fallrückzieher, traf aber den Ball nicht richtig. Sechs Minuten später flankte Ribéry von links, Thiago köpfte Escudero auf den Fuß, Siegtor, 2:1. Vielleicht hat Heynckes es ja geahnt, dass es der Tag eines Spaniers werden würde in Spanien.

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SZ vom 04.04.2018/schma
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