FC Bayern im Supercup:Eine Reise, die Flick hadern lässt
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Obwohl Budapest zum Risikogebiet erklärt ist, müssen die Bayern zum Supercup-Finale nach Ungarn - und dort vor 20 000 Zuschauern antreten. Auch zahlreiche Bayern-Fans wollen anreisen.
Von Sebastian Fischer, München
Leroy Sané drehte sich, er schaute kurz auf, als er den Ball nach links außen im Strafraum spielte, einen feinen Pass in den Lauf von Serge Gnabry. Und als Gnabry dann zum 5:0 traf, da konnten die Vergleiche beginnen. Man musste sich zwar beeilen, um das nächste Tor nicht zu verpassen, aber nach einer Stunde zwischen dem FC Bayern und Schalke 04 durfte man sich einen kurzen Blick ins Archiv schon gönnen: Zwei Tore gelangen einst Franck Ribéry und Arjen Robben in ihrem ersten gemeinsamen Spiel für den Klub, einem 3:0 gegen Wolfsburg im August 2009, zweimal Ribéry auf Robben. Zwei Tore, zweimal Sané auf Gnabry, das gelang im ersten gemeinsamen Spiel zum Saisonauftakt auch dem neuen Duo auf den Flügeln des Rekordmeisters.
Ob jetzt eine Ära beginnen könne, nämlich die der beiden Nationalspieler Sané, 24, im Sommer von Manchester City verpflichtet, und Gnabry, 25, die auch noch wie Robben und Ribéry die Nummern 10 und 7 auf ihren Rücken tragen? Darauf wurde nach dem 8:0 gegen überforderte Schalker auch der Münchner Trainer angesprochen. "Machen wir mal ganz langsam jetzt hier, das war das erste Spiel", sagte Hansi Flick - allerdings nicht ohne fast beiläufig zu erwähnen, dass der Sieg, zu dem Gnabry drei Tore beitrug und Sané in seinem ersten Spiel für die Bayern neben zwei Vorlagen einen Treffer, nun schon "ein bisschen der Maßstab" sei "für Leroy und Serge und die ganze Mannschaft".
Sie wissen in München natürlich auch, dass es für die Konkurrenz relativ ernüchternd ist, wenn ein 8:0 nicht etwa Begeisterung auslöst, sondern der Maßstab sein soll. Ein 8:0, bei dem Stürmer Robert Lewandowski das 6:0 durch Thomas Müller mit einem frechen Rabona-Trick vorbereitete, einer hinter dem Standbein geschlagenen Flanke. Ein 8:0, nach dem sich Flick ernsthaft über ausgelassene Torchancen ärgerte. Ein 8:0 zumal, weniger als einen Monat nach dem Gewinn des Triples und nach bloß rund einer Woche gemeinsamen Mannschaftstrainings.
Rund um das Supercup-Spiel in Budapest gibt es Ärger
Die Münchner wissen aber genauso, dass zu diesem 8:0 auch ein erstaunlich naiver Auftritt der Gäste aus Schalke beitrug, die mit ihrem Defensivverhalten Sané und Gnabry den nötigen Raum für nicht mehr einzuholende Sprints gaben. Und sie wissen außerdem, dass sie gerade noch ein paar andere Dinge zu erledigen haben, bevor sie den Beginn neuer Ären ausrufen.
Die nächste Aufgabe, zum Beispiel, ist gleich am Donnerstag das Endspiel im Supercup gegen den FC Sevilla, ausgetragen in Budapest, vom Robert-Koch-Institut wegen hoher Infektionszahlen als Risikogebiet eingestuft. "Das ist eine Sache, die man nicht ganz so versteht", sagte Flick.
Während der Saisonauftakt in München wegen des erhöhten Infektionsrisikos vor leeren Rängen stattfinden musste, soll das Spiel in Ungarns Hauptstadt auf Wunsch der Uefa gar vor rund 20 000 Zuschauern ausgetragen werden. 3000 Tickets stehen dem FC Bayern zur Verfügung, 2100 Fans wollen mitreisen, sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge am Sonntag bei Sky. Ihnen stehen auf Initiative des Klubs am Montag und Dienstag Corona-Tests an der Arena bereit, auch nach der Rückkehr sollen kostenlose Tests am Münchner Flughafen möglich sein. "Wir haben kein Interesse daran, dass Leute coronainfiziert aus Budapest zurückkehren und dann hier nicht erkannt werden", sagte Rummenigge. Der Klub werde daran mit Stadt und Gesundheitsamt "sehr seriös arbeiten".
Aus sportlicher Sicht erinnert die Begegnung in Budapest an den Rhythmus, den diese Saison vorgibt - vier Spiele allein in den kommenden zwei Wochen - und den kleinen Kader, der dafür zur Verfügung steht. Als er Sané, der knapp eine Saison Verletzungspause nach einem Kreuzbandriss hinter sich hat, und Gnabry nach 72 Minuten eine Pause gönnte, wechselte Flick den 17 Jahre alten Jamal Musiala ein - als wolle er damit den Bedarf an weiteren Transfers belegen. Allerdings schoss Musiala prompt das 8:0.
Er ist jetzt der jüngste Pflichtspieltorschütze der Klubgeschichte. Es ist eine etwas ungewöhnliche Situation für den Trainer: Er könnte einfach begeistert sein von seiner Mannschaft, die jetzt alle, die danach gefragt werden, die "wahrscheinlich beste der Welt" nennen, und in der selbst die eingewechselten Nachwuchskräfte überzeugen. Doch er ahnt natürlich auch, dass es für Talente wie Musiala noch zu früh sein dürfte, eine ganze Saison lang zu kompensieren, dass auf der Bank für die Offensive jetzt nicht mehr Philippe Coutinho oder Ivan Perisic sitzen, sondern womöglich recht allein der Champions-League-Finaltorschütze Kingsley Coman, der gegen Schalke noch wegen eines positiven Corona-Tests in seinem Umfeld fehlte. Flick vergaß übrigens nicht, ihn zu erwähnen, als es um das neue Flügelduo Gnabry und Sané ging.
Momentan ist öffentlich nur vom offenbar bevorstehenden Transfer von Sergiño Dest, 19, von Ajax Amsterdam die Rede, einem Außenverteidiger als Ergänzung für Benjamin Pavard. Dazu schwelt weiterhin der Streit um die ausstehende Vertragsverlängerung von Abwehrchef David Alaba. Im Mittelfeld? Trug zwar Joshua Kimmich die Nummer sechs des zum FC Liverpool gewechselten Thiago und spielte Pässe hinter die Schalker Abwehr, die man besser kaum spielen kann.
Doch dass dafür jetzt niemand mehr jene meist flachen, scharfen, unverwechselbaren Pässe spielt, die eigentlich nur Thiago spielen kann, das weiß auch Kimmich, der zu denen zählt, die am lautesten weitere Transfers fordern - der aber im ZDF-Interview nach dem Spiel auch betonte, Sportvorstand Hasan Salihamidzic dabei zu vertrauen. Auch Rummenigge sprach am Sonntag bei Sky noch mal über Thiago: Zum Abschied habe der Spanier in der Tiefgarage an der Säbener Straße fünf Minuten in seinen Armen geweint. "Mir sind auch die Tränen gekommen", sagte Rummenigge.
Es sollte aber niemand denken, dass die Münchner nun melancholisch oder allzu nachdenklich werden. Zur Reise nach Budapest etwa, von der er nicht begeistert ist, hat Hansi Flick auch noch etwas anderes gesagt: Den nächsten Titel, den wolle er dort natürlich schon gewinnen.