Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:So wollte Philipp Lahm nicht abtreten

  • Dass die Bayern im DFB-Pokal 2:3 gegen Dortmund verlieren, liegt auch an Kapitän Philipp Lahm.
  • Ihm unterläuft - vermutlich zum ersten Mal in seiner Karriere - ein spielentscheidender Fehler.
  • "Das ist sehr, sehr bitter", sagt Lahm am Mittwochabend.

Aus dem Stadion von Martin Schneider

Dieser Pfosten. Genauer gesagt der linke Torpfosten des Tores vor der Münchner Südkurve. Er steht dort, silbern auf grünem Rasen, zwölf Zentimeter breit, zwölf Zentimeter tief, 2,44 Meter hoch und wird so langsam zur Schicksals-Säule des FC Bayern. 2012 schoss Bastian Schweinsteiger im Champions-League-Finale gegen Chelsea, das sie in München Finale Dahoam nennen, den entscheidenden Elfmeter genau dorthin. Der Ball klatschte ans kalte Aluminium und eine Stadt verstummte. Bayern-Fans versuchen, das zu vergessen. Der Pfosten aber, er steht immer noch unerbittlich genau an der gleichen Stelle und beendete am Mittwochabend irgendwie auch die Ära von Philipp Lahm beim FC Bayern.

Es lief die 63. Minute des DFB-Pokal-Halbfinales zwischen Bayern München und Borussia Dortmund. Die Bayern führten 2:1, als BVB-Torwart Roman Bürki den Ball verlor. Er wollte Julian Weigl anspielen, spielte aber zu Thiago. Der legte ab auf Robert Lewandowski, der legte noch mal ab auf Arjen Robben. Robben schoss scharf auf das kurze Eck, aber Sven Bender brachte irgendwie noch die Fußspitze in den Schuss. Der Ball ging an den Pfosten. An diesen Pfosten.

Mit dem Tor wäre das Spiel wohl entschieden gewesen. Stattdessen kassierte der FC Bayern noch zwei Tore, verlor das Spiel mit 2:3 und schied aus dem DFB-Pokal aus. Weil die Meisterschaft zwar noch nicht rechnerisch aber quasi vergeben ist, war das das letzte große Spiel in dieser Saison. Und damit auch das letzte große Spiel für Philipp Lahm, der im Sommer seine Karriere beenden wird.

Lahm starrt in die Ferne

Direkt nach dem Spiel musste Lahm ins ARD-Studio, er zog sich dafür ein weißes Trainings-Sweatshirt über. Es gehört zu seinen Pflichten als Kapitän, sich diese Szenen noch mal vorspielen zu lassen und was dazu zu sagen. Ja, er habe genau gesehen, dass Bender noch dran war, er stand ja auf der Spielfeldseite, sagte Lahm, als die Wiederholungen liefen. Einmal in realer Geschwindigkeit, zweimal in der Zeitlupe, machte also dreimal Pfosten. Als die Kamera wieder Lahm zeigte, starrte er mit leerem Blick in die Ferne.

Den Blick behielt er den ganzen Abend lang. Es war der Ausdruck, den Menschen haben, die etwas sagen, aber deren Gedanken komplett woanders sind. Man konnte seinen Schmerz sehen, man konnte ihn auch hören. Wenn Bayern-Spieler - vor allem Arjen Robben - nach Niederlagen sprechen, klingt immer sehr viel Trotz mit. Diese Nächstes-Mal-schaffen-wir-es-aber-Attitüde, die Oliver Kahn im Satz "Weiter, immer weiter" zu seinem Lebensmotto machte, ist zum einen in der sogenannten Bayern-DNA verankert, zum anderen ist es eine normale menschliche Reaktion auf Niederlagen. Abhaken, weiter geht's, irgendetwas Positives daraus ziehen. So läuft das normalerweise.

Für Lahm gibt es aber kein nächstes Mal. Dieses 2:3 war seine letzte große Niederlage. Er wird sie nicht mehr ausbessern können, wird nichts mehr daraus lernen können und auch keine Motivation für kommende Spiele daraus ziehen. Auf dem Platz kommt für Philipp Lahm nichts mehr. Und er wusste das in diesem Moment, in dem er in die Ferne starrte.

Als er aus dem Fernsehstudio raus war, kurz nachdenken konnte und frisch geduscht vor die restlichen Journalisten trat, da sollte er noch mal das Spiel beschreiben. "Das ist sehr, sehr bitter. Wir hatten viele Möglichkeiten, höher in Führung zu gehen. Dann bekommen wir das 2:2 und dann mach ich den Fehler zum 3:2. Und so scheidet man aus", sagte Lahm sehr leise.

Ja, sein Fehler. Auch diese Szene hatte ihm die ARD gezeigt, auch wieder mit Zeitlupe. Es war kurz vor dem Dortmunder 3:2. Da spielte ihm Arturo Vidal einen Pass leicht in den Rücken. Lahm trat mit dem rechten Fuß über den Ball, er versprang. Er versuchte dann die Situation zu retten, wollte den Ball mitnehmen, blieb wieder hängen und verlor ihn an die heranstürmenden Raphael Guerreiro und Marco Reus. Am Ende des folgenden Konters knallte Ousmane Dembélé den Ball passgenau in den Winkel. Lahm hatte schlicht den Ball verstolpert. Vielleicht war das der einzige spielentscheidende Fehler seiner Karriere. "Man darf so keine zwei Gegentore kassieren", sagte Lahm und meinte eigentlich: "Ich darf so kein Gegentor kassieren."

Er versuchte, in seinen Professionalitäts-Modus zu schalten. Selbst nach dem bitteren Champions-League-Ausscheiden gegen Real Madrid hatte er das noch geschafft. Dort schimpfte er nicht - wie fast alle anderen - auf den Schiedsrichter, sondern analysierte nüchtern, und wenn man die Vereinsnamen ausgeblendet hätte, hätte man auch denken können, er spricht von einem 2:2 gegen Augsburg am fünften Spieltag.

Manche werfen ihm das vor, halten es für distanziert und nennen ihn "Klassensprecher", andere finden es super, dass da ein Fußballer in der Lage ist, erst nachzudenken und dann zu sprechen und nicht vergisst, dass man als Sportsmann ein Vorbild sein sollte.

Die Erkenntnis, dass es jetzt wirklich zu Ende geht, die war so unglaublich, dass ein Reporter sie sich von Philipp Lahm bestätigen lassen wollte.

Herr Lahm, es ist doch eigentlich nicht vorstellbar, dass Ihre Karriere an einem ganz normalen Spieltag endet?

"Jetzt ist es so."

Gegen Freiburg?

"So ist es."

Dreieinhalb Wochen sind es noch bis dahin. "Das sind meine letzten Wochen als Fußballprofi. Die will ich genießen. Aber das fällt mir heute sehr, sehr schwer", sagte Lahm. Aber: "Ich will nicht die letzten Wochen keinen Spaß mehr haben. So will ich den Fußball nicht in Erinnerung behalten." Ob er es sich nicht doch noch mal überlegen will mit dem Aufhören, war dann die letzte Frage des Abends. Ob er wirklich so abtreten wolle? "Da wird es keine andere Meinung von mir geben", sagte Lahm und ging. Bald dann endgültig.

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