FC Bayern:Die großen Jungs machen ernst

Fussball 1.German Soccer League FC BAYERN MUENCHEN - VFB STUTTGART Robert LEWANDOWSKI, FCB 9 celebrates his goal, happy; FCB

Leon Goretzka, Robert Lewandowski, Leroy Sané und Benjamin Pavard.

(Foto: Peter Schatz / Pool/ via Mladen)

Wie auf dem Bolzplatz schießt der FC Bayern Stuttgart aus dem Stadion, Robert Lewandowskis Torzähler steht nun bei 35. VfB-Trainer Matarazzo versucht zu erklären, warum seine Mannschaft mit der frühen Überzahl überfordert war.

Von Christof Kneer

Nach zehn Minuten bahnte sich zum ersten Mal das Duell an, das für den weiteren Verlauf dieses Nachmittags erhebliche Spannung versprach. Silas Wamangituka rannte los, und wenn das passiert, bekommen seine Gegenspieler meist nur noch seine Rückennummer zu sehen. Diesmal blieb sein Gegenspieler allerdings gleichauf, Alphonso Davies war genauso schnell oder vielleicht sogar eine Hundertstel schneller, am Ende des gemeinsamen Sprints verloren beide den Ball. Das erste Duell der beiden Supersprinter endete unentschieden - es sollte ihr letztes Duell an diesem Tag bleiben.

Zwei Minuten später trabte Davies langsam vom Platz, Hansi Flick klatschte ihn nochmal ab, obwohl der Trainer keinen Grund hatte, sich zu bedanken. Davies war nach einem rüden Tritt gegen Stuttgarts Wataru Endo vom Platz geflogen. Zwanzig Minuten später folgte ihm Wamangituka, er lief noch langsamer. Zwei Betreuer stützten den Stuttgarter Stürmer, der sich offenkundig eine schwere Knieverletzung zugezogen hat. Am Sonntag folgte die Gewissheit: Kreuzbandriss. Monatelanger Ausfall.

Der Sprint aus der zehnten Minute war im Übrigen auch das letzte Duell des Tages, das unentschieden endete. Sonst herrschte nirgendwo Gleichstand: Die einen hatten zwar einen Mann weniger, am Ende aber vier Tore mehr.

Dass der FC Bayern ein Heimspiel 4:0 gewinnt, wird keinen ARD-"Brennpunkt" nach sich ziehen, es ist ein Ergebnis, auf das man beim Tippen vorher kommen kann. Ein Münchner 4:0 ist auch dann normal, wenn der Gegner ein aufstrebender Aufsteiger ist, der mit großer Lust an der Herausforderung nach München reist und in der Tabelle nicht mehr viel zu befürchten hat. Nicht alltäglich ist ein 4:0 allerdings, wenn die Bayern 78 Minuten in Unterzahl spielen - und den Platzverweis unmittelbar zu drei Toren nutzen. Es war ein bisschen wie auf dem Bolzplatz, wenn die großen Jungs den kleineren Jungs einen Mann mehr geben und dann mal kurz ernst machen.

Im Fall der großen Bayern-Jungs hieß das an diesem Samstag: Okay, dann macht's jetzt halt der Weltfußballer. Nur sechs Minuten nach dem Platzverweis spritzte Robert Lewandowski in eine Flanke von Serge Gnabry, er stand da ganz allein gegen drei Stuttgarter, direkt neben ihm stand der Abwehrchef Waldemar Anton, der zuletzt zu den besten der kleineren VfB-Jungs gehört hatte. Aber das reicht halt nicht, wenn plötzlich der Beste der Großen auftaucht. Es waren drei unmittelbar aufeinanderfolgende Szenen, die dieses Spiel so früh entschieden: Erst Davies' Platzverweis (12.); dann die Kopfballchance für Stuttgarts Mittelstürmer Sasa Kalajdzic, der ebenfalls an einem der großen Jungs (Manuel Neuer) scheiterte (14.); dann Lewandowskis 1:0 (18.), das die Stuttgarter in eine kurze Identitätskrise stürzte, die der FC Bayern erbarmungslos ausnutzte.

Bis zum Platzverweis hatten die Stuttgarter ausgezeichnet mitgehalten, sie verteidigten mutig und gefielen mit hübschen Ballpassagen, aber nun konnte man ihnen förmlich bei jener Gedanken- und Emotionskollision zuschauen, die Trainer Pellegrino Matarazzo später so zu beschreiben versuchte: In dieser Phase sei "mental etwas passiert", meinte Matarazzo, der zwei sich widersprechende Phänomene entdeckte. "Entweder entstand in Überzahl das Gefühl, das Spiel nun gewinnen zu müssen oder das Gefühl, dass es jetzt von alleine geht. Egal, welches Szenario es war: Beide sind nicht gut."

Die Stuttgarter fühlten sich also gleichzeitig unter Druck gesetzt und befreit, es befiel sie eine Mischung aus Panik und Lässigkeit, und weil keine dieser Anwandlungen zur anderen passt, wich vorübergehend die Spannung aus den Spielerköpfen und -körpern. Sollen wir nach vorne spielen, noch früher pressen? Oder trotz Überzahl vorsichtig bleiben? Nicht gut, wenn man sich nicht entscheiden kann, vor allem nicht gegen die Bayern. "Die bestrafen so etwas sofort", sagte Matarazzo, "wir haben heute ordentlich Lehrgeld bezahlt."

Noch acht Spiele Zeit hat Lewandowski für fünf Tore

Wie beim 2:0, als Thomas Müller und Leroy Sané wie auf dem Bolzplatz einen doppelten Doppelpass spielen durften, bevor Gnabry den Ball ins Tor schoss (22.); wie beim 3:0 eine Minute später, als Lewandowski nach Müllers Flanke spektakulär unbewacht zwischen zwei Stuttgarter Verteidigern stand. Vor dem 4:0 blieb Sané bei seiner Hereingabe ebenfalls einigermaßen unbehelligt, bevor der Größte der großen Jungs seinen dritten Treffer erzielte. Vielleicht wird Robert Lewandowski am Ende der Saison ein kleines Eckchen seiner Torjägerkanone abbrechen und feierlich an die Stuttgarter überreichen müssen, als Dank für ihre Mithilfe - so nah war Lewandowski dem vermeintlich ewigen Rekord des Allergrößten der großen Jungs noch nie. Der Torzähler steht nun bei "35" - nur fünf Tore fehlen Lewandowski noch bis zu Gerd Müllers 40er-Marke, und er hat noch acht Spiele Zeit dafür.

FC Bayern Muenchen v VfB Stuttgart - Bundesliga

Robert Lewandowski kann zu seinem zweiten Tor unbedrängt einköpfen - springt aber auch sehr hoch.

(Foto: Pool/Getty Images)

Vor allem in dieser ersten Halbzeit war zu erkennen, dass diese beiden Mannschaften die unterschiedlichsten Lebenserfahrungen gemacht haben. Die Bayern haben auf höchstem Niveau schon alles erlebt, sie fühlten sich massiv herausgefordert von dieser frühen roten Karte, und wer bisher noch nicht so genau wusste, was der Fachbegriff "Vorwärtsverteidigung" eigentlich bedeuten soll, der musste nur Lewandowski und Müller zuschauen. Mit einem geradezu rücksichtslosen Willen haben sie vorne den Widerstand organisiert, sie ließen die Stuttgarter kaum atmen, hatten aber selbst genügend Luft, um laute Kommandos über den Platz zu brüllen.

In Unterzahl spielt Müller halt auf dem ganzen Feld

Das übliche "Riesenkompliment" hat Trainer Hansi Flick seiner Mannschaft später übermittelt, er konnte es sich sogar leisten, den an der Grenze des Übermotivierten herumrasenden Müller milde zu rügen. "Fast zu viel gepusht" habe Müller, der in Unterzahl im zentralen, manchmal geradezu defensiven Mittelfeld spielte; manchmal ist Müller tatsächlich etwas zu früh aufgerückt, hat den Gegner zu früh attackiert und dabei den ein oder anderen Raum hinter sich geöffnet - aber die Stuttgarter waren erst zu verwirrt, um das zu nutzen, und irgendwann lagen sie halt 0:4 hinten.

Der VfB hat eben noch keinen so langen Weg hinter sich, diese Mannschaft ist sehr begabt, aber noch ganz neu. Sie hat vieles noch nicht erlebt, und sie kann sich noch nicht in jeder Situation selber helfen. In Überzahl hätten plötzlich "die einstudierten Abläufe nicht mehr gepasst", sagte VfB-Torwart Gregor Kobel hinterher, "alle waren ein bisschen verunsichert."

Die Bayern gehen nun mit einem stabilen Siegergefühl in die Länderspielpause, es folgt die möglicherweise vorentscheidende Partie bei RB Leipzig. Alphonso Davies wird nach seinem Platzverweis fehlen, auch Jérôme Boateng nach der fünften gelben Karte. Dem VfB Stuttgart wird das allerdings nichts mehr nützen.

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