Süddeutsche Zeitung

FC Bayern in der Champions League:Sprechchöre für zwei, die es gebrauchen können

Beim 5:0 gegen Dynamo Kiew werden Leroy Sané und Niklas Süle von den Fans gefeiert. Die starke Form der zwei Nationalspieler hat auch mit der Arbeit von Trainer Julian Nagelsmann zu tun.

Von Sebastian Fischer

Fußballkabinen sind gewöhnlicherweise Orte höchster Diskretion, aber Julian Nagelsmann war wohl zu gut gelaunt, um Geheimnisse zu bewahren. Fünf Szenen aus der ersten Halbzeit, "die Maximalzahl", habe er seinen Spielern zur Analyse in der Pause gezeigt, erzählte er nach dem 5:0 (2:0) gegen Dynamo Kiew. Die Gründe dafür, dass die Fußballer des FC Bayern so früh zur zweiten Hälfte wieder auf dem Platz erschienen, waren demnach andere. Er habe schnell geredet. Und: "Ich musste diesmal nicht Pipi."

"Too much information", sagen Amerikaner zu Offenbarungen dieser Art, aber der Trainer gab am Mittwochabend noch mehr aus dem Kreis der Mannschaft des deutschen Rekordmeisters preis. Er verriet in der Pressekonferenz, wer in der Kabine am lautesten lacht: Leroy Sané.

Es gibt wahrlich nicht viele Probleme derzeit im sportlichen Bereich des FC Bayern. Neun Pflichtspiele in Serie haben die Münchner gewonnen, dabei in den vergangenen sieben ein Torverhältnis von 39:2 erreicht - und das klingt nur zum Teil so absurd, weil ein 12:0 gegen den Fünftligisten Bremer SV dabei war. Wenn es in den Wochen dieser Erfolge, die den Start von Trainer Nagelsmann im Klub kennzeichnen, überhaupt so etwas wie ein Problem gab, dann waren es die Umstände, unter denen Sané in den Fokus geriet. Nach einer schwachen Leistung beim 3:2 gegen den 1. FC Köln Ende August wurde er von Teilen der eigenen Fans ausgepfiffen. Nach Lachen in der Kabine war ihm zumindest zwischenzeitlich nicht zumute.

Die Position auf der linken Seite scheint Sané besser zu liegen

Das 5:0 gegen Kiew, nach einem 3:0 zum Auftakt beim FC Barcelona der nächste eindrucksvolle Sieg dieser Champions-League-Saison, bot Beispiele für vieles, was gerade gut läuft bei den Bayern. Sie waren "gierig in beide Richtungen", so drückt es Nagelsmann gerne aus: unnachgiebig in der Offensive, mit Chancen auch noch nach dem fünften Tor durch Eric Maxim Choupo-Moting (87.), und in der Defensive. An Sanés Spiel war beides zu sehen: Er kämpfte sich nach ein paar Ballverlusten zu Beginn mit Balleroberungen zurück in die Partie, hatte dann immer bessere Aktionen in der Offensive, bereitete das 3:0 von Serge Gnabry (68.) vor und schoss das 4:0 (74.) selbst.

Es war am Ende recht egal, dass es sich bei seinem Treffer nicht um ein Traumtor vom linken Flügel, sondern um eine verunglückte Flanke handelte. Der Ball sei ihm abgerutscht, gab er im TV-Interview zu, "da habe ich ein bisschen Glück gehabt, dass in dem Moment meine Technik nicht so gut war". Doch da hatten ihn die Fans ohnehin längst, schon während der ersten Halbzeit, mit Sprechchören gefeiert. Sané habe "ein herausragendes Spiel gemacht", sagte Nagelsmann. "Seit Köln hat er absolut richtige Schritte unternommen."

Ein bisweilen rätselhaftes Phlegma des begabten Flügelartisten schien damals ähnlich wie in der Vorsaison wieder zum Thema zu werden. Doch seitdem tritt Sané anders auf, schon in der Nationalmannschaft war es zu sehen. Auch eine andere Position hat damit zu tun: Gegen Köln hatte er noch auf dem rechten Flügel gespielt, seitdem kommt er auf der linken Seite zum Einsatz, was ihm besser liegt. Wenn auf links Außenverteidiger Alphonso Davies nach vorne drängt, zieht Sané oft in die Mitte, in den sogenannten Halbraum. Und es ist auffällig, dass er kaum einen Ball verloren gibt. Einen Sprint, "60 Meter" nach hinten, hob Nagelsmann hervor.

Sané war aber nicht der einzige Münchner, der am Mittwoch von den Fans gefeiert wurde, und der zweite war vielleicht sogar noch etwas überraschender. Es hätte ja unter anderem einen Doppeltorschützen zu würdigen gegeben, Robert Lewandowski traf erst per Handelfmeter zum 1:0 (12.) und dann auch zum wegweisenden 2:0 (27.), mit dem die tief verteidigenden Ukrainer bereits geschlagen zu sein schienen. Zum Ende der Partie war von den Rängen allerdings Lob für Niklas Süle zu hören. "Jeder Spieler aus den eigenen Reihen hat sich sehr darüber gefreut, dass auch mal ein Abwehrspieler mit Sprechchören gefeiert wurde", sagte Torwart Manuel Neuer.

Die Abwehr steht für den Anspruch des Trainers, variabel zwischen den Grundordnungen zu wechseln

Es ist schließlich die Defensive, an der sich auch Nagelsmann vorgenommen hat besonders zu arbeiten. In der Vorsaison kassierten die Münchner zu viele und oft auch zu einfache Gegentore. Die neue Abwehr um Dayot Upamecano, den nach Verletzung zurückgekehrten Lucas Hernández und Süle macht seit Wochen einen sicheren Eindruck. Und sie steht gleichermaßen auch für den Anspruch des Trainers, variabler als in der Vergangenheit zwischen verschiedenen Grundordnungen zu wechseln. Mal verteidigt der FC Bayern wie beim jüngsten 3:1 in der Bundesliga gegen Greuther Fürth mit einer Dreierkette, mal wie gegen Kiew mit einer Viererkette. Süle fiel dabei diesmal die Rolle des Rechtsverteidigers zu. Und obwohl Davies auf links den offensiveren Part gab, fiel auch der deutsche Nationalspieler mit Aktionen nach vorn auf, das 2:0 etwa leitete er mit Ballgewinn und -weiterleitung in einer Berührung ein.

Süle, 26, ist noch nie ausgepfiffen worden in der Münchner Arena, aber er hatte es in der jüngeren Vergangenheit auch nicht immer einfach. Formschwankungen nach seinem Kreuzbandriss 2019 prägten die Vorsaison, für diese Spielzeit schien in der neuen Münchner Stamm-Abwehr zunächst kein Platz für ihn zu sein. Jüngst wurden durch einen Gerichtsstreit seiner früheren Berater Chatnachrichten von Süle publik, die nahelegten, dass er den Klub 2019 genervt verlassen wollte. Doch diese Worte passten schon nicht mehr so recht in die Zeit. Denn unter Nagelsmann scheint er nachhaltig in Richtung seiner Bestform unterwegs zu sein.

Was die Unterstützung der Anhänger bedeute? "Dass die Fans ihn mögen, und dass sie wollen, dass er Spieler des FC Bayern bleibt", sagte Neuer. Süles Vertrag läuft im kommenden Sommer aus. Es bleibt also etwas zu tun, beim gerade schon wieder so erfolgreichen Rekordmeister. Was noch? "Gesund bleiben", sagte Neuer. Das sei das Wichtigste.

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