Süddeutsche Zeitung

Bayern siegt in Leverkusen:Und dann kommt Lewandowski

Bayer Leverkusen erweist sich dem FC Bayern als würdiger Gegner, lange sieht es nach einem Remis im Topspiel aus. Doch der frisch gekürte Weltfußballer ist wieder zur Stelle.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Um 20:24 Uhr verwandelte sich das Spitzenspiel der Bundesliga in ein Endspiel. Gerade noch waren Bayer Leverkusen und Bayern München drauf und dran, die Punkte beim Spielstand von 1:1 gerecht untereinander aufzuteilen. Es lief die letzte Minute der Nachspielzeit, man war sich im Grunde einig über das Remis. Was sollte noch passieren?, dachten die Menschen vor dem Fernseher und wahrscheinlich auch die Fußballer auf dem Rasen.

Und dann passierte Folgendes: Jonathan Tah ließ ein Allerwelts-Zuspiel davonspringen, Joshua Kimmich war sofort zur Stelle und schickte Robert Lewandowski auf den Weg. Der Mittelstürmer und Neu-Weltfußballer schoss, traf mit dem Ball das Bein von Edmond Tapsoba - und dadurch zum 2:1 ins Tor. Nun ging es hoch her. Die komplette Bayern-Bank hüpfte in Ekstase umeinander, und Manuel Neuer machte einen 50-Meter-Sprint, um an der Party teilzunehmen. Hansi Flick schaute auf die Uhr: Wie lange noch?

Zu mehr als zum Anstoß reichte die Zeit nicht mehr, und die Bayern hatten es wieder getan: Wie beim 2:1 gegen Wolfsburg hatten sie nun auch in Leverkusen einen bisher unbesiegten Gegner besiegt. Nebenbei bringt ihnen das den allerdings komplett sinnlosen Titel Wintermeister ein. Es war ein etwas glücklicher, aber verdienter Sieg, die Münchner hatten die größeren Reserven gehabt und mehr unternommen, um die Partie zu gewinnen.

Die Leverkusener zeigten Respekt vor dem großen Gegner, aber nicht mehr als nötig

Der Kölner Stadt-Anzeiger behauptete zuvor, die menschenleere Bayarena werde am Samstagabend den "Mittelpunkt des Weltfußballs" bilden. Grundlage dieser These war ein Verweis auf den Tabellenstand der Kontrahenten und das Mitwirken der Fifa-prämierten Superhelden Manuel Neuer und Robert Lewandowski (die vom Gastgeber artig mit Blumen und Champagner beschenkt wurden), aber zunächst sprach das deutsche Spitzenspiel mit altenglischem Akzent. Beide Teams ließen den Ball mit Vorliebe weit und hoch übers Feld fliegen, Ausdruck des jeweils vorherrschenden Sicherheitsdenkens.

Schneller ins Spiel fanden dann die Leverkusener. Sie zeigten Respekt vor dem großen Gegner, aber nicht mehr als nötig, und zogen ihr bewährtes Tempospiel auf. Nur das Flügelspiel funktionierte nicht nach dem üblichen Muster. Alphonso Davies ließ sich auf dem linken Flügel ebenso wenig von Leon Bailey distanzieren wie der Aushilfsaußen Niklas Süle auf dem rechten von Moussa Diaby. Besser kamen die Hausherren im Zentrum zurecht, wo Florian Wirtz wieder Zweifel an seiner Geburtsurkunde weckte: Ist dieser Kerl wirklich erst 17 Jahre alt? Er hat auf jeden Fall den Fußballverstand eines 30-Jährigen.

Als man allmählich darüber nachdachte, wann dieses Spiel denn mal Fahrt aufnehmen möchte, stand es 1:0. Beim ersten Eckstoß der Partie hatte Bayer wieder in die Trickkiste gegriffen. Eckstöße sind eine Leverkusener Spezialität, auch diesmal gelang die Überraschung. Alle rechneten mit einem hohen Ball, doch Bailey servierte kurz Nadiem Amiri, und dessen Flanke beförderte Patrik Schick volley und mit Schallgeschwindigkeit ins Netz. Neuer unternahm keine Anstalten zur Parade und ließ nicht mal seinen weltbekannten Reklamier-Arm hochschnellen.

Dieser schöne Treffer brachte Leben ins Spiel, vor allem ins Spiel der Leverkusener, die sich nun einige Vorteile verschafften. Sie gewannen mehr Zweikämpfe und bedrohten mit ihren wohldosierten Vorstößen immer wieder das Münchner Abwehrzentrum. Hätte Schick in der 19. Minute den frei in den Strafraum einlaufenden Daley Sinkgraven bedient, wäre das 2:0 sehr gut möglich gewesen. Doch es obsiegte der Egoismus des Torjägers, Schick zog ab, Neuer hielt (wenn auch mit Mühe).

Kingsley Coman muss verletzt ausgewechselt werden

Wenig später aktivierte der Torwart doch noch seinen Reklamier-Arm. Schick hatte seinen Alleingang mit einem erfolgreichen Torschuss abgeschlossen, aber es lag dann nicht am Protest des Schlussmanns, dass der Treffer nicht zählte. Ein zartes Abseits machte ihn ungültig. Hansi Flick sah es dennoch mit unübersehbarem Unbehagen. Seine Bayern spielten nicht mit der typischen Dominanz der Spitzenmannschaft, die sich an der Herausforderung steigert. Die verletzungsbedingte Auswechslung von Kingsley Coman trug auch nicht zu guter Laune bei. Leroy Sané kam herein, doch es lag nicht an ihm, dass die Bayern nach einer halben Stunde stärker wurden. Bei Bayer mehrten sich die Fehler. Versuche, die gewonnenen Bälle schnell und direkt zum Gegenangriff zu nutzen, endeten zunehmend oft schnell und direkt beim Gegner.

Einer dieser verirrten Bälle brachte den Ausgleich. Edmond Tapsoba, bis dahin die Souveränität in Person, wählte im Strafraum den riskanten Pass statt einen Befreiungsschlag, und nach sehr feiner Flanke von Thomas Müller stand Lewandowski richtig und tippte den Ball per Kopf ins Tor. Wieder mal war der Mittelstürmer lachender Dritter: Torwart Hradecky und Verteidiger Jonathan Tah hatten sich gegenseitig blockiert, statt die Flanke zu entschärfen.

Leverkusen brachte nicht mehr die Kraft auf, um zu attackieren

Die erste Halbzeit war nicht immer hochklassig, aber immer intensiv und spannend, und diese Eigenschaften fielen vor allem den Leverkusenern im zweiten Durchgang zur Last. Bayer brachte nicht mehr die Kraft auf, um zu attackieren und konzentrierte sich zunehmend auf Risikovermeidung, die Bayern erhöhten den Druck. Chancen blieben dennoch eher selten, die beste verhinderte Hradecky, als er mit langem Arm gegen Gnabrys Schuss rettete (67.).

Hansi Flick wollte sich mit dem 1:1 aber nicht begnügen und nahm dazu auch keine Rücksicht auf Befindlichkeiten, und so musste der eingewechselte Sané nach kaum 40 Minuten Einsatzzeit das Signal zur Auswechslung empfangen. Er guckte aber eher schuldbewusst als empört drein, und nahm schließlich in Adiletten und dicker Jacke auf der Tribüne Platz. Dort erlebte er nicht nur das Comeback von Joshua Kimmich, sondern auch eine aufregende Aktion seines Nachfolgers Jamal Musiala, als dieser aus knapp zwanzig Metern den Pfosten traf. Von Bayer kam nicht mehr viel Angriffsgeist. Erst kurz vor Schluss wurde es bei einer Flanke von Diaby noch mal eng, aber der eingewechselte Lucas Alario kam einen Schritt zu spät. Was soll's, dachten sich die Leverkusener, 1:1 ist auch okay. Aber es war halt noch nicht Schluss.

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