Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:"Spek-ta-ku-lär"

  • Der dominante Auftritt des FC Bayern beim VfL Wolfsburg im DFB-Pokal beweist, dass Pep Guardiolas Idee vom Fußball Wurzeln geschlagen hat.
  • Die einzige Sorge der Münchner ist nun, dass die Kraft nicht ausreichen könnte.
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Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Auch Manuel Estiarte wähnt sich nun in einem Alter, von dem er sagt, dass man Geburtstage besser nicht mehr feiert. Doch der Belegschaft des FC Bayern München war es am Dienstagabend in Wolfsburg ziemlich egal, dass es Estiarte offenbar ganz angenehm gewesen wäre, wenn sein Jahrestag unbeachtet geblieben wäre. Demonstrativ wiesen die Bayern darauf hin, dass Estiarte, früherer Weltklasse-Wasserballer und Vertrauter von Bayern-Trainer Josep Guardiola, am Montag seinen 54. Geburtstag begangen hatte.

Nach jedem Tor stürzten Gratulanten auf Estiarte ein, ganz im Sinne der Hommage, die vorab vom Team verabredet worden war: "Wir hatten versprochen, dass diejenigen, die kein Tor erzielten, ihm den Sieg widmen würden", sagte Mittelfeldspieler Thiago nach dem 3:1 (3:0)-Sieg, mit dem die Bayern Titelverteidiger VfL Wolfsburg aus der Teilnehmerliste des DFB-Pokals tilgten.

Nur Lahm relativiert die Dominanz

Wenn man so will, war das nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit bestand darin, dass Estiarte nicht nur Tore sowie ein Sieg gegen den ärgsten Rivalen der vergangenen Saison kredenzt wurde, sondern die mutmaßlich beste Saisonleistung überhaupt. "Unsere erste Halbzeit war spektakulär. Spek-ta-ku-lär", sagte Thiagos Mittelfeldpartner Xabi Alonso, als wolle er das Adjektiv tranchieren, ehe er sich auf den Weg in eine Kabine machte, in der die Liebhaber von Latino-Hip-Hop das Musikregiment übernommen hatten, derweil sich in den Gängen der Wolfsburger Arena ein Chor der Superlative erhob.

Die einzige Form der Relativierung ließ sich Kapitän Philipp Lahm einfallen. "Perfekt gibt es im Fußball nicht", sagte er. Doch auch ihm war bewusst, dass Guardiolas Fußball-Idee in der nun seit mehr als zwei Jahren währenden Amtszeit beispiellos starke Wurzeln geschlagen hat und das Team offenkundig dem Höhepunkt des Pep'schen Wirkens in München entgegenrauscht. Just, da die Stadt über seine berufliche Zukunft debattiert.

Gewiss, die Wolfsburger bezichtigten sich selbst der Kollaboration. "Über die erste Halbzeit müssen wir noch mal reden", brummte Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking, "so darf man nicht spielen, wir waren viel zu passiv." Auch Sportchef Klaus Allofs klagte: "Wir wollten keine Zweikämpfe führen, und das geht gegen die Bayern nicht." Doch das war übertrieben.

Die Wolfsburger wirkten im Vergleich zu den Bayern tatsächlich behäbig wie Astronauten in Raumanzügen auf All-Spaziergang. Doch das lag weniger an einem Mangel an Testosteron oder einem Überschuss an Respekt, sondern an dem herausragenden Vortrag des FC Bayern, der das Spiel nicht mehr wie einen sportlichen Wettstreit zwischen dem Meister und dem Meisterschafts-Zweiten wirken ließ, sondern wie eine Performance. Auch deshalb weckten die Debatten Erinnerungen an Guardiolas beste Zeit beim FC Barcelona. Dort hieß es nach den blendendsten Triumphen ja auch immer, der jeweilige Gegner habe gerade die schlechteste Leistung der Vereinsgeschichte gebracht.

"Wir haben nicht gegen Blinde gespielt", wehrte sich auch Philipp Lahm in Wolfsburg, und Sportvorstand Matthias Sammer wetterte, es sei "eine Mär, dass die Mannschaft (in Deutschland) nicht gefordert wird"; die Bayern hätten Gegner wie Leverkusen oder Dortmund "niederringen" müssen, meinte Sammer, und Wolfsburg habe bei Bayerns 5:1-Sieg in der laufenden Bundesliga-Spielzeit übrigens bis zur 50. Minute mit 1:0 geführt. In der Tat speiste sich die Bayern-Überlegenheit weniger aus Wolfsburger Unzulänglichkeit denn aus Münchner Grundaggressivität, technischer Finesse, taktischer Variabilität und vor allem stakkatoartig vorgetragenen, scharfen Pass-Kaskaden.

"Was wir in der ersten Halbzeit gespielt haben, war schon wie aus einem Guss. Wir hatten ganz, ganz wenige technische Fehler. Wir haben superschnell verlagert, die Tore super herausgespielt. Und Druck gemacht. So stellt man es sich vor", erläuterte Thomas Müller, der insofern herausragte, als er zwei Mal traf, jeweils durch Direktabnahmen; beide Male verwertete er Hereingaben von David Alaba (20., 34.). Zuvor hatte Douglas Costa mit links ein fabulöses Tor aus 20 Metern und damit die Führung erzielt (15.). Was aber wirklich beeindruckte, war, dass die Handschrift des Trainers sich auf dem Rasen so abhob wie ein Relief. Guardiola ließ in Wolfsburg einen Fußball praktizieren, der wie das bewusste Gegenteil seiner selbst anmutete: Der FC Bayern machte, wenn er verteidigen wollte, einen Schritt vor, und er machte im Zweifelsfall einen Schritt zurück, um Wolfsburg zu attackieren. Vor allem am Anfang schien es, als würden Bayerns Angreifer die Wolfsburger Verteidiger in Manndeckung nehmen und nicht umgekehrt. Besonders Innenverteidiger Dante wirkte in Gegenwart seines "Bewachers" eingeschüchtert, Guardiola jagte ihm im Zentrum den nominellen Flügelstürmer Douglas Costa auf den Hals. "Die Grundlage für den Sieg haben wir im Spiel gegen den Ball geschaffen. Und dann, unter diesen Voraussetzungen, mit dem Ball vieles richtig gemacht", dozierte Sammer. Das 1:3 durch André Schürrle geriet zur irrelevanten Anekdote.

Sammers einzige Sorge ist nun, dass die Kraft nicht ausreichen könnte: Er wolle zwar nicht jammern, aber dass man nach dem Dienstagsspiel schon wieder am Freitag in Frankfurt spielen müsse, sollte einem schon zu denken geben, meinte er.

Die einheimische Fraktion in der Mannschaft dachte derweil schon an die Auslosung der dritten Pokalrunde, die am Sonntag ansteht. "Jetzt ein Derby gegen die Löwen", rief Müller, als er in die Kabine stolzierte. "Aber auswärts", fügte er hinzu. Ein Scherz: 1860 München und der FC Bayern spielen bekanntlich in derselben Arena.

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SZ vom 29.10.2015/fued
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